genügte es ihm. An manchen Tagen verkaufte er bis zu zwanzig Bilder. Das waren die Tage, an denen er sich dann erlaubte, sich eine Flasche Wein für drei Euro zu leisten. Damit verfeinerte er sich sein Abendessen, in seinem kleinen Studio in der Rue Fresnel, nur wenige Schritte vom Hafen entfernt. Den größeren Teil legte er zur Seite, um für die Wintermonate eine Reserve zu haben. Touristen gab es hauptsächlich zwischen Mai und September, danach ebbte der Zustrom ab.
Pierre Cornec war am Yachthafen, dem Port de Plaisance, angekommen. Von dort aus hatte er einen freien Blick auf die Bucht von Concarneau. Er sah das Schiff vor dem Hafen liegen, gute zwei Kilometer weit draußen. Es war eines dieser riesigen Kreuzfahrtschiffe.
Durch sein Teleobjektiv versuchte er den Namen des Schiffes zu erkennen, was ihm aber nicht gelang. Pierre Cornec machte einige Aufnahmen von dem Schiff und wandte sich dann wieder ab. In diesem Augenblick kam eine weitere Barkasse am Pier an und brachte einen neuen Schwung Besucher in die Stadt. Pierre machte einige Fotos von den Ankömmlingen. Vielleicht war das eine oder andere Bild ja später zu verwenden. Dann beeilte er sich, aus seinem Studio den kleinen faltbaren Tisch und eine Anzahl fertiger Bilder zu holen. Mit Glück würde er das eine oder andere Bild an die Teilnehmer des Landgangs verkaufen können.
Nach zwanzig Minuten war er wieder zurückgekommen. Er stellte seinen Tisch auf und legte die Bilder aus. Er hörte, dass die Menschen, die an ihm vorbeigingen, englisch, beziehungsweise amerikanisch sprachen. Amerikaner waren gute Kunden. Sie kauften gerne Souvenirs, wollten aber immer den Preis verhandeln, sodass er sich entschloss, die Preise etwas höher als üblich anzusetzen. Ein junges Ehepaar kam auf ihn zu und sprach ihn an. Für Pierre Cornec war es kein Problem, sich mit den Touristen zu unterhalten. Er sprach mehrere Sprachen, keine davon fließend aber doch so, dass er sich verständlich machen konnte.
„Könnten Sie vielleicht ein Foto von uns beiden machen? Wir sind auf unserer Hochzeitsreise und waren noch nie in Frankreich.“
Der junge Mann hielt ihm seinen kleinen Fotoapparat hin. Pierre wollte nicht unhöflich sein und erfüllte ihnen den Wunsch. Das junge Paar stellte sich mit dem Rücken zur Ville Close in Position und Pierre versuchte, die große Uhr, die den Turm an der linken Ecke des Eingangsbereichs schmückte, mit aufs Bild zu bekommen. Auch wenn es sich nur um einen kleinen Gefallen handelte, so war es doch sein Ehrgeiz, ein ordentliches Foto abzuliefern. Das junge Paar sah sich die Aufnahme an, und schien sehr zufrieden zu sein, denn die junge Frau interessierte sich jetzt für seine Bilder. Sie kauften sein teuerstes, ganz ohne zu verhandeln. Pierre hatte nur ein einziges in dieser Preisklasse mitgebracht und war jetzt um 9.90 Euro reicher. Er verpackte das Bild und überreichte es der jungen Frau. Sie schenkte ihm noch ein bezauberndes Lächeln, bevor sie sich auf den Weg in die Ville Close machten.
Der restliche Tag verlief nicht mehr ganz so erfolgreich. Als Pierre Cornec seinen Tisch zusammenfaltete und seine Bilder wieder einsammelte, waren seine Einnahmen gerade einmal auf 37 Euro angewachsen. Er würde sich eine Pizza für den Abend kaufen können.
Paul und Nancy Malcom betraten, mit ihrem gerade erstandenen Kunstwerk, die Ville Close von Concarneau. Gleich nachdem sie das erste Tor durchschritten hatten standen sie vor der alten Kanone. Paul fotografierte Nancy neben der Kanone. Der Innenhof gab den Blick auf die Festungsmauern und auf den Turm des Gouverneurs frei. Paul und Nancy entdeckten die Treppe, die auf die Mauerkrone führte. Sie stiegen hinauf. Von hier oben bot sich ihnen ein herrlicher Blick auf den Arrière-Port, den hinteren Teil des Hafens, an dem die Fischerboote festmachten. Sie schauten auf ein sehr großes Gebäude, dass der Reiseführer als la criée bezeichnete. Es war die Halle, in der morgens die Fische verkauft wurden, gleich nach der Anlieferung.
Concarneau war früher einer der größten Fischereihäfen Frankreichs gewesen. Thunfische und Sardinen wurden auch heute noch hier verarbeitet, auch das stand in ihrem Guide. Sie blickten auf die zahlreichen Zelte, die auf dem Platz links neben der Halle aufgebaut waren. Concarneau stand das große, alljährlich stattfindende Fest der Filets Bleus bevor.
Sie folgten dem Wehrgang weiter, vorbei an den Schießscharten und kamen am Tour du Moulin á Poudre, dem Pulverturm an. Kurz danach endete der Rundgang, und sie mussten die Treppen wieder hinabsteigen. Sie spazierten zur Hauptstraße der Ville Close. Es war kein geringerer als Vauban, der die Befestigungen rund um die Altstadt angelegt hatte, sodass diese Straße seinen Namen trug. Sie war gespickt mit Souvenirläden. Es gab Geschäfte, in denen man die berühmten Ohrenbols, mit dem eigenen Vornamen beschrieben, kaufen konnte, Boutiquen mit Strickwaren der Region und zahlreiche Geschäfte, die die Spezialitäten der Bretonen verkauften, die Galettes, den Kouign Amann, die Sablés und die zahlreichen anderen biscuits. Dazwischen gab es immer wieder kleine Restaurants und Crêperien. Nancy und Paul hatten auf ihrem kleinen Spaziergang Appetit bekommen. Sie fanden eine kleine Crêperie in der Rue St-Guénolé, der Fortsetzung von dem Place St-Guénolé. Beide bestellten sich ein Crêpes-Menu, etwas, das sie noch nie gegessen hatten.
Am Nebentisch saßen zwei Männer, die sich aufgeregt unterhielten. Sie schienen nicht unbedingt die besten Freunde zu sein. Paul und Nancy achteten nicht weiter darauf. Nach einigen Minuten, sie hatten bereits ihr Essen und eine Flasche Cidre bestellt, stand Paul auf. Er wollte ein paar Erinnerungsfotos machen. Er fotografierte Nancy am Tisch. Da das Restaurant klein war, kamen auch die zwei Männer am Nebentisch mit aufs Bild. Paul setzte sich, als das Essen kam und sie ließen sich die Mahlzeit munden. Die zwei Männer hatten kurz darauf das Restaurant verlassen. Auf dem Platz vor der Crêperie schrien sie sich noch lauter an. Paul und Nancy konnten sehen, dass sie danach getrennte Wege einschlugen. Auch Paul und Nancy verweilten nicht mehr lange. Sie bezahlten ihre Crêpes und machten sich auf den Weg, den Rest der Altstadt zu durchstreifen. Am Ende der Straße kamen sie zu einem Platz mit einer Freilichtbühne. Die Sitzplätze waren, wie in einem Amphitheater, im Halbkreis um die Bühne herum errichtet. Ihr Weg führte sie danach an der Anlegestelle einer Fähre vorbei. Es war die kleinste Fähre, die sie je gesehen hatten. Sie bot vielleicht zehn oder zwölf Personen Platz und hatte gerade einmal 200 Meter Distanz zu überwinden. Sie schipperte quer über die Hafeneinfahrt, hinüber zu einem Ortsteil von Concarneau, der Passage Lanriec, wie sie ihrer kleinen Karte entnehmen konnten. Beide fanden die Fähre witzig und überlegten noch, ob sie nicht mitfahren sollten, als das kleine Boot auch schon ablegte.
„Schau, das ist doch einer der Männer, die vorhin am Nachbartisch gesessen haben.“ Paul zeigte auf den mürrisch dreinblickenden Herrn, der zu der Fähre geeilt gekommen war und jetzt mit hinüberfuhr. Auch Nancy sah dem Boot nach.
„Ja, das ist der, der vorhin am lautesten gesprochen hat. Er ist doch zum Ausgang der Altstadt gegangen. Er hat es sich wohl anders überlegt und ist umgedreht.“
Paul und Nancy dachten nicht weiter darüber nach und schlenderten weiter. Sie wollten sich später auch noch die Innenstadt von Concarneau ansehen.
Sie spazierten zurück und kamen auf der Rückseite des Restaurants zu dem kleinen Park, am hinteren Ende der Ville Close. Der Weg stieg leicht an und führte zu einer mit Bäumen gesäumten Wiese. Plötzlich blieb Nancy wie versteinert stehen. Sie streckte ihren Arm aus und zeigte in Richtung der großen Eiche, die links vor ihnen stand. Sie schien unfähig zu sein, auch nur einen Ton hervorzubringen. Jetzt sah auch Paul, was Nancy so erschreckt hatte. Vor ihnen lag ein Toter.
Kapitel 2
Ewen Kerber machte sich auf den Weg, mit Carla nach Concarneau zu fahren. Er hatte ihr versprochen, das große Fest, die Filets Bleus, zu besuchen. Die Filets Bleus wurden schon seit 1905 gefeiert. Ursprünglich war es eine Solidaritätsveranstaltung gewesen, zu Gunsten der Fischer von Concarneau, die in Not geraten waren, als aus unerklärlichen Gründen die riesigen Sardinenschwärme ausgeblieben waren. Die Bürger der Stadt verhalfen mit dem Erlös des Festes ihren Fischern zum Überleben. Den Namen hatte das Fest von den blauen Netzen erhalten, wie sie von den Fischern benutzt wurden.
Die Solidarität stand schon lange nicht mehr im Vordergrund. Heute war daraus ein Festival geworden, das das Kulturerbe der Bretagne bewahren sollte. Trachtengruppen, Musik und folkloristische Tanzgruppen prägten das Fest.
Ewen