Bärbel Junker

Der Perlmuttbaum


Скачать книгу

nachkommen, lieber würde er sterben. Menschen! Sie wissen nichts, aber auch gar nichts über uns.

      „Bist du taub, Elf? Macht nichts. Dann wird die Frau es mir eben sagen. Bestimmt weiß sie es auch. Also?“

      Samiras sah ihn groß an. „Ich habe überhaupt keine Ahnung wovon du sprichst. Was für ein Elfenland? Wo soll das sein? Ich habe noch nie davon gehört.“ Was dachte sich dieses primitive Individuum eigentlich? Von ihr würde er bestimmt nichts über die Elfenstadt Esdahl erfahren. Sie würde das Vertrauen der Elfen niemals missbrauchen, eher würde sie sich umbringen.

      Kretox stieg die Zornesröte ins Gesicht, breitete sich aus und setzte seinen kahlen Schädel förmlich in Brand. Er schäumte fast vor Wut und sah aus, als würde er jeden Moment Funken sprühen.

      Gleich trifft ihn der Schlag, dachte Hetzel. Schade wäre es um den Dreckskerl nicht.

      „Sie wissen es! Sie wissen es bestimmt!“, keifte der Skorp. „Verdammt, Kretox, du musst es aus ihnen herausbringen. Wir brauchen den Schatz. Mein Volk hat dir schließlich nicht umsonst bei der Vernichtung Kaffras geholfen. Du hast uns dafür etwas versprochen und ich hoffe für dich, du hältst dich daran.“

      Karon zuckte zusammen. Was sagte der Skorp da über Kaffra? Sie hatten es zerstört? Und was war mit den Menschen dort? Seine Kopfhaut zog sich vor Entsetzen zusammen als ihm plötzlich einfiel, dass die Skorps auch dem Kannibalismus frönten und selbst das Fleisch ihrer Verwandtschaft nicht verschmähten. Mein Gott, dachte er verstört, was ist aus meiner Familie geworden?

      „Was ist los, Karon?“, fragte Ephlor leise. Doch sein Freund und Gefährte schüttelte nur den Kopf. Sprechen konnte er nicht, denn sein Hals war wie zugeschnürt. Er musste wissen, was mit seiner Familie passiert war, vorher würde er hier auf keinen Fall verschwinden!

      Auch Samiras horchte auf, als der Name Kaffra fiel. Hatte ihr Karon nicht in der Todeswüste erzählt, er habe mit seinen Eltern, Bruder und Schwester in eben diesem Ort gelebt? Sie sah ihn an und wusste, dass ihre Erinnerung sie nicht trog. Gütiger Himmel! dachte auch sie; und die Erinnerung an die grausigen Essgewohnheiten der Skorps ließ sie frösteln.

      „Reg dich ab, Iont“, zischte Kretox. „Sobald die Gefangenen unsere vielen lieben Freunde kennenlernen sprechen sie, das garantiere ich dir.“ Und an seine Leute gewandt: „Ab mit ihnen. Bringt sie zum See.“ Böse grinsend sah er ihnen hinterher.

      Und noch tiefer ging es hinein in diesen Irrgarten aus Stollen, Korridoren und Höhlen.

      „Ich habe ein ganz, ganz mulmiges Gefühl“, flüsterte Hetzel Samiras zu. „Ich hasse Wasser. Ich kann nämlich nicht schwimmen.“

      „Wir sind da“, verkündete Kurt und blieb vor einer Öffnung in der Felswand stehen. „Nach dir, Süße“, grinste er und gab Samiras einen Schubs, der sie durch den niedrigen Durchgang taumeln ließ.

      Penetrant modriger Gestank nach Altem, längst Vergangenem und nach etwas, dass sie nicht definieren konnten, schlug ihnen entgegen und drehte ihnen fast den Magen um.

      Die Kerle stießen sie weiter, bis dicht an den Rand eines Sees, der die größte Fläche der riesigen Höhle einnahm. Mehrere Pfähle, zu denen schmale Holzstege führten, ragten aus dem spiegelglatten Wasser empor und sie fragten sich lieber erst gar nicht, was sie zu bedeuten hatten.

      „Rein mit ihnen und bindet sie schön fest“, befahl Kretox, der zusammen mit dem Skorp eben die Höhle betrat. Grinsend sah er zu wie seine Spießgesellen Samiras und ihre Gefährten zu den Pfählen führten und sie zwangen, auf die daran angebrachten schmalen Plattformen zu steigen.

      „Es ist ganz einfach, Süße“, feixte Kretox. „Da der Elf anscheinend die Sprache verloren hat, stelle ich dir eine Frage und wenn ich mit der Antwort nicht zufrieden bin, lässt Iont die Pfähle, die absenkbar sind, zusammen mit deinen Freunden jedes Mal ein Stückchen tiefer sinken, bis sie irgendwann fast unter der Wasseroberfläche verschwinden.

      Ich sagte fast, denn meine ständig hungrigen Tierchen knabbern lieber an frischem, lebendigen Fleisch, als an Wasserleichen, verstehst du? Nein? Das kommt noch, wenn du meine hübschen Riesenkrabben und Krebse erst einmal siehst.

      Aber ihr habt Glück. Ich habe nämlich noch etwas zu tun und gebe euch deshalb eine halbe Stunde, um euch mit meinen Lieblingen schon mal aus der Ferne anzufreunden. Danach komme ich zurück und wenn ihr dann noch immer nicht sprechen wollt ...“ Er machte eine Kunstpause und grinste sie an.

      „Na ja, dann nimmt das Schicksal eben seinen Lauf. Meine Tierchen haben nämlich einen Riesenappetit. So, das war´s fürs Erste. Jetzt bist du dran, Iont.“

      Der Skorp ging zu einem Felsblock, aus dem eine eiserne Kurbel ragte, legte seine Klauenhände darum und begann zu drehen. Zwei engmaschige Gitter stiegen vor dem See empor und rasteten knirschend in den dafür vorgesehenen Schienen ein. Als sie fest verankert waren ließ Iont die Kurbel los und ging zu einem roten Knopf, der sich wie ein dicker Blutstropfen von dem grauen Stein abhob.

      „Und jetzt passt gut auf“, grinste Kretox.

      Iont drückte auf den Kopf. Knarrend öffnete sich eine schwere Klappe im Felsgestein zwischen den Gittern und eine Flut von Krebstieren aller Art flutete unter- und übereinander in den etwa anderthalb Meter breiten Gang zwischen Wasser und Höhle. Riesige Hummer streckten ihre mächtigen Scheren den entsetzten Gefangenen entgegen, während nicht minder gefährliche Langusten versuchten durch das Gitter zum Wasser zu gelangen.

      „Noch hält sie das Gitter von euch fern“, rief Kretox. „Doch sollten meine Fragen unbeantwortet bleiben ...“ Sein Schweigen sagte mehr als alle Worte. „Also dann. Eine halbe Stunde. Überlegt es euch gut.“

      Er drehte sich um und verließ mit langen Schritten die Höhle. Seine Spießgesellen und der Skorp folgten ihm. Ihre Schritte entfernten sich schnell und waren schon bald verklungen.

      Still war es. Nur das an den Nerven zerrende Aneinanderreiben chitingepanzerter Körper unterbrach die Totenstille.

      Karon und Hetzel starrten entsetzt auf das Gewimmel hinter dem Gitter und die Furcht, das Getier könne zu ihnen gelangen, ließ sie wie von Sinnen an den Fesseln zerren, die tief in ihre Haut schnitten. Sie hatten sich niemals davor gefürchtet, in einem Kampf ihr Leben zu verlieren, doch die Vorstellung bei lebendigem Leib von diesen scheußlichen Viechern gefressen zu werden, raubte ihnen fast den Verstand.

      Ephlor schien sich entweder nicht zu fürchten, was beim Anblick des Krebstiergewimmels ungewöhnlich gewesen wäre, oder sein Stolz ließ nicht zu, dass seine Gefährten es merkten. Er hing mit unbewegtem Gesicht in seinen Fesseln und sah Samiras aus seinen glänzenden Sternenaugen unverwandt an.

      Diese beobachtete besorgt Hetzels und Karons fruchtlose Bemühungen sich zu befreien. Sie zogen sich nur unnötige Verletzungen zu und verloren kostbare Zeit, die sie dringend für ihre Flucht benötigten. Denn fliehen würden sie!

      „Hört auf an euren Fesseln zu zerren, das bringt doch nichts“, rief sie. Und als die beiden nicht reagierten: „Verdammt noch mal, Karon! Hetzel! Wir müssen hier sofort raus!“

      „Sag es ihnen, Samiras. Es wird ihre Einstellung zu dir gewiss nicht verändern“, sagte Ephlor leise.

      „Du weißt?“

      Er nickte. „Beruna hat es mir gesagt. Ihr bleibt kaum etwas verborgen. Sie hat es von Anfang an in dir gespürt.“

      „Was soll sie uns sagen?“, fragte Karon.

      „Dass ich uns befreien kann, indem ich mich in eine Schlange verwandle“, erwiderte sie leise.

      Karon starrte sie mit offenem Mund sprachlos an. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“

      „Mein voller Ernst.“

      „Aber die Fesseln. Wie sollen wir die verdammten Fesseln loswerden?“, fragte Hetzel. „Schließlich haben Schlangen keine Hände, oder?“

      „Aber