Claus Beese

Piraten, Gouda und Genever


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Dom gelandet. Es sprach für uns, dass unsere Wissbegier in kulturellen Dingen groß genug war, hineinzugehen um uns das Bauwerk auch von innen anzusehen.

      »Macht sich immer gut, wenn wir unseren Frauen nachher erzählen können, dass wir in der Kirche waren«, behauptete Wolfgang und Kurt lachte: »Bist du sicher, dass sie uns das auch glauben werden?«

      »Genug Kultur!«, entgegnete Kalli und zog die Tür vom „Goldenen Anker“ auf. »Ich brauch jetzt was Feuchtes. Und außerdem: welche Sache? Und was ist Poddern?«

      Kallis Idee, uns alle auf ein kühles Blondes einzuladen, fand großen Anklang. Kultur und Bildung konnte ja soooo durstig machen. Nicht umsonst hieß es „Wissensdurst“. Und den gedachten wir hier ausgiebig zu löschen.

      »Poddern?«, merkte der Wirt hinter Theke auf. »Kennst das nich, mien Jung? Kiekbusch, da hast nen langen Knüppel mit’m Bindfaden an. Und unten kommt ein Gewicht und ein Knäuel Würmer drrran, die du vorhäär aufn Wollfaden gezogen hast. Das Ganze lässte bis auf’n Grrrund rrrunnäär, un wenn die Aale da rrreinbeißen, värhäddäärn se sich mit die Zähne innen feinen Wollfaden. Na, und denn kannst se rrrausziehen. Feine Sache! Mach ich auch immäär!«

      Wir waren alle in Reih und Glied stehen geblieben und lauschten ergriffen und mit offenem Mund den Ausführungen des Wirtes. Der musterte uns der Reihe nach und fing breit an zu grinsen.

      »Sssteht da nich rrrum wie die Orgelpfeifen, setzt euch anne Theke oder annen Tisch und macht ne Ansage!«

      Erst jetzt merkten wir, dass wir sauber gestaffelt nach Größe in einer Reihe vor der Theke standen und den Herrn über die Fässer anstaunten wie das siebte Weltwunder.

      »Äh! Fünf Bier!«, stammelte Kalli und hatte Mühe sich zu sammeln. Der Wirt starrte einen Moment an Kurt empor und ließ dann seinen Blick über die Reihe bis zu mir hinabgleiten.

      »Große oder kleine?«, fragte er mit einem scheelen Grinsen.

      »Große«, beeilte ich mich zu sagen.

      »Kleine«, meinte dagegen der Lange.

      »Kein Problem«, grinste der Wirt. »Setzt Euch, Jungs! Der Grrroße kricht `n kleines, der Lütte da hinten kricht `n grrroßes und die andern kriegen ein nulldrrrei, alles klar!«

      Da kein Widerspruch erfolgte, griff er sich die entsprechenden Gläser und fing an sie zu füllen, während wir uns wortlos an einen der Tische setzten.

      »So, was war nun mit Poddern?«, fragte Kalli noch immer irritiert. Ich deutete mit dem Daumen über die Schulter in Richtung Theke, wo mit leisem Zischen der kühle Gerstensaft aus dem Hahn in die Gläser floss.

      »Haste doch gehört! Dem ist absolut nichts hinzuzufügen«, lachte ich.

      »Blödmann! Das hab ich ja mitgekriegt. Aber was war damals in besagter Nacht?«

      »Los, Heinz. Du bist dran!« Heinz wehrte entschieden ab.

      »Nee, nee, Jungs. Ich kann das nicht! Lasst Claus man erzählen!«

      »Oh! `ne Geschichte übers Poddern? Moment, Frrreunde! Hier kommt das Biäär! Hähä! Wenn der Lütte dor hinten der Geschichtenerzähler is, sind die Getrrränke ja rrrichtig verteilt!«

      Damit stellte der Wirt die Gläser vor uns auf den Tisch und tatsächlich bekam ich als einziger einen halben Liter.

      »So!«, forderte der Herr der Zapfhähne. »Nu öl man schnell und denn fang an!« Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu uns an den Tisch. Fünf Augenpaare richteten sich erstaunt auf den Mann mit dem nördlichen Akzent. Der legte den Zeigefinger auf die Lippen, machte: »Psssst!« und deutete dann auf mich. Kalli fing verdächtig an zu glucksen, und auch wir anderen schmunzelten oder kicherten leise vor uns hin. Schließlich dröhnte lautes Gelächter durch die Schankstube und wir klopften uns vor Vergnügen auf die Schenkel.

      »Also gut!«, willigte ich ein und wischte mir die Lachtränen aus den Augen. »Dann hört mal alle her! Es war Hochsommer und die Schwüle kaum noch auszuhalten. Heinz und ich saßen auf dem Steg und badeten unsere Köder. Irgendwie war es aber selbst den Fischen zu warm. Sie dachten gar nicht daran, sich die Bäuche vollzuschlagen. Ich konnte das verstehen, denn bei der Hitze war selbst das Essen eine anstrengende Angelegenheit.

      »Ich glaube, heute beißt eh nix«, murmelte Heinz schlaff.

      »Komisch, früher haben wir bei solchem Wetter die dicksten Brocken gefangen.«

      Trotz der Hitze war mein Verstand noch in der Lage, derartige Anstrengungen auf sich zu nehmen und die Erinnerungen an bessere Zeiten aus dem hintersten Winkel der Gehirnwindungen hervorzukramen.

      »Wäre eigentlich bestes Podderwetter«, gähnte der PINGO-Skipper. »Deine DODI wäre zum Poddern auch bestens geeignet. Schön flach, wenig Tiefgang. Damit könnte man schön in die kleine Weser.«

      Ich überlegte kurz und schon waren sie wieder da, die Erinnerungen an alte Zeiten. Wie oft war ich in meiner Jugend mit Freunden aus dem Wassersportverein dorthin gefahren um in den engen Gräben der ausgedehnten Schilfwälder mit der Sperrlage zu fischen oder das fängige Wurmknäuel, den so genannten Podder, den Aalen in den flachen Gräben anzubieten? Jedes Mal war es ein Abenteuer gewesen, und ich bedauerte die Jugend von heute, die ihre spannendsten Erlebnisse vor dem Computer-Bildschirm hat. Ich erinnerte mich noch genau an die Fangfahrten mit der REIHER und an ihren knorrigen Besitzer Karl Bollmann, der überall der norddeutsche Kleiderschrank genannt wurde. Der alte Fischer hatte uns mit Geschichten über einen Reusensteller, der über Bord gegangen war, das Gruseln gelehrt. Man sollte den Mann erst nach Tagen gefunden haben, aufrecht im Schlick stehend und ertrunken. Mehrere Fluten waren angeblich über ihn hinweg gegangen. Karl hatte mir das Fischen mit der Sperrlage beigebracht, und zum Dank dafür hatte ich ihm später während einer Wettfahrt zwischen seinem REIHER und meinem STICHLING das Bodenblech seines schweren Angelkahns lädiert, indem ich ihn auf die Steinpackung der Hafenböschung auflaufen ließ. Aber dies sind Geschichten, die schon ein anderes Buch füllen.

      »Da bin ich schon lange nicht mehr gewesen«, grübelte ich.

      »Hast du Tauwürmer?«, fragte Heinz noch immer träge.

      »Ein ganzes Glas voll«, bestätigte ich.

      »Ich auch!«

      »Haste nen Wollfaden?«, ging ich jetzt schon mehr ins Detail. Er grübelte eine Weile über meine Frage nach, stand dann ächzend auf und verschwand an Bord der PINGO.

      »Jo!«, strahlte er, als er wieder auftauchte, und hielt mir das Kästchen mit Elfis Nähkram entgegen.

      »Schiet!«, entfuhr es mir.

      »Wieso Schiet?«

      »Habe keinen Sprit mehr an Bord.«

      »Aber ganz leer ist der Tank doch auch nicht, oder?«

      »Nö! Zwanzig Liter Gemisch hab ich wohl noch. Aber die reichen nicht mal für die Hinfahrt«, brummte ich und verfluchte die Tatsache, dass ich den Außenborder für unser damaliges Schiff eine Nummer zu klein gewählt hatte. Wir schwiegen eine Weile und man konnte Heinz deutlich ansehen, dass er eigentlich nicht gewillt war, Elfis Wollgarn wieder wegzupacken.

      »Und wenn wir mit der PINGO runterfahren und DODI hinterher schleppen? Ich hab genug Diesel an Bord«, kam ihm plötzlich die rettende Idee. »Dann sind wir da unten voll einsatzfähig, und meinen Dampfer legen wir so auf Reede, dass er nicht trockenfällt.«

      Ich schenkte Heinz einen anerkennenden Blick. Der Knabe konnte ja sogar mitdenken. Trotz der Hitze schien sein Gehirn noch wendig genug, um solche Pläne zu entwickeln. Der PINGO-Skipper stieg in meiner Achtung ein beträchtliches Stück. Wir waren uns einig. Ohne weitere, überflüssige Worte zu verlieren, kurbelten wir die Schnüre unserer Angelruten ein. Kurzer Motorencheck, Leinen los und ab ging es. DODI folgte treu und brav der PINGO an der langen Schleppleine. Heinz schnupperte wohl plötzlich Abenteuerluft, denn er legte den Hebel auf den Tisch und ließ seine Safir durch die Wellen preschen. Am Nordende der langen Weserinsel Harriersand bogen wir am frühen Abend in die kleine Weser ein und hatten Glück. Das Wasser fing gerade an aufzulaufen und wir tasteten uns in den flachen Nebenarm hinein. Es gab dort eine Stelle, die nicht trocken fiel, und an