Katherina Ushachov

Der tote Prinz


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Schlag vi­brier­te auch durch Ali­xen­as Adern, droh­te, auch ihr Herz zu ver­lang­sa­men. Sie zwang sich, ih­ren Atem nicht an die Trom­meln an­zu­pas­sen und mit Da­rio so zü­gig wie mög­lich in den Kel­ler zu schrei­ten.

      Vor der ver­rie­gel­ten Kel­ler­tür war­te­ten drei Pries­te­rin­nen auf sie.

      Ei­ne nahm ihr ih­ren Sohn ab, die an­de­re ih­ren Schlei­er und die Drit­te zeich­ne­te mit wei­ßer Far­be Punk­te auf ih­re Wan­gen, dann mit ro­ter Far­be einen lan­gen Strich von ih­rer Stirn über ih­re Na­se bis zu ih­rem Kinn.

      »Lord Ge­ro Lue ist in das Haus der Nacht­kö­ni­gin ein­ge­zo­gen. Er sitzt an ih­rer Ta­fel, doch er kann ih­re Spei­sen nicht es­sen und ihr Was­ser nicht trin­ken.«

      Die Trom­meln wur­den schnel­ler, be­glei­tet von Skla­ven, die mit Schel­len an den Fuß­knö­cheln tanz­ten.

      »Ich ha­be mit mei­nen Ge­be­ten sei­nen Weg be­glei­tet, da­mit er an ih­rer Ta­fel sit­zen kann. Was muss ich tun, da­mit er von ih­rer Ta­fel spei­sen kann?«

      »Er muss durch das Feu­er ge­hen. So­lan­ge er nicht be­reit ist, wer­den ihm kei­ne Spei­sen be­rei­tet.«

      Ali­xe­na senk­te den Kopf. »So sei es.«

      Im­mer noch tan­zend und mit den Fuß­schel­len klin­gelnd, öff­ne­ten die Skla­ven die Tür in den Kel­ler.

      Vor dem Ofen lag Ge­ro auf sei­ner Glas­bah­re, die Blu­men auf sei­nem Kör­per schon leicht ver­welkt.

      Der süß­li­che Ge­ruch nach Ver­we­sung misch­te sich mit dem Duft der Ro­sen, aber auch mit dem leicht fau­li­gen Ge­ruch der be­reits wel­ken Blät­ter. Die Hit­ze in dem klei­nen Raum ließ die Far­be auf ih­rem Ge­sicht schmel­zen. Sie muss­te all ih­re Wil­lens­kraft auf­brin­gen, um kei­ne Mie­ne nicht zu ver­zie­hen. Wenn sie einen Feh­ler mach­te, wür­de es Ge­ro bei der Nacht­kö­ni­gin schlecht ge­hen.

      Ein Lä­cheln droh­te, ih­re Mund­win­kel zu rüh­ren. Ei­ne Trä­ne, ihr Au­ge beim Ge­dan­ken an ihn zu ver­las­sen. Sie wuss­te, welch ein Ge­schenk wah­re Lie­be war. Sie muss­te dank­bar sein, es über­haupt er­hal­ten zu ha­ben, statt dar­um zu trau­ern, dass es ihr wie­der ge­nom­men wor­den war. Aber wie­so tat ihr Herz da­bei so weh?

      Man durf­te es ihr nicht an­mer­ken.

      Im Rhyth­mus der Trom­meln schritt sie zur glä­ser­nen Bah­re.

      Das Ra­scheln und Klin­geln der tan­zen­den Skla­ven, die Gerü­che und die Hit­ze um­ne­bel­ten in ih­ren Ver­stand, bis sie nur noch ver­schwom­men sah, fast wie in Tran­ce agier­te.

      Ei­ne Pries­te­rin reich­te ihr ei­ne Scha­le mit ro­ter Far­be.

      Ali­xe­na trug sie auf ih­re Lip­pen auf und drück­te einen Kuss auf Ge­ros Stirn. »Mit die­sem Kuss zeich­ne ich dich. Durch die­ses Zei­chen wer­de ich dich an der Ta­fel der Nacht­kö­ni­gin wie­der­fin­den, wenn ich einst selbst hin­ab­stei­ge.« Sie trat zu­rück und drück­te den He­bel her­un­ter, der die Bah­re aus schwar­zem Glas lang­sam ins In­ne­re des Ofens fah­ren ließ.

      Die Trom­meln stei­ger­ten sich zu ei­nem schnel­len, fast ra­sen­dem Rhyth­mus. Ihr Herz droh­te, mit den Trom­meln aus ih­rer Brust zu sprin­gen. Das Ra­scheln und Klin­geln um sie her­um wob sie in die Schat­ten ein. Im­mer wil­der die Tän­ze, im­mer schnel­ler die Trom­meln, im­mer hei­ßer die Luft, bis sie es über Ge­ro flim­mern sah und die Ro­sen­blü­ten ver­glüh­ten, noch ehe sein Kör­per die Klap­pe er­reicht hat­te.

      Zu­letzt sank sie zu Bo­den, ihr Kör­per zuck­te und als sie schrie, ver­band sich ihr Schrei mit dem Glü­hen der Welt um sie her­um.

      Ge­ro war an­ge­kom­men.

      Gegenwart

      1. Elessa - 15 Jahre später

      Wie lan­ge soll­te sie noch vor dem Spie­gel sit­zen und sich sämt­li­che Haa­re zie­hen las­sen? Sie war sich je­den­falls si­cher, dass sie mit je­dem Strich des Lo­cken­kamms et­li­che da­von ver­lor, und das woll­te sie ga­ran­tiert nicht: mit ei­ner Glat­ze zum Fest im Cl­an­schloss der Lue er­schei­nen. Glat­zen hat­ten nur al­te Men­schen. So alt, dass sie sich noch an die gan­ze Zeit der Gro­ßen Dun­kel­heit er­in­nern konn­ten. De­nen hat­ten da­mals der Re­gen die Haa­re di­rekt vom Kopf ge­spült. Was Eles­sa trotz des ner­vi­gen Un­ter­richts, den ih­re Mut­ter ihr auf­zwang, noch nicht ganz ver­stand. Nicht, dass es sie über­haupt in­ter­es­sier­te.

      Sie bau­mel­te mit den Bei­nen und wünsch­te sich weit weg aus dem Palast der Do­tar. Zu den Stra­ßen­rat­ten, wo ih­re wirk­li­chen Freun­de wa­ren. Wo ih­re An­we­sen­heit et­was än­der­te. Wenn sie sich in die Lum­pen un­ter ih­rem Bett hüll­te, die Hän­de mit Bin­den um­wi­ckel­te und mit ih­nen in den Müll­ber­gen um Do­tar-Schloss nach Plas­tik, Glas und Me­tal­len such­te, fühl­te sie sich frei. Sie brauch­te das Geld nicht, aber sie war gut, und konn­te mit ih­rer Su­che zu­min­dest die Ar­men un­ter­stüt­zen. Hier je­doch, hier fühl­te sie sich nutz­los. Ih­re Mut­ter schenk­te ihr al­les, was sie woll­te – so­lan­ge es Din­ge wa­ren. Aber das, was sie wirk­lich woll­te, be­kam sie nicht: Frei­heit.

      Schloss Do­tar war ein hüb­scher Kä­fig vol­ler Me­tall­fä­den und glit­zern­der Glas­s­tei­ne, vol­ler dünn ge­walz­ter Plas­tik­blät­ter mit hin­ein­ge­drück­ten Ge­schich­ten und mit Ge­wächs­häu­sern vol­ler nütz­li­cher und schö­ner Pflan­zen. In all­dem fühl­te sie sich die meis­te Zeit so sehr ein­ge­sperrt, dass sie nachts in ihr Kopf­kis­sen schrie, bis sie kei­ne Kraft mehr hat­te und vor Er­schöp­fung ein­sch­lief.

      Die Zo­fen hör­ten end­lich auf, an ih­rem Haar her­um­zu­zup­fen – was sprach ge­gen prak­ti­sche Zöp­fe? – und zeich­ne­ten ihr statt­des­sen das tra­di­tio­nel­le Mus­ter der Do­tar aufs Ge­sicht. Den ge­rad­li­ni­gen dun­kel­ro­ten Strei­fen von Schlä­fe zu Schlä­fe, über ih­re ge­schlos­se­nen Au­gen­li­der hin­weg und über ih­ren Na­sen­rücken.

      Im­mer­hin war ihr Ge­sicht nicht so bleich wie das ih­rer Mut­ter, bei der die­ser Strei­fen im­mer wirk­te, als hät­te sie Blut im Ge­sicht. Den­noch – die Be­ma­lung fühl­te sich un­an­ge­nehm an und sie war sich si­cher, dass die Far­be span­nen und brö­ckeln wür­de, be­vor sie ihr Ziel er­reicht hat­ten. Al­so wo­zu das Gan­ze, wenn es oh­ne­hin die nächs­ten Ta­ge über nie­mand se­hen konn­te?

      Nach der Ant­wort brauch­te sie al­ler­dings gar nicht fra­gen, denn sie lau­tet stets gleich: Weil sie ei­ne Do­tar war und es sich so ge­hör­te. Da­rum.

      Das war auch der Grund, aus dem sie sich in ih­re Klei­dung zwän­gen ließ – ein Groß­teil da­von be­stand aus ir­gend­wie zu­sam­men­ge­such­ten Stoff­res­ten, die je­mand ein­heit­lich dun­kel­blau ge­färbt hat­te, ge­mischt mit ei­nem Ge­we­be aus lang­ge­zo­ge­nen Plas­tik­fä­den. Fast so sta­bil wie ei­ne Rüs­tung und mit Si­cher­heit ge­nau­so einen­gend. Auch wenn Eles­sa noch kei­ne Rüs­tung tra­gen muss­te – sie leb­ten nicht mehr in der ver­gan­ge­nen Zeit, in der man so­gar für Kin­der wel­che an­ge­fer­tigt hat­te. Wenn sie ehr­lich war, war sie froh dar­über, über ih­ren Sa­chen nicht auch noch die­sen Me­tall­klotz tra­gen zu müs­sen.

      Trotz­dem wür­de sie lie­ber ih­re Stra­ßen­rat­ten­klei­dung tra­gen. Al­les nur Lum­pen, aber im­mer­hin wei­che, ab­ge­tra­ge­ne Lum­pen, aus Stoff,