Bettina Reiter

Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis


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und die Geborgenheit.

      Vorsichtig legte sie sich neben ihn.

      Noch immer spürte sie ein leichtes Pochen im Fuß und starrte zur stuckverzierten Decke hoch. Dabei dachte sie wieder an den Albtraum, den sie gehabt hatte. Was genau sie träumte, wusste sie nicht mehr, nur, dass sie mit einer unerklärlichen Angst aufgewacht war. Eine Angst, die sie ohnehin beherrschte, seitdem Lotti sie aus dem Salon gewiesen hatte. Zwar hatte sie an der Tür gelauscht, doch alle hatten so leise gesprochen, dass sie kein Wort verstanden hatte. Dann hatte sich jemand genähert und sie war in ihr Zimmer geeilt. Beim Abendessen hatte Luc gefehlt und auf ihre Nachfrage hin bekam sie weder von Lotti noch von der Mutter eine Antwort. Doch damit wollte sie sich nicht zufriedengeben und hatte gewartet, bis es im Schloss endlich still geworden war, um sich in Lucs Zimmer zu schleichen.

      Seufzend wandte sie den Kopf zu ihm und spürte seine warme Haut an ihrem Handrücken. Ihr Bruder regte sich und murmelte etwas Unverständliches. Dann drehte er sich plötzlich zu ihr. Gleichzeitig legte er seinen Arm um sie. Ihre Nasenspitzen berührten sich fast. Verschlafen öffnete er die grau–blauen Augen, die im schimmernden Kerzenlicht funkelten. Sekundenlang schaute er sie an. Bis der Glanz in seinen Augen erlosch.

      „Was tust du in meinem Bett?“ Abrupt zog er seinen Arm zurück und rückte von ihr weg, als hätte sie eine ansteckende Krankheit.

      Kälte erfasste Henriette. Nicht, weil er sie zornig anschaute, sondern weil sich seine Worte unendlich verzweifelt anhörten. „Ich habe schlecht geträumt“, sagte sie.

      „Du bist kein kleines Kind mehr, verdammt noch mal!“, fuhr er sie an. Henriette war völlig perplex. Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht damit, dass er so abweisend sein würde. „Früher war es in Ordnung, dass du zu mir gekommen bist. Aber jetzt bist du sechzehn Jahre alt und wirst zur Frau. Deswegen solltest du dich auch wie eine benehmen.“

      „Wer sagt das?“, wehrte sie sich gegen seine verletzende Aussage. „Lotti? Unsere Mutter?“

      „Ich, wenn du es genau wissen willst.“

      „Und das soll ich dir glauben?“

      „Glaub, was du willst.“

      Tränen traten in ihre Augen. „So hast du noch nie mit mir gesprochen.“

      Sie glaubte, Mitleid in seinem Blick zu lesen. Bedauern. Sogar Schmerz. „Ich will dir nicht wehtun, Henriette. Aber wir können nicht ewig Kinder sein und ständig aneinanderkleben. Außerdem plane ich meine Zukunft, die weit weg von dir stattfinden wird. Insofern musst du lernen, deine Probleme alleine zu bewältigen und ohne mich auszukommen.“

      „Das will ich aber nicht.“

      „Es wird dir nichts anderes übrigbleiben.“

      „Magst du mich nicht mehr?“

      Luc machte einen tiefen Atemzug, als würde er keine Luft bekommen. „Natürlich mag ich dich. Du bist … meine Schwester. Trotzdem müssen wir vernünftig sein. Lotti ist es ohnehin schon lange ein Dorn im Auge, dass du mich immer wieder in meinem Zimmer aufsuchst. Dafür bist du inzwischen zu alt.“

      „Du hast dich bisher nie um Konventionen geschert.“

      „Dann fange ich eben jetzt damit an.“

      „Möchtest du mit Gewalt alles kaputt machen, was uns verbindet?“ Henriette wollte näher zu ihm rücken, doch er hob abwehrend die Hände. Die Kluft zwischen ihnen war nicht nur spürbar, sondern jetzt auch sichtbar. „Wir sind Geschwister, Luc.“ Unwillig verzog er das Gesicht. „Rede mit mir.“

      „Worüber soll ich mit dir reden? Über Märchen oder Zedern?“, spottete er. „Sei mir nicht böse, aber ich bin müde und möchte schlafen. Also geh bitte und lass mich in Ruhe.“

      „Darauf kannst du lange warten.“ Henriette verschränkte die Arme vor der Brust. „Ehe ich nicht weiß, was los ist, rühre ich mich nicht vom Fleck.“

      „Sag mal, hast du mich nicht gehört oder willst du mich nicht hören?“ Jedes einzelne Wort hatte sich angefühlt, als wäre er ihr mit einem Nagelkissen über die Haut gefahren. „Ich möchte alleine sein. Respektiere das. Es schickt sich einfach nicht, als junge Frau in das Bett eines Mannes zu steigen. Noch dazu trägst du dieses dünne Nachthemdchen!“

      „Eines Mannes?“, erzürnte sich Henriette. „Das hört sich an, als … du bist mein Bruder!“

      „Und trotzdem ein Mann.“ Luc deutete mit verschlossener Miene zur Tür. „Nun geh.“

      Sie fühlte sich, als würde sie wie ein kleines Kind vor einer unsichtbaren Barriere herumirren und sich pausenlos fragen, wie es diese Hürde überwinden konnte. „Warum bist du so kalt?“, fragte Henriette leise. „Was in Gottes Namen habe ich dir getan?“

      „Nichts.“

      „Dann gibt es keinen Grund, mich so zu behandeln.“

      „Wie behandle ich dich denn?“

      „Als wäre Louis in deinen Körper geschlüpft.“

      „Ach Henriette, so schlimm ist unser Bruder nicht. Meistens jedenfalls. Du bist zu sehr auf mich fixiert, als dass er je eine Chance gehabt hätte, für dich da zu sein. Warum gehst du nicht zu Louis und weinst dich zur Abwechslung bei ihm aus?“

      „Auch er ist ein Mann. Wo ist der Unterschied?“

      Lucs Lippen wurden zu einem schmalen Strich. „Du hast recht, es gibt keinen. Auch ihm würde die Geduld für die Sorgen eines kleinen Mädchens fehlen.“

      „Oh, jetzt bin ich wieder klein“, verhöhnte sie ihn. „Du verstrickst dich in Widersprüche.“ Ihr Zorn verstärkte sich. „Warum sprichst du mit mir, als wäre ich eine Aussätzige? Geschweige denn, dass du mir kaum in die Augen sehen kannst, so wie jetzt.“

      „Hör auf mit diesen Hirngespinsten. Da ist nichts.“

      „Du lügst wie gedruckt! Ihr alle! Euer Streit heute war nicht zu überhören. Weshalb hat Mutter dich angeschrien? Oder warum schleicht sie wie ein geprügelter Hund durch das Schloss?“

      „Frag sie.“

      „Ich frage aber dich, Luc“, antwortete sie um Ruhe bemüht. „Dich, meinen über alles geliebten Bruder. Den Menschen, dem ich vertraue wie niemandem sonst auf dieser Welt. Bitte, lass mich nicht im Unklaren.“ Henriette überlegte kurz. „Hast du Probleme?“

      „Ja“, fuhr er sie neuerlich mit einer Heftigkeit an, dass sie sich wie gelähmt fühlte. „Dich! Du bist mein Problem. Und nun verlass augenblicklich mein Zimmer!“

      Grob umfasste er ihren Arm und drängte sie aus dem Bett. Henriette war so überrascht, dass sie über die Kante rutschte und hart auf dem Boden aufschlug. Tränen schossen ihr in die Augen. Seine Geste fühlte sich an, als hätte er sie geschlagen und Luc blickte sie an, als hätte er es tatsächlich getan. Schluchzend rappelte sie sich auf, lief aus dem Zimmer und als sie nebenan in ihrer Kammer war, ließ sie sich weinend auf das Bett fallen.

      Gleichzeitig hörte sie Lucs unruhige Schritte und hielt sich die Ohren zu. Sie hasste ihn! Ja, in diesem Augenblick hasste sie ihn abgrundtief. Wie konnte er sie auf diese Weise behandeln? Nie zuvor hatte sie sich ihm ferner gefühlt. Was war nur los? Weshalb verhielt er sich so? Warum reagierte die Großmutter auf ihn, als hätte er Lepra? Irgendetwas ging hier vor. Etwas, das ihre Familie auseinanderbrechen ließ wie einen Porzellanteller, den man mit voller Wucht auf den Boden schmetterte. Aber niemandem lag scheinbar etwas daran, die Scherben einzusammeln, um ihn zu kitten. Selbst ihr nicht. Sollte Luc der Teufel holen!

      Wie gerädert saß Henriette mit Lotti und ihrer Mutter am Frühstückstisch. Eine seltsame Atmosphäre herrschte vor und die Stille war kaum zu ertragen. Auch Luc ließ sich nicht blicken, doch das war ihr nur recht. Eine Weile würde sie ihn schmoren lassen, denn dieses Verhalten hatte sie einfach nicht verdient.

      „Hast du Pläne für heute, Lotti?“, erkundigte sich die Mutter mit teilnahmsloser Miene und nippte