Peter Schottke

Patrick und die Grubengnome


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gib den Arm frei, den du umklammert hältst.

      Der Baum schwieg. Patrick lauschte dem Rauschen der Saftströme, die von den Wurzeln zu den Wipfeln emporstiegen.

      Ich fühle mich verwundet, entgegnete schließlich der Baum. Das, was du einen Arm nennst, empfinde ich als einen Bolzen, der meine Haut durchdrang und mein Fleisch durchbohrt – ich versuche in Begriffen zu sprechen, die du verstehen kannst.

      Danke.

      Bitte.

      Wie kann ich dir helfen, Ervaliac?

      Es tut mir gut, wenn du meinen Namen sagst.

      Wirst du tun, worum ich dich bitte?

      Der Baum zögerte. Ich fürchte, es wird mir zusätzlichen Schmerz bereiten, wenn ich die Wunde weiter öffne. Dazu muss ich meine Fasern strecken, mein Holz dehnen und meine Borke spreizen. Wir Unbeweglichen tun solche Dinge nur ungern, wenn es sich in kurzen Zeitspannen abspielen muss.

      Rok ächzte. „Was stehst du da untätig rum? Tu endlich was!” Der Blick, den Patrick von ihm auffing, hätte nicht finsterer sein können.

      Ist das Wesen, dessen Faust in mir steckt, dein Freund?, erkundigte sich der Baum.

      Das nicht. Er wollte mich verprügeln.

      Und dennoch bittest du für ihn. Das beeindruckt mich. Du scheinst mir ein gutes, großzügiges Wesen zu sein, Beweglicher Patrick.

      Patrick erschien das Lob unverdient. Ich bin nichts Besonderes, gab er Ervaliac zu verstehen – da bemerkte er, dass den Baum ein Zittern durchlief. Holz knarrte, Rinde knackte. Fasziniert beobachtete Patrick, wie der Baum Regungen vollführte, für die er normalerweise Jahrzehnte gebraucht hätte.

      Und der Baum gab die umfangene Faust frei.

      Rok wirkte verblüfft, doch gleich darauf riss er seinen Arm aus dem Baum heraus – so heftig, dass Rindensplitter in alle Richtungen spreißelten.

      Patrick empfing ein Aufstöhnen des Baumes.

      „Wenn ich dich das nächste Mal erwische, kommst du mir nicht so einfach davon!”

      Der Raufbold spuckte aus, rieb sich den Arm und verzog sich in die Schatten des Waldes. Patrick sah ihm nachdenklich hinterher, froh, dass die Begegnung vorüber war.

      Er hat sich nicht bei uns bedankt, sagte Ervaliac. Bekümmerung schwang als Unterton mit.

      Nein, meinte Patrick, nach Dank klang es nicht gerade.

      Sein Blick fiel auf das Loch, das in Ervaliacs Stamm klaffte.

      Wird deine Wunde wieder heilen?

      Sicher. Im Laufe der Zeit.

      Wie lange wird es dauern?

      Ich weiß es nicht. Viele jetzt noch unentsprossene Unbewegliche werden wohl heranwachsen und in voller Blüte stehen, bis es so weit ist. Aber ich vertraue auf Yakayala.

      Ich wünsche dir alles Gute, Ervaliac.

      Danke, Patrick.

      „Du sollst jetzt reinkommen!”

      Patrick fuhr zusammen. Die Stimme war in seinem Rücken ertönt und als er sich umwandte, sah er im Eingang des Eichenzelts einen Bold, den er noch nicht kannte. Glatzköpfig wie die bisherigen war er, aber schwarze Barthaare umsäumten seinen Mund und schmiegten sich am Kinn zu einer feinen Spitze zusammen.

      Der Bold nickte Patrick zu und hielt ihm den Eingang auf.

      Und zum ersten Mal in seinem Leben trat Patrick in ein boldisches Baumzelt.

      Kapitel 6: Sumpfmorast

      Etwas hatte sich verändert. Nanobert hielt inne und schaute sich um. Trübe Tropfen platschten von seinem Kurzschwert in ihre morastige Heimat zurück. Der Sumpf, durch den er stapfte, die urwüchsigen Bäume, die um ihn aufragten – alles schien ähnlich wie bisher. Er sah nach oben. Die Dämmerung setzte ein. Ob er wohl Milliane noch finden würde, bevor es dunkel wurde? Das Drachennest bei Nacht zu finden war bestimmt um einiges schwieriger, und außerdem wuchs die Gefahr für seine Schwester, je mehr Zeit verstrich …

      Was war anders geworden?

      Und während er still im Sumpfwasser verharrte, kam ihm die Erkenntnis.

      Natürlich! Er musste sich nicht mehr ständig gegen Schlickschlangen zur Wehr setzen!

      Er blickte sich um. Wo waren die Biester? Hier und dort kräuselte sich die Wasseroberfläche, aber es gab eindeutig weniger Schlangen um ihn als vorher. Sie jagten ihn nicht länger.

      Was bedeutete das? Konnte es sein, dass … Einige Sekunden stand er regungslos und durchdachte die Idee, die ihm in den Sinn gekommen war. Jäger und Beute, überlegte er. Es geht hier um Jäger und Beute.

      Nanobert begriff: Die Schlickschlangen mieden die Drachen! Das hieß, er näherte sich dem Drachennest! Er nahm alle Kraft zusammen, hob sein Schwert und bahnte sich einen Weg.

      Sein letzter Hieb zerfetzte die letzten Pflanzenranken. Prinz Nanobert ließ schwer atmend den Arm mit der Waffe sinken.

      Vor ihm lag das Drachennest.

      Nanobert erblickte eine Sumpflichtung und in deren Zentrum ein großes Gebilde aus Dornenästen, und darin befanden sich vier schuppige Monstren, und ein weiteres schuppiges Monstrum kauerte etwas abseits im Morast, und alle fünf hatten ihre Blicke auf ihn gerichtet, und dann sah er noch seine Schwester, die mit im Nest saß und ihm zuwinkte, während sie gleichzeitig die kleineren Drachen an den Bäuchen kitzelte. Die Kleindrachen grunzten vor Vergnügen. Der zweitgrößte Drache überstrich Nest, Jungtiere und Milliane mit Flammenzüngeln.

      „Hallo, Nanobert”, rief Milliane, „höchste Zeit, dass du kommst. Es wird heiß hier im Nest. Die Eltern werden allmählich ungeduldig. Ich fürchte, lange kann ich sie nicht mehr damit hinhalten, dass ich mit ihrem Nachwuchs rumknuddele. Weißt du, eigentlich bin ich nämlich ihr Abendessen.”

      Nanobert rang nach den richtigen Worten. „Du … du spielst mit Drachen?”

      „Natürlich. Tiere mögen es, wenn man freundlich zu ihnen ist. Dann werden sie zutraulich und lassen sich sogar den Bauch kraulen. Nicht wahr, Kleiner?”

      Das Drachenjunge gurrte und wand sich genüsslich unter Millianes Handgriffen.

      Die Drachenmutter zischte.

      „Nanobert!” Milliane stieß die Worte leise und präzise zwischen den Zähnen hervor. „Wir kommen hier niemals weg, wenn die Viecher nichts zu fressen kriegen!”

      Drachenschwänze und -zungen ringelten sich um Millianes Gelenke.

      Nanobert flüsterte zurück: „Schau mich nicht so an, als ob ich eine Lösung wissen müsste!”

      Der Prinz umwatete langsam das Drachennest, sein Schwert wachsam erhoben.

      Der Drachenvater reckte seinen Hals hoch empor und ließ ein flammendes Fauchen entfleuchen.

      „Keine Angst, Dicker, ich will deiner Sippschaft nichts tun.” Nanobert schlich weiter durch den Morast und vollendete den Kreis, immer vom Blick des Drachen verfolgt.

      Der Prinz steckte sein Schwert ein. Er begutachtete das Gelände um das Drachennest: schlammumspültes Wurzelwerk, kaum trockenes Land. Nanobert rieb sich das Kinn, dann blickte er dorthin zurück, woher er gekommen war. „Warte hier auf mich.”

      „Was anderes bleibt mir ja wohl auch kaum übrig!”

      Ihr Bruder öffnete seinen Tornister und -

      „Nanobert! Was hast du vor?”

      „Nur das, was du wolltest.” Er schaute über die Schulter zu seiner Schwester im Drachennest zurück. „Den Drachen was zu fressen verschaffen.” Er zog aus seinem Tornister das blauweiß gestreifte Kaninchen.

      Drachenaugen blitzten auf, gespaltene