Norman Dark

Lotus im Wind


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sie bei ihm so etwas wie Eifersucht bemerkt, weil Ikuo sich offensichtlich für sie interessierte. Dabei hatte er zuvor nie die Gelegenheit genutzt, ihr näher zu kommen, obwohl eine engere Verbindung unter Kollegen nahe gelegen hätte. Die Gespräche über längst vergangene Zeiten und vor allem über die Geishas wirkten noch in ihr nach. Deshalb wäre es nur folgerichtig gewesen, was sie anschließend erlebte, wäre es nicht so bizarr gewesen.

      Aufgekratzt wie nach einer intensiven Vorstellung wollte sie noch ein paar Seiten in einem Buch lesen. Eines, das sie Mayumi geborgt und noch nicht zurückerhalten hatte, deshalb ging Yumiko in die obere Etage, und nachdem sie es im Wohnraum nicht gefunden hatte, sah sie auch in Mayumis Schlafzimmer nach. Sie konnte es nicht glauben, als sie dort eine Geisha vorfand, die abgesehen davon, dass sie dort nichts zu suchen hatte, einen schaurigen Anblick bot.

      Emis Kinderzeit ging langsam zu Ende. Sie wurde jetzt eine Lernmaiko - minarai wie zuvor schon Riko, mit der sie mittlerweile eine tiefe Freundschaft verband, die inzwischen eine maiko geworden war, und nun Takara hieß. So war also aus dem „Jasminkind“ sehr passend ein „Schatz“ geworden. Sie halfen sich gegenseitig beim Erlernen der Tanzschritte und Bewegungen und übten zusammen das shamisen-Spiel. Nur in einem Punkt waren sie sich nicht einig. Während Emi sich mehr zu Himawari hingezogen fühlte, schenkte Takara ihre Liebe und Aufmerksamkeit mehr Sakura. Takara ging sogar so weit, Himawari als eine falsche Schlange zu bezeichnen, natürlich nur flüsternd hinter vorgehaltener Hand. Irgendwann würde Emi noch den Beweis dafür erhalten, meinte sie.

      Der Begriff „minarai“ bedeutete „Lernen durch Beobachten“, mi von miru – sehen, narai von narau –lernen. Emi durfte jetzt die Geishas Sakura und Himawari und die kleine maiko Takara zu abendlichen Banketten begleiten. Dort sollte sie nur allein vom Zusehen und Zuhören gute Konversation und richtiges Benehmen erlernen, um es später selbst zu beherrschen. Zu diesem Zweck bekam sie die entsprechende Kleidung und ihre erste maiko-Frisur, wareshinobu genannt. Emis Freude, von einem traditionellen Meisterfriseur frisiert zu werden, verflog schnell, als sie erkannte, wie schmerzhaft diese Prozedur war. Beim Glätten ihres Haares mittels heißen Zangen flossen sogar Tränen. Die bintsuke-abura Paste verlieh dem Haar einen starken Glanz und diente dazu, dass die Frisur länger hielt. Um noch mehr Volumen entstehen zu lassen, wurde noch ein ketabo-Haarteil eingearbeitet. Das zu einem Dutt hochgenommene Haar wurde dann um ein rotes Seidenband drapiert, das ein Muster aus feinen weißen Punkten, kanoko genannt, enthielt. Die fertige Frisur zierte der typische Haarschmuck einer maiko - kanzashi, wobei die Blüten der kanzashi-Haarnadeln - hana-kanzashi sich, ebenso wie das Kimono-Motiv, nach Monat und Jahreszeit richteten.

      Zur Unterscheidung einer minarai gegenüber einer maiko, die ebenso die wareshinobu-Frisur trug, diente der jeweilige Kimonogürtel - obi. Der obi einer minarai wurde handarari-obi genannt, wobei han die Hälfte bedeutete, denn die lang herunterhängenden Enden waren um die Hälfte kürzer als beim darari-obi einer maiko, der in etwa sieben Meter lang war.

      Schlimmer noch als die Zangen war, dass Emi etwa fünf Tage bis zur nächsten Frisur auf einem taka-makura schlafen musste. Ein taka-makura oder hako-makura war ein lackiertes Holzstück mit einem schmalen Fuß und einem kleinen Kissen, auf dem man nur mit dem Nacken liegen konnte. Mehr als einmal kam es vor, dass Emi mit dem Kopf auf dem Fußboden liegend erwachte und für ihre beeinträchtigte Frisur von der okāsan gescholten wurde.

      Emis erster öffentlicher Auftritt fand in einem Teehaus - chaya statt, der zweite in einem traditionellen japanischen Lokal - ryōtei. Emi nahm an, dass die Buchung bei einer „Geisha-Agentur“, einem kemban erfolgt war, die für die Organisation der Termine und die Verwaltung der Zeitpläne für Auftritte und Ausbildung zuständig war. Es konnte aber auch sein, dass die okāsan persönlich für die Auftritte gesorgt hatte, denn außer, dass sie über die Kosten für die Aus-bildung, der Kimonos, der Accessoires und die sonstigen Lebenshaltenskosten genau Buch führte, machte sie sich fast täglich auf den Weg, um ihre Beziehungen aufrecht zu erhalten. Dabei erwies sie den Besitzern der Einrichtungen Dank und Respekt. Die Arbeitszeit einer Geisha und die damit verbundenen Kosten wurden traditionell durch die Brenndauer bestimmter Räucherstäbchen festgelegt. Deshalb war der Begriff Räucherstäbchengebühr - senkōdai entstanden.

      Die Veranstaltung im Teehaus begann mit der Teezeremonie. Dabei verfuhren Geishas ganz im Sinne eines berühmten Zitates. Die Antwort eines Meisters auf die Frage seines Schülers lautete:

      „Bereite eine köstliche Schale Tee; lege die Holzkohle so, dass sie das Wasser erhitzt; ordne die Blumen so, wie sie auf dem Feld wachsen; im Sommer rufe ein Gefühl von Kühle, im Winter warme Geborgenheit hervor; bereite alles rechtzeitig vor; stelle dich auf Regen ein, und schenke denen, mit denen du dich zusammenfindest, dein ganzes Herz.“ (Zitat Ende)

      Schon der Beginn der Teezeremonie glich einem Ritual. Die geladenen Gäste wandelten auf einem Gartenpfad, namens roji, der die erste Stufe der Erleuchtung symbolisierte. Mit dem Abstreifen des Alltags sollte man sich auf die folgende Teezeremonie vorbereiten. Anschließend nahmen die Gäste in einem Warteraum Platz und wurden vom Gastgeber oder der Geisha mit heißem Wasser begrüßt, dasselbe das später zur Bereitung des Tees verwendet wurde. Dann gingen sie auf den Gartenpfad zurück, um auf einer Wartebank in einem offenen Pavillon, dem sogenannten machiai Platz zu nehmen. Derweil füllte der Gastgeber frisches Wasser in ein Wasserbassin aus Stein, legte eine Schöpfkelle bereit und verschwand wortlos im Teeraum. Jeder reinigte sich nun Mund und Hände, um Übles, das gesagt oder getan worden war, symbolisch abzuwaschen. Dann betraten sie nacheinander den Teeraum - chashitsu, in den man durch einen nur knapp einen Meter hohen Kriech-Eingang - nijiriguchi gelangte. Bei Nichtvorhandensein eines Kriech-Eingangs wie im ryōtei ließen sich die Gäste beim Betreten des Raumes auf die Knie nieder, um Demut und Respekt zu zeigen und gesellschaftliche Unterschiede an der Schwelle abzulegen. Es folgten mehrere Gänge - kaiseki leichter Speisen, Suppen, sauer eingelegtes Gemüse und Reis, zu denen sake - Reiswein gereicht wurde.

      Emi glühte vor Aufregung und bemühte sich, nicht über Gebühr aufzufallen. Ein vergebliches Unter-fangen, denn trotz ihrer noch kindlichen Züge konnte man erkennen, dass da eine Schönheit heranwuchs. Das bemerkten die männlichen Gäste sofort und schenkten ihr bewundernde Blicke. In ihrer bescheidenen Art war sie nicht eingebildet, aber es kam eine leise Ahnung in ihr auf, dass sie eines Tages mehr Aufmerksamkeit als Takara bekommen würde, vielleicht sogar mehr als die Gheishas Sakura und Himawari.

      Sakura war eine kluge und charmante Gesprächspartnerin, wie Emi fand. Sie wirkte interessiert an ihrem Gegenüber, drängte sich aber nicht mit allzu sehr ins Detail gehende Fragen auf. Sie war eine wahre Meisterin der Konversation und beherrschte die Regeln der Etikette einwandfrei. So bewahrte sie selbst Haltung, wenn einer der Kunden etwas anzüglich wurde. Emi war es nicht erlaubt, sich am Gespräch zu beteiligen und selbst Takara übte sich in Zurückhaltung, hing aber förmlich an den Lippen von Sakura. Zum ersten Mal konnte Emi nachvollziehen, woher die Bewunderung für Sakura stammte, denn die Geisha verhielt sich in der Öffentlichkeit so ganz anders als in der okiya. Bei Himawari war der Unterschied nicht so groß, aber trotzdem musste Emi anerkennen, dass auch sie ihre Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit erfüllte. Ihr feines Lächeln, ihre anmutigen Bewegungen und vor allem ihre gepflegte Konversation ließen vergessen, dass Sakura sie an Schönheit übertraf.

      Nach dem kaiseki gingen die Gäste erneut in den Warteraum, bis sie nach fünfmaligem Ertönen eines Gongs in den Raum, der für die Teezeremonie vorgesehen war, zurückgebeten wurden. Der letzte Gast schloss die Tür mit einem leisen Geräusch, das Zeichen für die Geisha mit den Vorbereitungen zu beginnen. Erst jetzt trug sie die noch fehlenden Teeutensilien in den Teeraum, wo sie nach einem bestimmten Muster angeordnet wurden, um praktische und harmonische Bewegungsabläufe zu ermöglichen.

      Bei der Teezeremonie waren beide Geishas gleich geschickt, wie Emi fand. Im Verlauf des Abends war sie sehr erstaunt, dass es zwischen Himawari und Sakura eine Art Aufgabenteilung gab, denn während Sakura tanzte, sang Himawari und spielte shamisen, tanzte selbst aber nicht. Auch wunderte Emi sich, dass die Geishas keinen Bissen