HaMuJu

Paulo und Liang (7)


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Art Stallgebäude für den LKW, Werkzeug und zwei Kühe, in dem Stallgebäude befand sich auch ein riesiger Bottich, in dem die Trauben gepresst werden sollten. Früher presste man die Trauben noch mit den Füßen, Liangs Vater hatte aber eine Presse angeschafft, die allerdings von Hand zu bedienen war, eine Spindelpresse.

      Zwischen den Häusern gab es einen Hof, der eine Kiesfläche war, es knirschte, wenn man über den Hof lief oder fuhr. Eine niedrige Backsteinmauer fasste die ganze Hofanlage ein. Das Haus der Eltern stand vor Kopf und bildete den Mittelpunkt des Hofes. Es war eingeschossig und hatte ein flaches Dach. Die Haustür war aufwändig verziert und alt, Liangs Urgoßvater hatte sie einst eingebaut, bei wem er sie hat anfertigen lassen, war nicht mehr bekannt. Es war eine zweiflüglige Tür aus Eiche, man betrat durch sie einen Vorraum, der mit uralten glatten schwarzen Fliesen ausgelegt war. Solche Fliesen gab es im „Palast des himmlischen Friedens“ in Peking, sie waren Jahrhunderte alt und wurden gepflegt, das hieß, sie wurden blank gewienert. Vom Vorraum gelangte man in drei Räume, die Küche, das Schlafzimmer und das Wohnzimmer. Dieses Untergeschoss reichte Liangs Eltern vollkommen aus, sie hatten im Obergeschoss noch die alten Kinderzimmer, die nicht mehr benötigt wurden und deshalb Abstellräume waren. Im Wohnzimmer, in dem sich Liangs Eltern praktisch immer aufhielten, gab es einen alten Ofen, der mit Holz oder Kohle befeuert wurde. Oft stank es nach Kohlefeuer im Haus, wenn der Ofen nicht richtig zog. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch aus schwarzem glänzendem Eschenholz. Der verdunkelte den ohnehin nicht sehr hellen Raum noch mehr, durch die kleinen Fensterchen fiel nur spärliches Licht. Liangs Vater saß immer auf einem samtenen Sofa und rauchte ununterbrochen filterlose Zigaretten. Nur wenn seine Frau das Essen auf den Tisch gestellt hatte, wenn er zur Toilette oder ins Bett ging, dann stand er auf. Ansonsten saß er und schaute durch das kleine Fenster, das direkt neben dem Sofa in die Wand eingelassen war.

      Es gab eigentlich nicht viel zu sehen, weil auf dem Hof nichts passierte, und wenn Liang dann doch einmal seinen Karren über den Hof schob, rutschte sein Vater unruhig hin und her, als würde Gott weiß was geschehen. Er hatte graues langes Haar, das aber auf dem Kopf schon lichte Stellen ließ. Er ließ sein Haar wachsen, warum, wusste er auch nicht genau. Seine Frau trug ihm oft auf, doch einmal zum Friseur zu gehen oder sie wollte ihm selbst die Haare schneiden. Er ließ sich aber nicht beirren und seine Haare wachsen. Liangs Mutter war ein ganz anderer Typ Mensch, sie wieselte emsig durchs Haus, machte immer irgendetwas sauber oder kochte in der Küche. Gegessen wurde im Familienkreis, Liang und sein Bruder kamen dann ins Haus und setzten sich im Wohnzimmer an den Esstisch. Ihre Mutter freute sich immer, wenn sie ihre Söhne wegen ihrer Kochkunst lobten. In Wirklichkeit waren sie nur zu faul, selbst zu kochen. Das Leben auf dem Weinhof war unkompliziert und gefällig. Es gab keine auffälligen Besonderheiten, der Ablauf des Jahres war durch die Natur der Weintrauben bestimmt. Lediglich das Weinfest im August brachte etwas Abwechslung. Alles fieberte dem Fest entgegen und putzte sich heraus.

      So war auch Liangs Mutter bestrebt, alles in Ordnung zu bringen und den Hof für die Festbesucher sauber zu machen. Liangs Bruder ging in Turpan zur Schule, hätte aber nur noch zwei Monate Unterricht. Er wollte eigentlich mit den Weintrauben nichts zu tun haben, wenn er sein Abitur in der Tasche hätte, wollte er in Shanghai Elektrotechnik studieren. Er hieß Akuma. Wenn man über den Weinhof schritt, überkam einen ein Gefühl von etwas Altehrwürdigem, Ewigem. Wäre nicht der Neubau neben dem Haupthaus gewesen, hätte man denken können, die Zeit wäre stehen geblieben. Man hatte vom Hof aus einen Blick auf die „Flammenberge“, die rot strahlten und greifbar nahe schienen. Ich würde bald mit Liang auf die Berge steigen und dort eine Nacht im Schlafsack verbringen. Das Haus der Jungen war sehr schlicht, es hatte vier Zimmer und ein Badezimmer, es war ein Flachbau. Es wirkte gegenüber dem Haupthaus gedrungen. Am Haus der Eltern wuchs Wein, der mit einigen Trieben über eine Laube geleitet wurde. Dort verdichtete sich die Pflanze und bot Schatten. Sie hing voller Trauben, und am Haus musste der Wein hin und wieder zurückgeschnitten werden, besonders die Pflanzenteile, die auf das Dach wuchsen und über die Wellabdeckungen krochen. Wein war nicht so schlimm wie Knöterich, wenn man den nicht immer wieder bändigte, drohte der alles zu vereinnahmen und zu überwuchern, am besten grub man Knöterichpflanzen aus und warf sie auf den Kompost. Im Neubau hatten Liang und Akuma jeder zwei Zimmer und konnten dort machen, was sie wollten. Allerdings kam die Mutter regelmäßig und putzte die Zimmer. Nie schimpfte sie über die Nachlässigkeit ihrer Kinder oder über den Dreck, den sie hinterlassen hatten.

      Das Stallgebäude war ein unscheinbarer Ziegelbau mit einem großen Einfahrttor, es hatte zur Hofseite hin zwei Fensteröffnungen, die allerdings nicht mit Glas eingefasst waren. Im hinteren Teil des Grundstückes befand sich ein Nutzgarten, in dem Liangs Mutter Salat erntete, aber auch Tomaten, Gurken, Paprika Möhren und Kräuter. Sie war sehr oft im Garten und zupfte Unkraut, das hielte sie beweglich, sagte sie immer, wahrscheinlich hatte sie recht damit. Liangs Vater wäre es nicht im Traum eingefallen, in den Garten zu gehen, er saß immer nur auf seinem Sofa im Wohnzimmer und rauchte.

      Das „Grape Valley“ hatte etwas Märchenhaftes, Gemütliches. Die vielen Weinranken nahmen einem zwar die Sicht, wenn sie sich über der schmalen Durchgangsstraße vereinigten und ein Blätterdach bildeten, schufen aber auf die Weise einen Raum, der Schutz zu gewähren schien. Manche Leute standen vor ihren Häusern und hängten Girlanden auf. Mitten im Tal gab es eine Verbreiterung, eine Art Platz, auf dem eine Bühne aufgebaut war. Dort würden auf dem Fest Sänger auftreten und Lieder zum Besten geben. Oftmals sangen zwei Mädchen im Duett, vor der Bühne würde getanzt werden, Alt und Jung wären zusammen und würden ausgelassen feiern. Liang und seine Familie waren keine Uiguren, obwohl die Uiguren in Turpan siebzig Prozent der Stadtbevölkerung stellten. Sie waren aber auch keine Han, die dreiundzwanzig Prozent ausmachten. Sie gehörten der Minderheit der Hui an, die im gesamten Turpan-Becken nur sechseinhalb Prozent der Menschen ausmachten.

      In Putaogou gab es einige Hui, in ganz China gab es zehn Millionen. Sie waren Muslime, konnten aber keiner größeren Ethnie zugeordnet werden. Ursprünglich stammten die Hui von einem König der Sulu-Inseln ab, den Philippinen also. Liang und ich saßen am Abend in der Laube am Haupthaus. Sie erinnerte mich sehr an eine südtiroler Törgelstube, nur dass man dort keinen Wein trank, sondern Bier, Liang holte uns jedem eine Flasche. Er sagte, dass es sein Ziel wäre, Weinstuben mit Weinausschank zu errichten, in denen Touristen den Wein des „Grape Valley“ probieren konnten. Die Laube erinnerte mich aber auch an zu Hause, wo ich früher mit den Nachbarn und Frau Aldenhoven saß und wo Frau Aldenhoven aus Ostpreußen erzählte. Liang hatte im Rheingau überall Weinstuben gesehen, sicher, der Islam verbot den Alkoholgenuss, aber dann dürfte man auch kein Bier trinken, Liang jedenfalls wollte sich über das Verbot hinwegsetzen. Plötzlich sprang Liang eine Katze auf den Schoß, sie war schwarz-weiß und schön anzusehen. Liang sagte mir, ich sollte sie einmal zu mir nehmen. Ich hob die Katze auf meinen Schoß und streichelte sie, sie ließ sich das genüsslich gefallen und schnurrte. Liang holte noch zwei Flaschen Bier, als sich Akuma zu uns setzte. Er hätte mit dem ganzen Weinbetrieb nichts zu tun, sagte er, er verstünde nicht, wie man sein ganzes Leben an den Weinbau verschwenden könnte, wie seine Eltern und Liang das täten.

      Er träumte von einem Leben als Elektroingenieur mit einem guten Einkommen und einer Familie. Er wollte in Shanghai leben, am Puls der Zeit und nicht in dem rückständigen Turpan. Liang ließ ihn reden, er jedenfalls sähe seine Zukunft als Weinbauer in Putaogou, er müsste nur noch die richtige Traube finden. Dann kam der Tag des großen Festes. Alle Bewohner des „Grape Valley“ hatten sich herausgeputzt, Liangs Vater trug seinen Sonntagsstaat. Liangs Mutter hatte ein buntes Seidenkleid angezogen, Liang und sein Bruder trugen Jeans, so als gäbe es keinen Anlass, etwas Besonderes anzuziehen. Ich hatte meine normale Kleidung an, ich hatte auch nichts anderes, sah aber ganz passabel aus, wie ich meinte. Wir liefen an dem hohen Trocknungsturm vorbei, wo jedes Jahr dreihundert Tonnen Weintrauben zum Trocknen aufgehängt wurden, bis nach kurzer Zeit in der heißen Luft von den „Flammenbergen“ Rosinen daraus geworden waren. Auf dem Dorfplatz war der Teufel los, neben vielen Touristen, die von überall her angereist waren, hatten sich auch die Einheimischen versammelt, zum Teil in Tracht, womit sie ein lohnendes Objekt für die Kameras boten. Wir mischten uns unter die Menschen, es gab auch hübsche Mädchen unter ihnen, mit denen man tanzen konnte, wenn sie einen ließen. Ansonsten tanzten die Mädchen oft zusammen und die Jungen standen am Rand und starrten in die Gegend.

      Der Singsang auf der Bühne