Norman Dark

Lotus im Wind


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erzählst du mir morgen. Komm, lass uns noch einen Schlummertrunk nehmen, bevor ich mich in meine Gemächer zurückziehe. Das wird dir guttun.«

      »Falls du noch etwas essen möchtest, im Kühlschrank sind Sushi von der neuen Nachbarin, der Schwester der alten. Sieht etwas seltsam aus, so krumm wie sie geht und mit ihren dicken Brillengläsern.«

      »Und von der soll ich etwas essen? Verzichte, wer weiß, was die da reingetan hat, wenn sie so schlecht sieht.«

      Emi arbeitete fleißig und versuchte, sich an die Regeln in der okiya zu halten. Nur manchmal bekam sie den Zorn der okāsan zu spüren, wenn sie sich vorlaut oder ungeschickt verhielt. In den Nächten weinte sie oft, wollte aber durchhalten, um ihren Eltern keine Schande zu machen. Bei den geikos genoss sie noch so etwas wie Welpenschutz. Zumindest Himawari, deren Name Sonnenblume bedeutete, schaute sie nach wie vor freundlich an und streichelte ihr sogar hin und wieder die Wange, während Sakura sehr verhalten reagierte, aber wenigstens nicht schimpfte und kleine Fehler großzügig übersah.

      Inzwischen hatte Emi viel über die Mitglieder ihrer neuen Familie erfahren. So war Wattan absolut keine Dienerin, davon gab es andere, die sich meist im Hintergrund hielten, sondern eine maiko, die es nie geschafft hatte, in den Stand einer geiko aufzusteigen. Ihr unterwürfiges Verhalten gegenüber der okāsan war vielmehr ein Teil ihres Wesens und zeugte von Verehrung und Dankbarkeit, dass sie all die Jahre zur Familie gehören durfte.

      Mit großen Augen schaute Emi immer wieder heimlich durch einen Spalt zwischen den Schiebetüren, hinter denen Himawari und Sakura zum abendlichen Ausgehen zurechtgemacht wurden. Die Geishas verhielten sich unterschiedlich, wenn sie bemerkten, dass Emi sie beobachtete. Während Sakura sie sofort mit einer einzigen Bewegung ihrer schmalen Hand verscheuchte, winkte Himawara Emi heran und erlaubte, dass sie ihr bei der Schminkzeremonie zuschaute. Dabei gab sie auch einige Erklärungen ab.

      »Das Gesicht schminkt sich eine geiko stets selbst. Weißt du woher der Name geiko kommt?«

      Emi schüttelte den Kopf.

      »Der Begriff Geisha, setzt sich zusammen aus gei, also Kunst oder Künste und sha - Person. Er stammt aus dem Tokyoter Dialekt. Im Hochjapanischen heißt es geigi – Künstlerin und im Kansai-Dialekt geiko – Mädchen der Kunst. Eine geiko in Ausbildung nennt man in Tokyo hangyoku, ein Halbjuwel oder oshaku, und in Kyōto und Umgebung, also auch in Ōsaka, maiko – tanzendes Mädchen«, erklärte Himawara.

      »Der geiko-Beruf hat seinen Ursprung in den taikomochi oder hōkan, das waren Künstler bei Hofe, und wurde früher nur von Männern ausgeübt. Als ab dem 17. Jahrhundert auch Frauen den Beruf ausübten, nannte man sie noch onna geiko – weibliche Geisha.«

      Emi hätte Himawara noch stundenlang zuhören können, denn sie wollte alles erfahren, was es über den Beruf zu wissen gab, den sie einmal ausführen sollte. Die geiko begann jetzt, mit Hilfe eines Pinsels aus einer Schale eine weiße Paste auf ihr Gesicht aufzutragen.

      »Das ist oshiroi“, sagte sie, »dieses Make-up soll das Kerzenlicht reflektieren, um das Gesicht einer geiko besonders strahlend erscheinen zu lassen.«

      Danach umrandete sie ihre Augen mit wenig Schwarz und schminkte die Winkeln zart rosa bis rot. Die abrasierten Augenbrauen ersetzte sie durch einen ebenfalls schwarzen, kunstvoll aufgemalten Bogen, und zum Schluss legte sie Lippenrot auf.

      »Achte darauf, dich nie zu grell zu schminken, denn du bist schließlich keine Kurtisane - oiran. Je älter eine geiko wird, desto dezenter sollte sie geschminkt sein, um mit ihrer Kunst Aufmerksamkeit zu erregen, und nicht mit ihrer Schönheit. Aber das trifft für dich ja noch lange nicht zu, und für Sakura und mich auch noch nicht«, lachte Himawara, »wir beide stehen schließlich in der Blüte unseres jungen Lebens.«

      Erstaunt stellte Emi fest, dass die kunstvoll geschlungenen Frisuren der Geishas, katsura genannt, Perücken waren, deshalb konnte sie auch nicht begreifen, warum sie ihre Haare wachsen lassen sollte. In die Perücke wurde Haarschmuck, kanzashi gesteckt. Kanzashi bestanden aus lackiertem Holz, Bakelit, vergoldetem und versilbertem Metall, Gold, Schildpatt oder Seide. Das Material und die Tragweise deuteten auf den Status einer Geisha hin.

      »Wenn gleich der Ankleider - otokoshi kommt, muss ich dich hinausschicken«, sagte Himawara, »damit er seine schwierige Arbeit ungestört verrichten kann. Friseure und Perückenmacher, Kalligrafie- und Musik-lehrer sind neben Ankleidern und Kimono-Schneidern die einzigen Männer, denen der Zutritt zu einer okiya gestattet wird, weißt du? Die Seidenkimonos werden in einem speziellen Raum gelagert. Neben denen aus dünner Seide gibt es auch wattierte, die von November bis März getragen werden. Eine geiko trägt immer einen Kimono in gedeckten Farben, vorzugsweise einen schwarzen, während die der maikos hauptsächlich rot sind. Es ist eine große Kunst, als otokoshi den richtigen Kimono auszuwählen, da er auf die Jahreszeit und den Anlass abgestimmt werden muss. Eine geiko muss in jeder Hinsicht perfekt und vollkommen ästhetisch sein, auch ihr Äußeres, deshalb muss der otokoshi genau ihre Figur kennen, damit alles richtig sitzt und ihr keine Schmerzen bereitet werden. Wenn das Kimono-Motiv und die Accessoires nicht zur Jahreszeit passen, ist es seine Schuld. Zwischen geiko und otokoshi herrscht großes Vertrauen. Er ist mehr ein Freund als ein Angestellter, aber das wirst du später noch merken.«

      Das Anlegen des Kimonos konnte bis zu einer Stunde dauern, stellte Emi fest, denn die Stoffbahnen waren bis zu sieben Meter lang. Über den Unterkimono, den nagajuban wurde ein weißer Kragen, eri, gelegt und darüber erst der eigentliche Kimono. Auf dem Rücken bildete der herunter gezogene Kragen eine Art hinteres Dekolleté, damit man das Muster aus drei Zacken gut sehen konnte. Das Make-up im Nacken erstellte die Geisha mit Hilfe eines Spiegels auch selbst. Die Zacken ergaben sich aus freigelassenen Hautpartien, die nicht mit der weißen Paste bedeckt waren und in eine feine Spitze ausliefen. Das einzige bisschen Haut, das eine Geisha überhaupt zeigte.

      Wenn sie schließlich auf Holzsandalen, den getas, die okiya verließ, wurde das Geklapper nur noch von den Rädern der Rikscha übertönt, die vor dem Eingang wartete, um die Geishas zu ihren Kunden zu bringen.

      Am frühen Nachmittag saßen Yumiko und Mayumi, die noch etwas zerknittert aussah, wieder zusammen in der unteren Küche.

      »Ich mache mir so langsam Sorgen um dich«, sagte Mayumi, »du bist weiß wie eine Wand und hast Ringe unter den Augen.«

      Yumiko wollte erwidern, dass ihre Freundin auch nicht gerade taufrisch aussah, schluckte es aber herunter. Sie war schon an den Anblick gewöhnt, den Nachtarbeiter offensichtlich gemeinsam hatten.

      »Was war das mit der Puppe, die du gestern nebenbei erwähnt hast?«

      »Sie macht mir Angst. Zum Glück muss ich sie nicht selbst bedienen, aber allein die Tatsache, dass sie im Raum ist…«

      »Was ist mit ihr? Grinst sie dich an oder schnappt sie nach dir?«

      »Nein, aber ich könnte jeden Eid schwören, dass sie mir schon einmal zugezwinkert hat. Außerdem werden mit der Zeit ihre Haare immer länger.«

      »Das erinnert mich an die Legende der besessenen Puppe im mannenji Tempel auf Hokkaido. Hast du kürzlich etwas darüber gelesen?«

      »Nein, und früher hat mein Vater solche Ge-schichten von mir fern gehalten, wohl aus gutem Grund.«

      »Also pass auf! Es soll sich um den Geist von Suzuki Kikuko, handeln, die nur drei Jahre alt geworden ist. Ihre Lieblingspuppe hieß Okiku Chan. Statt sie mit Suzuki zusammen zu beerdigen, hat man die Puppe auf den Familienaltar gestellt. Suzukis Bruder Eikichi hat dort oft mit ihr gespielt. Als er zum Militär eingezogen wurde, übergab er die Puppe vorher einem Mönch des Mannenji Tempels, der sie verwahren sollte. Als er später zurückkehrte, stellte er fest, dass ihre Haare gewachsen waren. Seitdem muss man angeblich alle zehn Jahre ihre Haare schneiden und einigen Tempelbesuchern soll sie zugezwinkert haben.«

      »Dafür, dass du dich für solche Dinge nicht sonderlich interessierst,