Katherina Ushachov

Der tote Prinz


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steck­te die Hals­ket­te wie­der ein. »Nar­zis­sa? Wer ist der schöns­te Mann im Land?«

      »Du bist es, Fe­lix.«

      »Und bald wer­de ich ein Lue sein.«

      »Fe­lix Lue, der schöns­te Mann im Land.«

      »Ex­akt, Nar­zis­sa.« Ei­ner plötz­li­chen Ein­ge­bung fol­gend, nahm er das Ba­by wie­der aus der Wie­ge und hielt es so vor den Spie­gel, dass sich das Ge­sicht­chen von Lord Da­rio ge­nau in der Mit­te des Spie­gels be­fand. »Mer­ke ihn dir gut Nar­zis­sa. Das ist Da­rio Lue.«

      Ein grü­nes Leuch­ten glitt über den Bild­schirm und wur­de bald durch ei­ne Schrift er­setzt, die ent­fernt an Plain er­in­ner­te. Was im­mer sie be­deu­te­te, er wuss­te es nicht. Haupt­sa­che, Nar­zis­sa war fer­tig und er konn­te das Ba­by wie­der ab­le­gen. Schließ­lich hat­te er noch ei­ne Ab­schieds­fei­er zu or­ga­ni­sie­ren und da­für brauch­te er Blu­men aus dem Ge­wächs­haus. Ro­sen, weiß wie Schnee und rot wie Blut. Nur die schöns­ten für den lei­der ver­stor­be­nen Lord Ge­ro.

      Bei der Ge­le­gen­heit soll­te er auch gleich die Phio­le mit dem Gift ver­schwin­den las­sen, ehe je­mand un­an­ge­neh­me Fra­gen stel­len konn­te. Da­für hat­te er näm­lich gar kei­ne Zeit.

      3. Alixena

      Die über­wäl­ti­gen­de Trau­er war bald ei­nem Ge­fühl grim­mi­ger Ent­schlos­sen­heit ge­wi­chen. Sie muss­te nach Hau­se, zu ih­rem Kind.

      Da sie als War­la­dy oh­ne­hin nicht an die Front ge­hen durf­te, war es kein Pro­blem, das Kom­man­do an Vi­zela­dy Na­la zu über­ge­ben, sich eins der Dampf­mo­bi­le mit Fah­rer zu neh­men und so schnell wie mög­lich nach Ac­niv zu ge­lan­gen.

      Im­mer wie­der muss­te ihr Fah­rer an­hal­ten, um an den ei­gens da­für ein­ge­rich­te­ten Kno­ten­punk­ten das Was­ser zu er­set­zen und neu­es Heiz­öl zu kau­fen. Die drei Ta­ges­rei­sen schie­nen ihr nicht zu­letzt da­durch un­end­lich lang, zu­dem wa­ren sie recht ein­tö­nig. Die meis­te Zeit sah sie nur Sand und Fels, wenn sie denn über­haupt nach drau­ßen schau­te, statt die Schei­ben ver­dun­kelt zu las­sen.

      Trotz­dem hat­te sie kein Recht, sich bei dem Mann zu be­schwe­ren – im­mer­hin war es ihm zu ver­dan­ken, dass sie über­haupt vor­an­kam. Der rund­um von hell­grau­em Plas­tik um­hüll­te Wa­gen bot ihr Schutz vor der sen­gen­den Son­nen­ein­strah­lung, der Hit­ze und dem Staub, der selbst meh­re­re Jahr­zehn­te nach der großen Dun­kel­heit im­mer noch auf den Stra­ßen lag und sich in den Lun­gen fest­zu­set­zen droh­te, wenn man sich nicht da­vor schütz­te. Sie muss­te in sei­nem In­ne­ren we­der ih­re Rüs­tung noch ei­ne läs­ti­ge Atem­schutz­mas­ke tra­gen.

      Ob er sie vor der an­de­ren Strah­lung schütz­te, ei­ner, die Men­schen krank mach­te, wuss­te sie nicht. Aber ir­gend­wie muss­te sie rei­sen. Nicht, dass es sie in den Städ­ten nicht ge­ben wür­de, aber laut den Gerä­ten der Wis­sen­schaft­ler schwä­cher. Auch wenn sie nicht wuss­te, wes­halb.

      Au­ßer­dem war sie voll­kom­men al­lei­ne in ei­nem Wa­gen, der auf sechs Pas­sa­gie­re aus­ge­legt war, und konn­te, wenn sie es woll­te, sich auf dem Bo­den lang aus­stre­cken und ru­hen.

      Das gleich­mä­ßi­ge Geräusch sich dre­hen­der, gut ge­pan­zer­ter Stahl­rä­der misch­te sich mit dem lei­sen Pfei­fen der Dampf­ma­schi­ne. Grau stieg der Rauch dar­aus auf und ver­misch­te sich mit den eben­so grau­en Wol­ken über dem Land.

      An­geb­lich soll es hier einst im­mer­grü­ne Wäl­der vol­ler Tie­re ge­ge­ben ha­ben, aber seit die große Dun­kel­heit vor­bei war, hat­ten sich erst we­ni­ge Pflan­zen an die Ober­flä­che ge­kämpft und ih­re satt­grü­nen Trie­be wur­den zu schnell wie­der von ei­ner Schicht aus Staub be­deckt. Man­che Din­ge kann­te sie nur aus den Er­zäh­lun­gen ih­rer El­tern: Fri­sche Luft, gu­tes Was­ser, mil­de Tem­pe­ra­tu­ren, Tie­re.

      Le­dig­lich ein paar Rat­ten hat­te Ali­xe­na mal ge­se­hen und ver­krüp­pelt aus­se­hen­de Bir­ken, meist in den ver­las­se­nen Städ­ten.

      Nur Müll gab es im Über­fluss. Ein Blick nach drau­ßen ge­nüg­te, um ihn zu se­hen. Ihn und die Men­schen, die größ­ten­teils oh­ne drin­gend not­wen­di­gen Schutz dar­in her­um­wühl­ten, um sich et­was Geld für ihr er­bärm­li­ches Le­ben zu ver­die­nen. Das war in ih­ren Au­gen das Schlimms­te. Doch egal wie sehr sie ver­such­te, da­für zu sor­gen, dass die Müll­samm­ler fair be­zahlt wur­den, blieb sie selbst als War­la­dy ohn­mäch­tig an­ge­sichts der herr­schen­den Kor­rup­ti­on. Für die, die nicht in den of­fi­zi­el­len, von ihr kon­trol­lier­ten Bri­ga­den sam­mel­ten, konn­te sie am we­nigs­ten tun. Das wa­ren recht­lo­se Men­schen. An­de­rer­seits, wa­ren sie nicht auch selbst schuld, wenn sie schwarz ar­bei­te­ten?

      Sie frag­te sich, wie es Da­rio ging. Ver­stand er über­haupt, warum sein Va­ter auf ein­mal nicht mehr mit ihm spiel­te? Ihn nicht mehr in den Arm nahm? Die Sehn­sucht nach ih­rem Kind war so groß, dass es schmerz­te.

      Seuf­zend leg­te Ali­xe­na sich auf dem Bo­den in die auf­ge­schich­te­ten Kis­sen, schloss die Au­gen und stell­te sich vor, wie es wä­re, ihr Kind im Arm zu hal­ten und Ge­ro an­zu­lä­cheln.

      Ge­ro.

      Sie spür­te, wie Trä­nen heiß aus ih­ren Au­gen quol­len, mach­te sich aber nicht die Mü­he, sie weg­zu­wi­schen. Ver­mut­lich war sie die ein­zi­ge, die auf­rich­tig um ihn wein­te. Sie und viel­leicht noch die­ser cha­ris­ma­ti­sche neue Ober­knecht, der in den letz­ten Au­gen­bli­cken von Ge­ros Le­ben bei ihm ge­we­sen sein muss­te. Wenn sie nicht al­les täusch­te, hieß er Fe­lix, aber sie war sich des­sen nicht ganz si­cher. Sich Na­men zu mer­ken, war noch nie ei­ne von Ali­xen­as Stär­ken ge­we­sen.

      Wenn sie nur schon in Ac­niv an­ge­kom­men wä­re.

      4. Felix

      Al­les war per­fekt.

      Er hat­te es ge­schafft, un­ter Auf­bie­tung sei­nes Ch­ar­mes, sei­nes strah­len­den Lä­chelns und et­was Geld aus der Kas­se des Hau­ses Lue – Aus­ga­ben, die Ali­xe­na mit Si­cher­heit ge­neh­mi­gen wür­de – ei­ne Bah­re aus schwar­zem Glas auf­zu­trei­ben.

      Die Lei­che von Lord Ge­ro ver­schwand na­he­zu un­ter den Ber­gen aus Ro­sen, weiß wie Schnee und rot wie Blut. Scha­de um das schwar­ze Glas, aber ver­mut­lich wür­de das die Ein­äsche­rung oh­ne­hin pro­blem­los über­le­ben und Fe­lix wür­de einen Weg fin­den, die wert­vol­le Res­sour­ce wie­der an sich zu brin­gen. Voll­kom­men schwar­zes Glas war zu kost­bar, um es in ei­ner Gruft zu­sam­men mit et­was Asche ver­schwin­den zu las­sen. Da­von konn­te er mit Si­cher­heit selbst ei­ne trau­ern­de Wit­we über­zeu­gen. Na­tür­lich erst, nach­dem er sie char­mant emp­fan­gen hat­te und sie Zeit be­kam, die Si­tua­ti­on zu ver­ar­bei­ten.

      Wie aufs Stich­wort fuhr Ali­xen­as Dampf­mo­bil di­rekt in den um­zäun­ten und ab­ge­trenn­ten In­nen­hof ein und füll­te al­les mit ölig-ru­ßi­gem Dampf, der sich auf die oh­ne­hin schon ge­schwärz­ten Mau­ern leg­te. Fe­lix un­ter­drück­te ein Hus­ten und lob­te sich in­ner­lich für die Ent­schei­dung, an die­sem Tag sei­ne schwarz­blaue Uni­form und nicht die leuch­tend ro­ten Trau­er­klei­der zu tra­gen. Es wür­de rei­chen, sie für die Ze­re­mo­nie an­zu­le­gen.

      Die War­la­dy