Michael Lindner

Der Fluch


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magisch an. Er hatte etwas Tiefes, so etwas wie Charakter oder Entschlossenheit. Er kannte sie schon länger und als sie das erste Mal nebeneinandersaßen, wandte sie sich ab, etwas scheu, als wollte sie nicht mit ihm sprechen. Sie drehte den Kopf so, dass er ihr Profil sah, ihre schönen Augen, ihre Augenbrauen, ihre Ohren, ihre Haut, die olivbraun war - anders als die Haut von Mischlingen - also nicht wie die Haut der Konbay oder der Ulahin. Ihr Ton war keine Mischung. Was ihre Gesichtszüge betraf, so waren diese eindeutig die einer Kowori Bantu - einer Wilden (selbst unter den Wilden gab es Wildere und weniger Wilde) - wenngleich einer sehr un-typischen Kowori Bantu, denn bislang kannte er Bantu - Frauen nur mit gelblich brauner Haut, einer Farbe, die heller war, als die der Frauen seines Stammes.

      Sie saßen in der hintersten Ecke einer großen, bescheidenen Hütte auf einem kleinen, altmodischen Diwan, den er irgendwann hierhergeschafft hatte, gleich neben der Feuerstelle. Der Tisch war zu hoch, selbst für ihn. Sie streckte den Rücken durch, hatte die Beine über Kreuz, sodass eine kleine Lücke in ihrem Rock zum Vorschein kam. Sie war zweifellos attraktiv. Ihre braune Haut, die Hände, ja vor allem die Hände und die Unterarme, die sie sich rasiert hatte, sodass feine schwarze Härchen hervorstanden, was aber nicht im Geringsten störte. "Woher kommst du ursprünglich?" fragte er sie.

      "Aus Weyal", antwortet sie. Abermals sah er ihr Profil von der Seite und jetzt, wo sie ganz nahe zusammengerückt waren, konnte er die eine und andere Unreinheit auf der Stirn und in dem kleinen Kinngrübchen feststellen. Ihre Hände waren ganz nahe an seinem Oberschenkel, wo sie ihn beinahe berührte, in einer Art Gebetshaltung zusammengefaltet. Es machte den Eindruck, als ob sie betteln würde. Ihr Blick, der seinen Oberkörper streifte bis zum Lendenschurz abwärts und wieder zurück hinauf, suchte Halt zu bekommen in seinen Augen, die unablässig wanderten, von ihrem Hals über die silbernen Ohrringe zu den kleinen weichen, wohlgeformten Ohren.

      "Ich brauche deine Hilfe!" flehte sie ihn an, gerade laut genug, dass er es verstehen konnte.

      "Du bist eine schöne Frau, du kannst alles von mir haben“, flüsterte er ihr ins Ohr, ganz nah zu ihr geneigt, mit seinem Mund knapp über dem Hals, sodass sie den Hauch seines warmen Atems spürte.

      Sie griff an sein rechtes Knie. "Du machst mich heiß", flüsterte sie.

      Er legte den Arm an ihre Taille, umfasste sie ganz, glitt unter das Kleid und streichelte ihre nackte, feste Haut. Ein wenig Babyspeck war da, gerade so viel, dass die Beckenknochen sich noch angenehm abhoben.

      *

      Der Tee war bereits fertig, als Nuii aufgehört hatte zu erzählen. Robin hatte ihn in einem alten Kessel gekocht. Er eignete sich hervorragend zum Kochen, fand er, denn er war groß, breit und passte ganz genau auf die Stellfläche aus zwei quadratischen Steinen. Die Tür stand noch immer offen. Die Sonne senkte sich bereits und der Tag neigte sich seinem Ende zu. Die Hitze wurde erträglich und es entstand ein angenehmer Luftzug, der von der Tür zu dem Fenster auf der anderen Seite wehte. Ab und zu konnte man sogar das Salz in der Nase und auf dem Gaumen spüren, das die an der Küste sich brechenden Wellen dem Wind auf seinen Weg mitgaben. Der Strand war von hier nur wenige hundert Meter entfernt. Robin saß auf dem alten Stuhl, der neben dem Kamin stand. Nuii hatte an seiner Seite Platz genommen, den Blick nach draußen gerichtet, auf die freie Fläche vor dem Haus, zu den gebogenen Stämmen der dahinter-liegenden Palmen und dem kleinen Waldstück. Robin sah ihn ungeduldig an. Es brannte ihm eine Frage auf den Lippen, die er ihm nur zu gern gestellt hätte: Warum hatte Layla seine Hilfe gebraucht?

      Nuii nippte vorsichtig den Tee aus einer silbernen Blechtasse. Er schien ihm zu schmecken. Zufrieden schlürfte er in kleinen Schlucken. Da fiel sein Blick auf den großen Kessel, der jetzt am Boden neben der Feuerstelle stand. Er war noch halb voll und eine Menge grünbrauner Teeblätter befanden sich darin.

      „Woher hast du diesen Topf?“ fragte er Robin.

      „Diesen Topf?“ fragte Robin überrascht, „ich habe ihn aus meinem Boot.“

      „Aus deinem Boot?“ fragte Nuii. „Wo ist dein Boot?“

      „Mein Boot liegt in der Bucht, in der Nähe der Lagune.“

      „Du bist mit deinem Boot gekommen“, sagte Nuii. „Woher?“

      „Ich bin aus Europa gekommen.“

      „Europa? Ich habe gedacht, du kommst von Australien.“ Er pfiff durch die Zähne und schüttelte den Kopf, dass die Kette klimperte.

      „Australien? Ja, da war ich eine Zeit lang. Doch eigentlich bin ich aus Europa“, sagte er und wollte schon erzählen von seiner Heimat, da hielt er auf einmal inne. Es beschlich ihn ein seltsames Gefühl. Es war das gleiche wie vorhin, als sie auf der Veranda gestanden waren. Es kamen Gedanken an seine Vergangenheit, Erinnerungen an zu Hause, an Dinge, die er schon vergessen zu haben glaubte. Er sah Nuii an und bemerkte seinen neugierigen Blick. „Als ob durch ihn alles wieder zurückkommt“, dachte er. „Wie seltsam das ist.“ Er nahm eines der Teeblätter aus dem Kessel und begann daran herum zu kauen. Er überlegte, zögerte kurz und sagte dann: „Willst du das Haus sehen?“ Obgleich er Angst hatte, dachte er, dass ihn das vielleicht etwas ablenken könnte. Er schlug ihm vor, nach oben zu gehen, über die Treppe in das obere Geschoss, wo er schon lange nicht mehr war.

      Nuii schien erfreut von dem Gedanken. Er war geradezu begeistert, sprang auf und schob dabei unachtsam den Stuhl zur Seite, worauf der Teekessel umkippte und die braune Flüssigkeit mitsamt ihrem Inhalt den Boden übergoss.

      „Ich mache das gleich sauber“, sagte Robin schnell. Er nahm den Topf und trug ihn durch die rückwärtige Tür in seine Vorratskammer. Sie lag am Ende des Flurs neben dem Schlafzimmer.

      Als er wieder zurückkam, bemerkte er, dass es dunkel geworden war.

      „Du kannst ein paar Holzstücke in das Feuer werfen“, sagte er zu Nuii. Sie liegen auf der Veranda neben dem Eingang. Nuii ging nach draußen. Die Stämme der Palmen waren nur mehr schemenhaft zu sehen und die Treppe gleich neben dem Eingang, die gerade hinauf, vorbei an den drei großen Fenstern führte und von dort weiter in das Obergeschoss, lag beinahe schon völlig im Dunkel. Nur durch die rückwärtigen Fenster, von Westen her, kam noch Licht herein. Es beleuchtete Nuii schwach, als er mit den Scheiten in der Hand zurückkehrte und sie in den Kamin warf. Die auf seiner dunklen Haut aufgemalten Zeichen reflektierten den Schein des auflodernden Feuers. Sein Gesicht glänzte rot. Robin ging zum Tisch und nahm ein langes Stück Holz, das da lag. „Hier habe ich eine Fackel“, sagte er und entzündete das obere Ende mit einem kleinen Span. Sofort erhellte sich der Raum. Nuii blickte in die Richtung der alten Treppe, die jetzt wieder sichtbar wurde.

      „Hier können wir hinauf“, sagte er.

      „Ja“, antwortete Robin, „wir hoffen, dass sie nicht einstürzt.“ Er wies mit der Hand zu dem geraden Abschnitt hinauf, der entlang der Fenster über der Haustüre verlief und von dort weiter in rechtem Winkel steil nach oben führte.

      „Siehst du da?“ sagte er zu ihm, „dort am Geländer sind noch Kerzenhalter angebracht.“ Nuii sah die Reihe der gewundenen Säulen, von denen zwei bereits abgebrochen waren. Robin gab ihm die Fackel. „Nimm sie in die rechte Hand“, sagte er zu ihm. „Du gehst voraus!“

      Nuii schritt voran. Die Planken knarrten unter jedem seiner Schritte. Er vermied es, sich am wackeligen Geländer zu stützen und hielt die Fackel hoch in der rechten Hand. Robin folgte ihm. Er betrachtete aufmerksam den Boden unter seinen Füßen, um nur ja nirgendwo durchzubrechen. Im Schein des Feuers flackerten die alten Verstrebungen in den Fenstern auf. Sie waren teilweise komplett vermodert und zerfressen vom salzigen Meereswind. Knapp unterhalb der Decke war eine Stelle, wo sie ganz fehlten und wo auch das Glas beschädigt war.

      Die schmale Mondsichel stand blass am Himmel und es umfing die beiden ein Gefühl von prickelnder Spannung. Aus irgendeinem Grund hatte Robin nun keine Angst mehr, die Treppe würde nicht halten. Er folgte Nuii nach, mit einem etwas mulmigen Gefühl. Oben am Treppenabsatz führte ein Gang in beide Richtungen und an der dem Aufgang gegenüberliegenden Seite war eine verschlossene Tür. Ohne zu fragen, ging Nuii nach links in einen längeren Korridor, wo sich Eingang an Eingang reihte, bis zu einer Tür am Ende des Flurs, die offenstand