Norman Dark

Lotus im Wind


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      Norman Dark

      Lotus im Wind

      Mystery-Roman

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       Verlagslogo

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Kapitel 1Prolog

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Impressum neobooks

      Kapitel 1Prolog

       PROLOG

      Es waren die schwülheißen Tage Mitte August, an denen in Kyōto traditionell das alljährliche bud-dhistische Totenfest, das Obon-Fest gefeiert wurde. Laternen an Hauseingängen, Wegen und Flüssen luden die Seelen verstorbener Ahnen in die Häuser der Hinterbliebenen ein, um dort bewirtet zu werden und mit ihnen gemeinsam die folgenden Nächte zu verbringen, derweil auf den Straßen gefeiert und getanzt wurde. Die Laternen, die während des Festes in Buchten, auf Flüssen, Seen oder dem Meer platziert wurden, ließ man am Ende der Feierlichkeiten abdriften, um damit den Rückweg der Vorfahren zu ihren Gräbern zu symbolisieren. Ein gigantisches Feuerwerk am Ende des Festes hingegen sollte die unerwünschten Geister vertreiben.

      Aufführungsorte dieses japanischen Festivals waren neben Tempeln, Schreinen und Kulturzentren auch öffentliche Plätze, wo die Menschen auf ovalen oder kreisförmigen Linien tanzten. In der Mitte gab es meist eine erhöhte hölzerne Plattform, auf der ein Taiko-Trommler den Takt der Musik begleitete. Außerhalb der ovalen Linien säumten immer zahlreiche Zuschauer den Spielort, um den Taiko-Trommlern, den Taiko-Gruppen und den Tanzenden Beifall zu spenden.

      Yumiko Koizumi, deren Nachname „kleine Quelle“ bedeutete, war die verborgene Welt mit ihren Er-zählungen über Dämonen, Rachegeister, Monster, Zaubertiere, und andere Spukgestalten nicht fremd, denn sie war mit den hyakkumonogatari, einer Sammlung von Gruselgeschichten, aufgewachsen. Wörtlich übersetzt bedeutete das Wort: „Hundert Geschichten“. Zugrunde lag eine Geisterbe-schwörungspraxis, bei der die Teilnehmer ab-wechselnd Gespenstergeschichten erzählten und an deren Schluss jeweils eine von hundert Kerzen löschten, die zuvor den Raum erhellten. Nach der letzten Erzählung erschien den Séance-Teilnehmern dann das herbeigerufene Geistwesen. Und auch Yumikos Familie hatte zu denen gehört, die sich am Ende der Regenzeit an heiß-schwülen Sommertagen die kaum weniger erträglichen Abendstunden mit abwechselnd vorgetragenen Gruselgeschichten versüß-ten. Der einhergehende Gänsehautschauer hatte dabei kaum für Abkühlung gesorgt, umso mehr beeinflussten die Geschichten, in denen auch immer wieder yôkai vorkamen, die Träume und die Fantasie der Kinder.

      Die yôkai, eine Art dämonischer Wesen, die in Theaterstücken, Erzählungen und sogar in die klas-sischen Geschichtsbücher Einzug gehalten hatten, waren in Japan nach wie vor beliebt und fanden auf Werbeplakaten und Sammelkarten Verwendung. Unter anderem sagte man ihnen nach, dass sie ungenutzte oder vergessene Gegenstände zum Leben erwecken konnten, die sich dann an ihren nachlässigen Besitzern rächten. Dabei war es egal, ob es sich um Musikinstrumente, Möbelstücke, Schiebetüren oder gar Regenschirme handelte. Der Volksmund sagte, dass über neunundneunzig Jahre nicht berührte Dinge sich als Spukgestalten in Erinnerung brachten.

      Yumiko konnte an diesem späten Abend nicht sagen, was die Ursache für ihre seltsame Sinnes-wahrnehmung war. Die eigentümliche Atmosphäre des Obon-Festes, die drückende Schwüle, die schaurige Puppe im Theater oder einfach nur Erschöpfung und Müdigkeit. Jedenfalls erschrak sie heftig, als die Küche in dem Haus, das sie bewohnte, ein gänzlich anderes Erscheinungsbild bot. Statt modernen, hochwertigen Geräten und nüchternen Einbauschränken befand sich jetzt mitten im Raum eine rechteckige Öffnung im Holzfußboden, eine Art mit Sand aufgefüllte Grube mit einem lackierter Holzrahmen darum. Von der Decke reichte ein Bambusrohr herab, an dem sich ein Eisendraht in Form eines Fisches zum Aufhängen des Topfes befand. Yumiko erkannte sofort, dass es sich bei der Anlage um den traditionellen japanischen Herd, namens Irori, handelte. Ein Ofentyp, der in der frühen Nara-Zeit neben dem Kochen auch zum Heizen gedient hatte. Auf Fotos und Illustrationen hatte sie diesen Herd öfter gesehen. Außerdem fand eine kleinere Form des Irori noch immer in japanischen Teehäusern Verwendung.

      Aber, als sie am Nachmittag das Haus verlassen hatte, war der Herd in ihrer Küche noch ein modernes Ceranfeld gewesen, und ihre Wohnung war alles andere als ein öffentliches Teehaus. Auch konnte man ihr so manches nachsagen, nur eine schlechte Köchin war sie nicht. Schon gar keine, die ihren Herd über Jahre unberührt ließ, weil sie sich nur von mitgebrachtem Fast Food ernährte. Wenn also ein yôkai für den Spuk verantwortlich war, dann hatte er tüchtig danebengegriffen. Nur sagte eine leise Stimme in Yumikos Innerem, dass es eine andere Ursache für diese seltsame Begebenheit geben musste, denn es war nicht die erste, die sich in der letzten Zeit ereignet hatte. Dass es auch nicht die letzte sein würde, wusste Yumiko an diesem Abend noch nicht. Es war mehr eine leise Ahnung, die sie befiel, dass es erst der Beginn einer Kette von mysteriösen Ereignissen war, die nachhaltig ihr Leben beeinflussen würden.

      Kapitel 2

      Das kleine Mädchen zitterte am ganzen Körper. Die Ursache war weniger der Umstand, dass es in diesem frostigen Winter des Jahres 1920 nur einen dünnen Mantel trug, sondern vielmehr die Furcht vor dem, was da auf es zukommen würde. Als brave Tochter hatte sie nicht widersprochen, als ihre Eltern ihr eröffneten, dass jetzt für sie ein ganz neues Leben beginnen, das ihr Ruhm und Ansehen bringen würde. Man werde sie in kostbare Stoffe hüllen und ihr auserlesene Köstlichkeiten servieren. Sie würde nie wieder Hunger leiden müssen und könnte irgendwann ihre Familie finanziell unterstützen. Die Kleine konnte mit Begriffen wie Ruhm und Ansehen nichts anfangen. Wie edle Stoffe sich anfühlten, wusste sie auch nicht, deshalb vermisste sie diese nicht, und wenn es bei ihrer Familie in dem kleinen Fischerdorf mitunter wenig zu essen gab, so hatte sie das als normal empfunden. Anderen Kindern erging es bestimmt nicht anders, dachte sie. Ihrer Familie zu helfen, indem sie sich in das fremde Ōsaka bringen ließ, war der einzige Grund, weshalb sie die Trennung von ihren Geschwistern und Eltern tapfer ertrug. Sie hatte es sogar fertig gebracht, beim Abschied nicht zu weinen, um ihre Mutter nicht noch trauriger zu machen.

      Als sie in das Haus geführt wurde, musste sie zuerst ihre Schuhe ausziehen, um auf den Tatami-Matten keine Flecken zu hinterlassen. Erst dann konnte sie weiter Vordringen auf ihren dünnen, abgetragenen Socken. In dem Raum, in den man sie führte, befanden sich fünf Personen, allesamt weiblich. Die älteste schien eine Dienerin zu sein, denn sie versuchte der kaum jüngeren jeden Wunsch von den Augen abzulesen und war unentwegt bemüht, geschäftig hin und herzulaufen und sich dabei möglichst geräuschlos zu verhalten. Dann gab