klopfte schneller als eben beim Heimflug.
Dann traf Torturiel seine Entscheidung.
„Verschwinde! Von welchem Nutzen solltest du mir noch sein, nachdem du derartig versagt hast?” Er fegte Crassia mit einer Handbewegung von der Lehne, sodass sie auf dem Steingutboden aufprallte. Verdattert blinzelte Crassia zu ihrem Meister hinauf. Schmerz flammte in ihrem rechten Flügel auf, denn sie hatte ihre Schwingen aus einem Reflex heraus abgespreizt, um den Sturz abzumildern, doch das war ein Fehler gewesen. So hatte sie sich Elle und Schultergelenk gestaucht und die äußeren Schwungfedern waren zerknickt. Sie spürte Tränenflüssigkeit sich in ihren Augen sammeln und wusste nicht, ob dies vom Schmerz herrührte oder von der Enttäuschung. Vorsichtig faltete sie die Flügel zusammen, achtete dabei kaum auf die Verletzung. Sie versuchte eine Gedankenverbindung zu ihrem Gebieter herzustellen, wie stets, wenn es wichtige Informationen mitzuteilen galt. Doch Torturiels Geist verschloss sich. Crassia empfing nichts als Abweisung und Verachtung.
Sie fühlte die spöttischen Blicke der gefiederten Schwestern auf sich ruhen. Überall im Zimmer und in den Fenstern hockten sie und krächzten hämisch.
Der Zauberer in seinem Lehnstuhl hatte sich abgewendet. Die Krähe begriff. Torturiel hatte das Interesse an ihr verloren.
Crassia hüpfte zum Fenster, spreizte vorsichtig die Flügel und flatterte hinauf. Es tat weh. Sie drehte noch einmal den Kopf und schaute bekümmert zu dem Mann, den sie so sehr verehrte, und der sie soeben verstoßen hatte.
Draußen vor dem Fenster zogen Krähen ihre Kreise. „Seht nur! Dort ist die Krähe, die sich einfangen ließ!” Sie brachen in ohrenbetäubendes Geschnatter aus. Crassia kam es vor, als schrumpfte ihr Herz zur Größe eines Staubkorns.
„Die Krähe, die im Käfig saß!”, tönte es. „War es auch warm und gemütlich da drin?”
„Lasst mich in Frieden!”, zischte Crassia und schwang sich in die Luft, obwohl ihr Flügel weh tat. Schlimmer als der Schmerz war die Demütigung.
„Sie versucht zu fliegen wie wir!”, jauchzte eine Krähe. „Kannst du das denn überhaupt noch, hast du nicht alles verlernt bei deinem Aufenthalt im Knast?”
„Haltet die Schnäbel!” Crassia spürte Wut in sich hochsteigen. Sie begrüßte sie wie einen Freund und empfand Dankbarkeit, denn Wut war besser als Verzweiflung. „Ihr habt ja keine Ahnung! Ihr wisst gar nicht, was ich weiß!”
Die Umherschwärmenden meckerten gehässig. Deshalb spielte Crassia ihren größten Trumpf aus: „Ihr habt nicht mal Namen!”
Doch der Trumpf stach nicht. „Einen Namen!”, spöttelte es. „Wer braucht schon einen Namen?” – „Nur ungefiederte Zweibeiner vergeben Namen!” – „Krähen sind unabhängig!” – „Sie hat sich einem ungefiederten Zweibeiner angebiedert! Sie hat bestimmt ihr Köpfchen an seiner Hand gerieben und hat sich füttern lassen!”
„Hört auf!”
„Und dann hat sie um einen Namen gebettelt!” – „Ja, und dann hat sie einen Namen bekommen und hat dankbar gewinselt wie ein Schoßhündchen!”
Vielstimmiges Gelächter verwirrte Crassia die Sinne. Sie taumelte in der Luft hin und her. Krallen zwackten sie von links und rechts, von vorn und hinten, von unten und oben. „Nenn uns doch deinen Namen, deinen wundervollen Namen!” – „Sag schon, wie lautet er denn?” – „Liebling? Hansi? Schnucki?” – „Hihihi!” – „Hähähä!”
Nervenzerfetzendes Gelächter umtoste sie.
Crassia nahm ihre Kräfte zusammen, stieß sich mit den Flügeln ab, ignorierte den Schmerz, spürte den Luftwiderstand und bahnte sich ihren Weg durch die schwarze, flirrende Wolke aus Krähen, die nicht länger ihre Geschwister waren.
„Crassia!”, schrie Crassia und schoss geradewegs zur hell strahlenden Sonne empor.
Sie ließ ein Gewimmel von aufgebrachten Vögeln inmitten herrenlos trudelnder Federn mit dem nachhallenden Klang ihres Namens zurück.
Kapitel 2: Schlingschlamm
Quakarotti, der letzte Opernfrosch, hatte sich auf Patricks Kopf gerettet – die einzige feste Stelle inmitten des Sumpf- und Schlammgebietes. Patrick spürte faulige Feuchte am Kinn; Schlickwasser drängte sich durch seine Mundwinkel, floss über die Zunge und rann zum Magen hinab. Patrick wurde übel. Er spuckte aus und ruderte mit den Armen.
„Hilfe!”, gurgelte er. „Hallo! Ich ertrinke!”
„Zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren …”, unterstützte ihn Quakarotti in F-Dur.
Patrick blickte wild um sich, sah aber nur Morast und Schlingpflanzen. Keine von diesen war erreichbar. Unerbittlich saugte ihn der Sumpf in sich hinein, versuchte ihn sich einzuverleiben – wie ein gieriges Wesen, das einen Leckerbissen am Wickel hat. Mit jeder Minute, die verstrich, sank er einen halben Zentimeter tiefer. Er konnte sich ausrechnen, wie lange es noch dauerte, bis er vollständig verschlungen sein würde.
Für Fernsehzuschauer waren solche Situationen entschieden unterhaltsamer.
Noch einmal nahm er alle Kraft zusammen und schrie: „Hilfe!!!”
Das war sein letzter Hilferuf gewesen, wusste Patrick. Der Schlammpegel hatte die Oberlippengrenze überstiegen. Von jetzt an musste er sich darauf beschränken, durch die Nase zu atmen, solange das noch möglich war. Er presste die Lippen aufeinander und konzentrierte sich aufs Luftholen. Quakarotti wechselte nach Moll und stimmte einen ergreifenden Trauergesang an.
Als er den Schlamm an seinen Nasenlöchern spürte, dachte sich Patrick: Na schön, das war’s dann also. Tränen stiegen ihm in die Augen. Eine Mücke setzte sich auf seine Stirn und machte sich zum Zustechen bereit, aber Quakarotti schnappte sie sich zwischen zwei Takten. Patrick empfand Dankbarkeit für diesen letzten Freundschaftsdienst des kleinen Gefährten.
Er holte tief Luft, entschlossen, diesen Vorrat bis zum letzten Sauerstoffatom auszukosten, und schloss die Augen.
Endlose, quälende Sekunden verstrichen.
Und dann war es vorbei.
„Schlammbäder sollen ja sehr gesund sein, aber übertreibst du es nicht ein wenig?”
Hatte er wirklich eine Stimme gehört? Patrick wagte es nicht, sich zu bewegen. Vorsichtig hob er die Augenlider. Niemand zu sehen.
Doch dann merkte er, wie etwas an seinem Hemd zerrte. Unter seine Achsel schob sich behutsam etwas Hartes, Gebogenes. Dann gab es einen kleinen Ruck und Patrick wurde langsam schräg aufwärts gezogen. Schon waren Nase und Mund frei. Patrick sog gierig Luft ein. Der Große Modder leistete Widerstand und schien seinen Fang ungern wieder herzugeben, aber Stück für Stück gelangte Patrick an Luft und Freiheit zurück. Pschlapp!, reagierte der Große Modder beleidigt.
„Das hätten wir”, erklang eine zweite, tiefere Stimme, als Patrick keuchend auf zwar nicht trockenem, aber wohltuend festem Boden lag. Neben sich sah er zwei große fellbesetzte Lederstiefel.
Als sein Pulsschlag wieder einigermaßen normal war, ließ er seinen Blick von den Stiefeln über kräftige Beine in derben Stoffhosen und eine abgeschabte Lederweste zum Kopf seines Retters wandern. Er sah in ein nicht unfreundliches Gesicht mit gutmütig wirkenden Augen. Der Schädel war vollständig haarlos.
„Alles in Ordnung?”
Patrick nickte. „Alles -” Er unterbrach sich, würgte kurz und spuckte Schlammreste aus. „Alles in Ordnung.”
„Gut.” Der Mann streckte die Hand aus und half Patrick auf die Beine. Die Knie wackelten ihm ein bisschen, aber verletzt fühlte er sich nicht. Der Mann überragte ihn um zwei Köpfe, er war stämmig und breitschultrig. Seine Hand umfasste einen langen Stab, der am oberen Ende in einen geschwungenen Haken auslief – damit musste er Patrick aus dem Morast gezogen haben.
„Danke”, sagte Patrick. Er kam sich töricht vor, weil mehr ihm nicht