Bärbel Junker

Der Perlmuttbaum


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graziler Schlangenkörper wand sich mühelos aus den Fesseln und glitt geschmeidig auf ihre Gefährten zu. Unter ihrer gespaltenen Zunge zerfielen die Fesseln zu Staub. Ihre Gefährten waren frei. Sofort glitt sie zu einem der Holzstege. Als sie sich hinaufschwang, hatte sie ihre normale Gestalt bereits wieder angenommen.

      Hetzel stapfte mit blassem Gesicht, in dem noch immer deutlich die Furcht vor dem Wasser geschrieben stand, auf sie zu. „Du bist die schönste Schlange der Welt“, flüsterte er und drückte dankbar ihre Hand.

      „Das ist unglaublich“, sagte Karon verwirrt. „Doch ich bin ganz deiner Meinung, Hetzel. Sie ist als Schlange ebenso schön wie als Frau.“

      Ephlor lächelte nur.

      „Und wie kommen wir jetzt an den Mistviechern vorbei, ohne dass sie uns verspeisen?“, fragte Hetzel und schüttelte sich.

      Da nahte wieder einmal Hilfe in Gestalt der Pantherin, die als dunkler Schatten im Eingang auftauchte.

      „Sag ihnen, sie sollen zur Seite gehen, Samiras. Ich brenne euch den Weg frei“, befahl sie und ihre goldenen Augen begannen zu glühen.

      Sie sprangen beiseite. Sekunden später war alles vorbei, und der Gestank nach verkohlten Krebstieren verpestete die Luft und nahm ihnen den Atem. Hastig kletterten sie über das Gitter.

      „Wo ist Danina?“, fragte Samiras. Doch die Pantherin hatte die Höhle bereits wieder verlassen.

      „Das habt ihr euch so gedacht“, sagte Kurt, der plötzlich im Eingang der Höhle auftauchte und mit der Armbrust auf sie zielte. „Dabei wollte ich nur mal nach der Süßen sehen“, grinste er dreckig.

      „Wolltet also einfach so abhau´n. Gar nicht nett von euch. Das wird Kretox bestimmt nicht gefallen. Und dann habt ihr auch noch seine lieben Tierchen verschmort. Würde mich interessieren wie ihr das gemacht habt? Ach, ihr wollt es mir nicht sagen. Auch gut, dann eben nicht.“

      Sie antworteten nicht. Aber Samiras schickte einen Hilferuf an Danina hinaus.

      Und Karon starrte wie hypnotisiert auf die beiden Ringe, die an einem Lederband auf Kurts Brust hingen. Es waren zwei in sich verschlungene, ringförmige Gebilde mit einem Achat in der Mitte, in den ein herzförmiger Rubin eingearbeitet war. Ausgesprochen ungewöhnliche Schmuckstücke für so einen Halunken.

      „Was glotzt du so blöde?“, pöbelte Kurt. Die Armbrust beschrieb einen Bogen und zielte jetzt auf Karons Brust.

      „Woher hast du die Ringe?“, flüsterte Karon mit steinernem Gesicht.

      Kurt grinste verschlagen. „Schöne Stücke nich´?“

      „Woher hast du sie?“

      „Ein Geschenk. Hat mir ´n nettes Ehepaar geschenkt.“

      „In Kaffra?“

      „Was? Woher weißt du ...“

      Aus dem Stand heraus hechtete Karon auf ihn zu. Der Bolzenschuss, der sich noch aus der Armbrust löste, verfehlte ihn nur um Haaresbreite. In einem Wirbel aus Armen und Beinen stürzten die beiden Männer zu Boden, und die Armbrust flog im hohen Bogen davon. Karon rollte sich geschmeidig ab, sprang auf die Beine und stellte seinen Fuß auf Kurts Kehlkopf, der ihn aus hervorquellenden Augen entsetzt anstarrte.

      „Antworte, Kerl, oder du hast einen Kehlkopf gehabt. Also: Woher hast du die Ringe?“

      „Au...aus Ka...Kaffra“, stammelte Kurt kreidebleich vor Angst. Er konnte zwar austeilen, aber nicht einstecken, konnte es nicht ertragen, der Unterlegene zu sein. Dieser Mann da über ihm machte ihm Angst, flößte ihm Furcht ein wie noch niemals jemand zuvor. Und er meinte es ernst mit seiner Drohung, dass verriet der eisige Blick seiner gletscherblauen Augen.

      „Vo...von Toten“, flüsterte er.

      „Hast du sie ihnen gestohlen?“

      Kurt nickte. „Sie – sie brauchten sie doch nicht mehr.“

      Karon biss die Zähne so hart zusammen, dass sie knirschten. „Was ist in Kaffra passiert?“ Und als Kurt nicht gleich antwortete trat er ihm so hart in die Rippen, dass es knirschte.

      „Also?“

      „Karon, wir müssen hier verschwinden“, mahnte Hetzel.

      Doch dieser wischte die Aufforderung mit einer knappen Handbewegung fort.

      „Du hast mir die Rippen gebrochen“, stöhnte Kurt.

      „Ich breche dir gleich noch was ganz anderes, wenn du nicht augenblicklich sprichst. Also?“

      „Kretox hatte dort noch alte Rechnungen offen. Die Skorps und wir halfen ihm, sie zu begleichen.“

      „Was ist aus den Menschen dort geworden?“

      Kurt senkte furchtsam den Blick. „Sie sind alle tot“, flüsterte er. „Die – die Skorps haben ...“, er verstummte unter Karons mörderischem Blick.

      „Tu es nicht, Karon. Er ist es nicht wert“, sagte Samiras und nahm seine Hand.

      Er sah sie aus schmerzumflorten Augen an. „Meine Eltern, meine Schwester, mein Bruder“, flüsterte er.

      „Ich weiß“, hauchte sie. „Komm.“

      Er zog den Fuß von Kurts Gurgel zurück und bückte sich. Mit einem Ruck riss er ihm das Lederband vom Hals. Den größeren Ring schob er auf seinen Finger, den kleineren steckte er ein. Das Lederband warf er fort. Dann ließ er sich wie ein Kind von Samiras wegführen.

      „Du Mistkerl“, kreischte Kurt hinter ihm und zog blitzschnell ein Messer aus dem Stiefelschaft. Seine Hand mit dem zum Wurf bereiten Messer fuhr hoch. Alles ging so schnell, dass Hetzel und Ephlor viel zu spät reagierten. Sie hätten den hinterhältigen Anschlag nicht verhindern können.

      Da tauchte Danina im Eingang auf und erkannte die Karon drohende Gefahr. Mit explosionsartiger Wucht stieß sie sich aus dem Stand heraus mit den muskulösen Hinterbeinen ab. Ihre langen Reißzähne funkelten und ihre goldenen Augen glühten in dem keilförmigen, schwarzen Kopf, als sie wie ein Pfeil durch die Luft auf den hinterhältigen Attentäter zuflog. Ihre starken Kiefer schlossen sich um den Messerarm. Es knackte fürchterlich. Der heimtückische Mörder brach schreiend zusammen und umklammerte wimmernd seinen leeren Ärmel.

      „Ich hasse das“, murrte Danina. „Auch so ein menschlicher Aberglaube, dass Raubkatzen Menschenfleisch mögen. Damit kann man sich ja glatt vergiften“, knurrte sie und wischte ihren Bart an seiner Hose ab, bevor sie die Höhle verließ.

      „Lasst uns bloß endlich von hier abhauen“, drängte Hetzel und rannte der Pantherin hinterher, die ein höllisches Tempo vorlegte.

      „Wo will sie hin?“, keuchte Ephlor völlig außer Atem.

      „Sie weiß, wo unsere Waffen sind“, erwiderte Samiras.

      Danina flitzte wie ein schwarzer Blitz durch Gänge und Höhlen und Samiras und ihre Freunde jagten ihr keuchend hinterher. Endlich sahen sie vor sich Licht. Der Ausgang! Lange hätten sie Daninas Tempo nicht mehr durchhalten können.

      In einer Nische fanden sie ihre Waffen und anderen Sachen – und davor lagen zwei tote Wachposten.

      „Musste das sein?“, fragte Samiras.

      „Natürlich, sonst hätte ich es ja wohl nicht getan“, brummte Danina beleidigt und ließ sie stehen.

      Sie hatten Glück. Neben dem Eingang zur Mine warteten noch immer ihre gesattelten Pferde und neben ihnen Lestopoktus in Gestalt eines stolzen Adlers gemeinsam mit Mawi. Sie saßen auf und ritten davon. In sicherer Entfernung zügelte Samiras ihr Pferd.

      „Irgendwie kann ich es noch immer nicht fassen, was dieses zarte Persönchen so alles anstellt“, grummelte Hetzel.

      Samiras richtete die geballte Kraft ihrer Gedanken auf den Felsen über dem