Bärbel Junker

Der Perlmuttbaum


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das Mauswiesel Mawi ihre treuen Begleiter. Alles war wie zu Beginn ihrer Suche nach dem Zaubersamen, nur dass diesmal Lestopoktus dabei war, ihr Bruder, der sie aus dem Kerker in Teufats Burg befreit hatte. Ohne ihn hätte sie den Zaubersamen niemals gefunden. Oh ja, Teufat hatte ihn wahrlich gut und sicher versteckt. Ohne die ihr zur rechten Zeit gesandte Vision wäre sie niemals darauf gekommen, dass der Zaubersamen in Lestopoktus´ blasenförmigen Schwanzende in einer Kapsel versteckt war.

      „Was ist? Träumst du?“, fragte Hetzel und führte seinen braunen Wallach so dicht an ihr vorbei, dass er sie streifte.

      Samiras trat hastig beiseite. Sie hatte in Gedanken versunken mitten im Eingang zum Stall gestanden und nicht bemerkt, dass ihre Gefährten die Pferde bereits gesattelt hatten und sie ihnen den Weg nach draußen versperrte.

      „Die Stute ist für dich“, sagte Ephlor, als er sein Pferd, eine graue Fuchsstute, am Halfter an ihr vorbeiführte.

      Nachdem auch noch Karon mit seinem Rappen nach draußen verschwunden war, ging sie hinüber zu der Schimmelstute, die bereits gesattelt auf sie wartete. Sie griff nach dem Halfter und führte sie hinaus.

      Sie saßen noch nicht auf, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Alles war ruhig. Okzaht schlief noch tief und fest. Hintereinander verließen sie die Stadt.

      Samiras streichelte die Stute, die sie aus großen dunklen Augen verständig ansah. Ich werde dich Akazie nennen, dachte sie und strich dem schönen Tier sanft über die weichen Nüstern.

      Dabei behielt sie argwöhnisch die dicht nebeneinander stehenden Häuser zu beiden Seiten der Straße im Auge, denn sie hatte die Gier der Angreifer vom gestrigen Abend nicht vergessen.

      Für einen kurzen Moment glaubte sie zwischen den Häusern eine Bewegung gesehen zu haben. Doch als sie genauer hinsah, waren da nur gestaltlose Schatten. Sie hatte sich wohl getäuscht. Wenig später lag die Stadt hinter ihnen und sie saßen auf.

      „Ab jetzt musst du die Führung übernehmen, denn deine Visionen sollen uns ja die Richtung weisen“, erinnerte Karon sie.

      „Hoffentlich trifft Xzatras Prophezeiung zu“, erwiderte Samiras und musterte mit klopfendem Herzen seine stattliche, ganz in schwarzes Leder gekleidete Gestalt, die sich kaum von seinem Rappen abhob und mit dem Tier zu verschmelzen schien. Karon war ein zutiefst ehrenhafter Mann, ganz anders als sein Freund George, der sie an Teufat verraten hatte und zum Dank dafür von dem Magier ermordet worden war. Karon konnte sie vertrauen. Doch nicht nur das, gestand sie sich endlich ein.

      Nein, Karon weckte Gefühle in ihr, die ihr Herz höher schlagen ließen und sie verunsicherten. Ob dieses Kribbeln im Bauch wohl das ist, was die Menschen Liebe nennen? dachte sie verwirrt.

      „Was ist? Träumst du?“, fragte Karon.

      Sie senkte verlegen den Kopf und nahm ihren Platz an der Spitze des kleinen Trupps ein.

      In seinen Umhang gehüllt wartete Lestopoktus darauf, dass es endlich weiterging. Er benötigte kein Pferd, das er in seiner ihm von Teufat gegebenen Gestalt sowieso nicht hätte reiten können. In ein kleines Tierchen verwandelt war er leicht genug, um jederzeit bei einem seiner Freunde mitzureiten, ohne dass es das Pferd zusätzlich belastete. Doch jetzt wollte er zuerst einmal in einen Raben verwandelt über ihnen kreisen, um sie vor möglichen Gefahren rechtzeitig warnen zu können.

      „Dann auf ein Neues“, sagte Samiras und trieb Akazie mit einem leichten Schenkeldruck an. Gefolgt von ihren Gefährten ritten sie gen Westen, wo hinter der Lawar-Gebirgskette der versteinerte Baum, ihr erstes Ziel, auf sie wartete.

      Danina hielt sich mühelos an Samiras´ Seite. Froh der Enge der Stadt entflohen zu sein, streckte sie ihren sehnigen, muskulösen Körper in weiten, kraftvollen Sprüngen. Sie war so glücklich über die wiedergefundene Freiheit, dass sie zu fliegen glaubte. Sie hob den Kopf und blickte zu ihrer Gefährtin auf, die sie lächelnd beobachtete.

      Beim Gott der Katzen, sie liebte diese Frau!

       DIE FALLE

      Das Land war weit und eben und sie kamen gut voran. Gegen Mittag jedoch versperrte ihnen ein bedrohlich wirkendes Felsmassiv den Weg, dessen zerklüftete Ausläufer mit dürrem Gras und niedrigen, knorrigen Bäumen bewachsen waren. Zwischen hoch aufragenden Felswänden führte ein schmaler Pfad hindurch, der einzige Weg weit und breit. Sie ritten näher heran und sahen, dass der Boden an vielen Stellen so zerfurcht und ausgewaschen war, als fließe hier oft und viel Wasser hindurch.

      „Irgendetwas stimmt hier nicht, Samiras“, warnte Danina.

      „Das Gefühl habe ich auch. Trotzdem gibt es nur diesen einen Weg, falls wir nicht zurückreiten und einen günstigeren suchen wollen. Aber das kostet Zeit.“ Und die haben wir nicht, fügte sie im Stillen hinzu, denn sie hatte die Drohung, die ihr der Dämon aus seinem Tümpel in dem unterirdischen Gewölbe in Teufats Burg entgegengeschleudert hatte, nicht vergessen. Und wie schon so oft, klang sie auch jetzt wieder in ihren Ohren:

      „Für heute hast du gewonnen. Doch das Böse lässt sich nicht auf ewig verbannen. Ich kehre stets wieder zurück, denn ich bin unsterblich, existiere schon so lange wie die Welt. Wir sehen uns wieder, Samiras, und dann gewinne ICH! Ich habe Zeit, so unendlich viel Zeit. Du hast den Zaubersamen gefunden, jedoch den Perlmuttbaum noch nicht zu neuem Leben erweckt. Sollte es dir nicht gelingen, kehre ich aus der Verbannung zurück und vernichte dich und alles, was dir lieb und wichtig ist.

      Schaffst du es jedoch, dann sage ich dir: Vereinige dich ruhig mit dem Perlmuttbaum und erwecke ihn zu neuem Leben. Schenke der Welt ein schöneres Kleid. Welch ein Vergnügen wird es dann erst für mich sein zurückzukehren und alles wieder zu zerstören. Und glaube mir, ich werde es mit jeder Faser genießen!“, gellte seine abscheuliche, boshafte Stimme auch jetzt wieder in ihren Ohren.

      Was mochte er wohl damit gemeint haben: Vereinige dich ruhig mit dem Perlmuttbaum? Niemand konnte eins werden mit einem Baum. Und doch hatte er es gesagt. Also musste es auch etwas bedeuten? Aber was? Sie wusste es nicht und würde es durch Grübeln auch sicherlich nicht erfahren.

      Einen Steinwurf von ihnen entfernt landete der Rabe Lestopoktus auf einem knorrigen Ast und beobachtete sie.

      Karon und Hetzel musterten argwöhnisch die hohen Felswände. Doch falls wirklich Gefahr bestand, zeigte sie sich nicht. Sie mussten sich entscheiden. Wollten sie das Wagnis einer möglichen Bedrohung eingehen oder lieber zurückreiten, um nach einem anderen Weg zu suchen?

      Sie waren sich schnell einig. Ihr gefahrvoller Weg durch die Todeswüste hatte sie zu Freunden werden lassen, da bedurfte es nicht vieler Worte. Die Zeit drängte, also würden sie sie nicht vergeuden. Sie lenkten ihre Pferde auf den schmalen Pfad und ritten im Schritttempo hintereinander weiter. Alles blieb ruhig. Sie entspannten sich.

      Da schnappte im letzten Drittel des Weges die Falle zu!

      Von oben fiel ein Netz über sie, dem alleine Danina mit einem geschmeidigen Satz entkam. Sekunden später war sie verschwunden, Samiras und Hetzel, Ephlor und Karon jedoch mit ihren Pferden in dem Netz gefangen. Sie verloren keine Sekunde. Mit ihren Messern versuchten sie sich aus dem stabilen Maschenwerk zu befreien und hätten es vielleicht sogar geschafft. Aber natürlich ließen ihnen ihre noch unsichtbaren Angreifer nicht die dafür erforderliche Zeit.

      „Wir bekommen Besuch“, knurrte Hetzel und griff nach seiner Axt, einer fürchterlichen Waffe in der Hand des Zwerges.

      Und da stürmten auch schon johlend vor und hinter ihnen wüst aussehende, schwer bewaffnete Kerle herbei und umzingelten sie.

      „Versteck dich“, raunte Samiras Mawi zu. „Danina ist entkommen und Lestopoktus beobachtet uns aus der Ferne. Du kannst uns sicher später noch helfen. Im Moment jedoch kannst du für uns nichts tun. Schnell jetzt! Verschwinde!“ Sie durchtrennte mit ihrem Dolch hastig einige Schnüre und das Mauswiesel huschte davon.

      Gerade noch rechtzeitig!

      „Legt