Dietrich Novak

Das Verlangen und der Tod


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sie wieder aufgebaut, als er mit ihr die Kreuzfahrt unternommen hat, aber je näher das Datum der möglichen Lebenserwartung rückt, desto unruhiger wird sie. Kein Wunder. Herbert ist wirklich ein Schatz. Dabei ist er durch seine Herzkrankheit ständig gefährdet. Mir graust davor, wenn er allein zurückbleibt.<<

      >>So ist es nun mal im Leben. Einer muss immer zurückbleiben.<<

      >>Und wie ist es euch so ergangen, ohne uns?<<

      >>So lala. Sei froh, dass du deine Vertretung nicht mehr kennenlernen musstest. Julia Thiel ist das ganze Gegenteil von dir. Verschlossen wie eine Auster. Sollte mich nicht wundern, wenn sie nur auf Frauen steht. Ihre herbmännliche Erscheinung verstärkt diesen Eindruck noch. Konstantin, dessen Charme bei ihr gänzlich versagte, konnte nicht aufhören, sie ständig herauszufordern. Zum Schluss hat sie Gift und Galle gespuckt.<<

      >>Und warum soll ich froh sein, sie nicht persönlich erlebt zu haben? Vielleicht hätten wir uns gut verstanden, weil wir beide dem weiblichen Geschlecht zugetan sind.<<

      >>Sie hätte bestimmt keinen Hehl daraus gemacht, dass sie über deine Rückkehr nicht gerade erfreut ist. Sie hat sich nämlich ernsthaft Hoffnungen gemacht, bleiben zu können, und wollte keinesfalls in ihre alte Abteilung zurück.<<

      >>Obwohl dieser Konstantin ihr so zugesetzt hat?<<

      >>Ja, wo sie herkommt, ist es wohl noch schlimmer. Bei uns hatte sie wenigstens Marlies und mich. Aber der Alte war unerbittlich. Na, du kennst ihn ja zur Genüge.<<

      >>Wohl wahr. Da kann er noch so viel Süßholz raspeln. Aber wie ich höre, wart ihr dennoch erfolgreich.<<

      >>Ja, wir haben schon den einen oder anderen Fall gelöst. Konstantin macht seinem Namen alle Ehre. Er ist in seiner Leistung konstant und unermüdlich bei der Arbeit.<<

      >>Na, dich hat‘s ja ordentlich erwischt ...<<

      >>Ach was, hör bloß auf. Und selbst wenn, es wird mir wenig nützen ...<<

      Inzwischen waren Valerie und Heiko am Zielort angekommen. Das Haus befand sich am Marlene Dietrich Platz, der Teil der futuristisch anmutenden Anlage am Potsdamer Platz war. Dort, wo einst der verkehrsreichste Platz Europas mit zahlreichen Straßenbahnlinien und Bussen und eine der ersten Ampelanlagen – der sogenannte Verkehrsturm – gewesen war, herrschte seit der Jahrtausendwende gepflegte Langeweile. Von dem einstigen großstädtischen Amüsierviertel, in dem tagsüber Angestellte, Sekretärinnen und Geschäftsleute zu ihren Arbeitsstätten eilten und nachts Amüsierwillige, Varietébesucher und Prostituierte das Bild prägten und es sogar ein Rotlichtmilieu gegeben hatte, flanierten zwar noch immer Touristen, aber von dem Flair war nichts geblieben. Das einmalige Kaufhaus Wertheim war durch eine Shopping Meile ersetzt worden, die sich kaum von den anderen in der Stadt unterschied. Ja, es gab wieder ein Theater und Schachtelkinos, aber wer noch Amüsiertempel wie das Haus Vaterland, das Pschorr-Haus oder Prachtbauten wie das Vox-Haus oder das Grand-Hotel Bellevue kannte, konnte seine Enttäuschung kaum verbergen.

      Ganz zu schweigen von den neuen Wohnhäusern, die mit Luxus warben, aber allesamt Mieten aufriefen, die kaum ein Normalverdiener bezahlen konnte. Wer freilich mit käuflicher Liebe sein Geld verdiente, wie das Opfer, griff gern tief in die Tasche, schon der Exklusivität wegen. Valerie war etwas enttäuscht, als sie von der kleinen Diele aus das Wohnzimmer betrat. Zwar ein großzügiger Raum, aber außer dem Ahornparkett, den bodentiefen Fenstern, einer schmalen Loggia und einem phantastischen Ausblick hatte der Raum nicht viel zu bieten. Noch uninteressanter war das beengte Schlafzimmer, in dem sich die Mitarbeiter der KTU tummelten, während die der Rechtsmedizin darauf warteten, endlich zum Zuge zu kommen.

      >>Schön, dich wiederzusehen<<, sagte Manfred Hoger, als er lächelnd auf Valerie zukam und Heiko freundlich zunickte. >>Dann sind die alten Hasen wieder beisammen. Nur auf deine Stella musst du wohl oder übel verzichten. Die hat heute ihren Waschtag.<<

      >>Frau Kern ist schon lange nicht mehr meine Stella, obwohl sie mich am schwersten Tag meines Lebens behutsam wie ein Engel vom Tatort wegführte.<<

      >>Ja, schlimme Sache. Du hast mein vollstes Mitgefühl. Umso mehr schätze ich, dass du uns erhalten geblieben bist. Und Knud Habich von der Rechtsmedizin hat auch schon ganz feuchte Augen bei deinem Anblick, wenn ich das richtig deute. Also, das Opfer ist der neununddreißigjährige Juan Carlos Dominguez, geboren in Rio.<<

      >>Wie kommt ihr auf die Idee, dass er als Callboy gearbeitet hat?<<

      >>Weil sich im Schrank eine Sammlung von Sexspielzeug befindet, und eine Kundenkartei, mit Kunden beiderlei Geschlechts, und einen vollen Terminkalender gibt es auch.<<

      >>Somit dürfte ihm die sicherlich horrende Miete nicht schwergefallen sein<<, sagte Valerie.

      >>Die dürfte augenblicklich im erschwinglichen Bereich sein. Auch hier greift der Mietendeckel. Jedenfalls solange er nicht als verfassungswidrig beurteilt wird.<<

      >>Ein Wunder, dass der Täter die Kundenkartei und den Terminkalender nicht mitgenommen hat. Er scheint sich sehr sicher zu fühlen. Oder er weiß, dass er in der Kartei nicht aufgeführt ist. Was steht denn heute bei seinem letzten Termin?<<

      >>Nur ein großes Z, allerdings mit Fragezeichen.<<

      >>Das könnte zweierlei bedeuten. Dass er unsicher war bezüglich der Identität des Kunden oder ob der Termin auch eingehalten wird. Wie seid ihr eigentlich hereingekommen? War die Tür aufgebrochen? Und wer hat den Leichnam entdeckt?<<

      >>Die Tür war nur angelehnt. Eine Nachbarin fand das merkwürdig, und als auf Klopfen und Rufen niemand reagiert hat, ist sie nachsehen gegangen.<<

      >>Die Dame müssen wir dann gleich mal sprechen. Hat sich Bargeld in der Wohnung befunden?<<

      >>Jede Menge. Auch sonst scheint nichts mitgenommen worden zu sein.<<

      >>Also kein Raubmord, sondern eine Tat aus Eifersucht oder Hass. Vielleicht hat er nicht so gespurt, wie der letzte Kunde es gewünscht hat. Gibt es Fingerabdrücke?<<

      >>Reichlich. Allein schon hier im Schlafzimmer. Das wird eine Sisyphosaufgabe für euch, um die ich euch nicht beneide.<<

      >>Warum sollten wir es auch einmal leicht haben? Weshalb gehst du eigentlich von einem männlichen Täter aus?<<

      >>Ich bitte dich, bei der Brutalität … Da müsste es schon eine Furie gewesen sein.<<

      >>Frauen können aus Eifersucht oder gekränkter Eitelkeit durchaus zur Furie werden. Und einen Stich ins Herz finde ich nicht sonderlich brutal, oder spielst du auf etwas anderes an?<<

      >>Hast du dir mal sein Genital angesehen?<<

      >>Nein, noch nicht. So vergnügungssüchtig bin ich nicht. Was ist damit?<<

      >>Man hat ihm die Hoden entfernt. Was glaubst du, was das da in dem Gefäß auf dem Nachttisch ist?<<

      >>Igitt.<<

      >>Die Kollegen von der Rechtsmedizin werden dir mehr dazu sagen können.<<

      >>Wonach riecht es hier eigentlich so streng? Irgendwie chemisch.<<

      >>Die Leiche ist mit Desinfektionsmittel gewaschen worden, und zwar gründlich. Demnach wird es keine fremde DNA geben oder nur winzige Restspuren.<<

      >>Mist. Habt ihr die Tatwaffe gefunden?<<

      >>Nein, die muss er mitgenommen haben. Der Eintrittswunde nach zu schließen so etwas wie ein Eispickel. So ihr könnt dann! Wir sind hier drin erst mal fertig.<<

      Knud Habich kam in Begleitung eines etwas schüchtern wirkenden, jungen Mannes herein.

      >>Darf ich vorstellen, Hauptkommissarin Voss, und das ist mein neuer Kollege Bernd Siebert. Er ist erst kurze