Bärbel Junker

Der Perlmuttbaum


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lauten Knall hinter sich zu.

      „Danke, Karon“, sagte Samiras und umarmte ihn. „Du bist gerade zur richtigen Zeit gekommen. Seitdem wir in Okzaht sind, gibt es nichts als Ärger und Beleidigungen. Mein Bruder grämt sich so sehr, dass er kaum noch sein Zimmer verlässt. Ohne Liesta, seine kleine Schlange, wäre er wohl schon verzweifelt.

      Sie erinnert ihn an seine Schlangen, die er auf unserer Flucht vor Teufat in der Burg des Magiers zurücklassen musste. Er ist so froh, dass die Zauberin Xzatra sie gerettet und in ihre angestammte Heimat zurückgebracht hat. Das tröstet ihn, aber ansonsten ist er so unglücklich, dass es einem das Herz bricht. Er hasst seinen durch Teufat verunstalteten Körper so sehr, dass er sich am liebsten umbringen würde.“

      Karon zog einen Stuhl heran und setzte sich. „Die Zauberin hat dir doch versprochen, dass Lestopoktus in naher Zukunft seine ursprüngliche Gestalt zurückerhalten wird, nicht wahr?“

      „Ja, das hat Xzatra versprochen.“

      „Na also. Und bis es soweit ist, wird deine Liebe deinem Bruder dabei helfen, diese schlimme Zeit zu überstehen. Du bist stark, Samiras. Das hast du zur Genüge in der Todeswüste bewiesen.“

      „Du hast recht, Karon. Ich sollte wirklich nicht so kleinmütig sein. Irgendwann wird sicherlich alles gut.“

      „Das ist die richtige Einstellung. Nur nicht den Kopf hängen lassen“, sagte Karon zufrieden. „So, und jetzt brauche ich dringend ein Bier. So eine zweitägige Erkundungstour kann einen schon austrocknen. Bin gleich wieder da.“

      Mit langen Schritten ging er zur Theke. Mit einem Humpen Bier in der Hand setzte er sich rittlings auf seinen Stuhl und genehmigte sich einen kräftigen Schluck. „Ah, das tut gut“, seufzte er.

      „Hast du etwas über die Gnome erfahren? Führen sie wirklich Krieg gegen die Trolle?“, wollte Samiras wissen.

      „Krieg wohl noch nicht. Es sind eher kleinere Scharmützel. Aber so etwas kann leicht in mehr ausarten“, erwiderte Karon.

      „Und um was geht es dabei?“

      „Das konnte ich nicht herausfinden. Ein alter Waldläufer, den ich unterwegs traf, meinte, die eher gutmütigen Gnome dieser Gegend würden von irgendjemanden aufgehetzt. Aber von wem, konnte er mir leider nicht sagen.“

      „Was meinst du, könnte uns der Streit bei unserer Suche behindern?“

      „Eigentlich nicht. Die Gnome und Trolle tragen ihren Streit hoch oben in den Bergen aus, während wir uns mehr im flachen Land aufhalten. Nein, ich glaube nicht, dass sie zu einem Problem für uns werden können.“

      „Aber gut, dass du der Sache nachgegangen bist, Karon. Jetzt wissen wir wenigstens Bescheid.“

      „Was ist mit den Reitpferden? Haben Hetzel und Ephlor welche besorgt?“

      „Haben wir“, brummte der Zwerg, der unbemerkt durch den Hintereingang hereingeschlüpft war. Er knuffte Karon freundschaftlich in die Seite. „Schön dich zu sehen, großer Krieger“, grinste er. „Es ist alles vorbereitet. Von uns aus kann es losgehen.“

      „Hallo, Karon“, sagte der Elfenkönig, der lautlos wie ein Schemen aus den Schatten trat. „Was ist mit den Trollen und Gnomen?“

      „Nichts Ernstes. Nur Scharmützel. Wo sind eigentlich die anderen? Mawi kann sich doch sonst vor Neugier kaum einkriegen. Wo steckt denn der kleine Kerl?“

      „Er leistet meinem Bruder Gesellschaft. Und Danina wollte sich ein bisschen umsehen. Okzaht ist ihr nicht geheuer. Sie meint, hier treibe sich zu viel Abschaum herum. Ich finde sie hat recht.“

      „Ich bin auch dafür, die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen“, sagte Ephlor, dessen schmales Elfengesicht unter der Kapuze fast verschwand.

      „Habt ihr euch von dem magischen Transport hierher eigentlich schon erholt?“, fragte Karon. „Oder bin nur ich es, der ständig daran denken muss?“

      Hetzel grinste. „Na ja, als Spektralfarbe in einem Regenbogen zu reisen ist schon etwas Besonderes. Obwohl wir eigentlich gar nichts davon wüssten, hätte Danina es uns nicht verraten. Oder habt ihr viel davon gemerkt?“

      Sie schüttelten einträchtig den Kopf. Nein, gemerkt oder gefühlt hatten sie auf ihrer ungewöhnlichen Reise mit dem Regenbogen eigentlich nichts. Xzatras Magie hatte sie auf diese ungewöhnliche Weise hierher nach Okzaht gebracht, nachdem Samiras den Zaubersamen gefunden hatte und die Burg des Magiers Teufat mit Mann und Maus spurlos im sandigen Boden der Todeswüste versunken war.

      Doch vorher hatten die Zauberinnen Xzatra und Beruna den Magier zur Strafe dafür, dass er einen Pakt mit dem Bösen, einem Äonen alten Dämon, geschlossen hatte, in die Zwischenwelt verbannt. Töten konnten sie ihn nicht, denn Teufat war ebenso unsterblich wie die Zauberin Xzatra.

      Nein, gemerkt hatten sie von ihrer Reise nichts. Es war so, als hätten sie geschlafen, bis sie auf einer Wiese am Rande der Stadt wieder zu sich gekommen waren. Sie waren getrennt in die Stadt gegangen, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen und hatten sich dann im einzigen Gasthof an der Hauptstraße einquartiert.

      „Wann wollen wir abreisen?“, fragte Ephlor.

      „Morgen früh. Ich denke, wir sollten keine Zeit mehr verlieren“, erwiderte Samiras.

      „Ich bin froh, dass es endlich losgeht. Ich verabscheue diese Stadt“, klinkte sich Danina telepathisch in ihre Gedanken ein. Die schwarze Pantherin stand wie hingezaubert plötzlich zwischen ihnen und sah sie aus goldenen Augen aufmerksam an. „Was ist? Gehen wir nach oben und sagen es deinem Bruder.“

      Lestopoktus´ Zimmer befand sich in der zweiten Etage. Auf ihr vereinbartes Klopfzeichen öffnete sich die Tür einen Spalt breit, gerade groß genug, um hindurchschlüpfen zu können.

      Mit hängenden Schultern, um die sich seine kleine, regenbogenfarbene Schlange ringelte, sah ihnen Lestopoktus traurig entgegen. Als Karon ihn da so teilnahmslos inmitten des Raumes stehen sah, musste er an ihre erste Begegnung denken, die nur wenige Tage zurücklag, obwohl er das Gefühl hatte, es wären schon Monate vergangen.

      Wieder sah er sich wartend mit seinen Gefährten in der Todeswüste stehen. Würde der Teleporter Risan Samiras aus der zusammenbrechenden Burg retten können? hatte er sich halb verrückt vor Angst gefragt. Und er konnte sein Glück kaum fassen, als der Sandokka dann zusammen mit ihr aufgetaucht war. „Aber wir dachten, du kämst nicht alleine?“, hatte er gefragt.

      Da hatte Samiras lächelnd eine kleine Maus aus ihrer Umhangtasche hervorgeholt, deren blanke Knopfaugen sie ängstlich musterten. „Und das ist mein Bruder“, hatte sie gesagt und die Maus vorsichtig in den Sand gesetzt. Und dann hatte sich das niedliche Mäuschen vor ihren Augen in Lestopoktus verwandelt, vor dessen grauenhafter Hässlichkeit sie entsetzt zurückgewichen waren. Es musste schrecklich für ihn gewesen sein.

      Samiras, die Not ihres missgestalteten Bruders spürend, hatte ihn schützend in die Arme genommen; und diese arme, geschundene Kreatur hatte sich an seine schöne Schwester gelehnt und bitterlich geweint.

      Das hatte das Eis gebrochen und ihr Entsetzen vertrieben. Alleine Mitleid mit diesem, von Teufat so grausam misshandelten Geschöpf war übrig geblieben. Und dann dieser Moment, als sich die schweren Lider des Formwandlers hoben, dachte Karon. Strahlende smaragdgrüne Augen, Samiras Augen, aus denen bittere Tränen rannen, sahen sie um Sympathie werbend an.

      Dem hatten sie nicht widerstehen können. Sie hatten Lestopoktus herzlich in ihre Gemeinschaft aufgenommen und ihm verziehen, dass er ihnen unter Teufats Einfluss schaden wollte. Er war des Magiers Werkzeug und nicht frei in seinen Entscheidungen gewesen.

      Für Lestopoktus aber begann ein neues Leben. So wie er von jeher die Schlangen geliebt hatte, so liebte er nun seine Schwester, deren Gefährten er schon bald ebenfalls seine Zuneigung und sein Vertrauen schenkte. Aber besonders stark fühlte er sich zu Danina und dem Mauswiesel Mawi hingezogen. Und seitdem er erfahren hatte, dass der monströse Körper