Michael Lindner

Der Fluch


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ihnen etwas passiert?“

      Robin seufzte, es hatte keinen Zweck hier noch etwas zu versuchen. Aber er wollte es weiter probieren.

      Beim nächsten Mal war er vorbereitet. Am Vortag hatte er eine Frau getroffen und sie blieb bei ihm während der Nacht. Sie war hübsch und an einem Auge war sie verletzt. Eine alte Verletzung von einem Autounfall, wie sie sagte.

      „Willst du mit dem Schiff fahren“, fragte er sie. Ihre Augen leuchteten und es erschien ihm wie ein guter Einfall. Er würde sie zwei Tage mitnehmen und dann wieder absetzen. Ja, das konnte er sich gut vorstellen.

      Diesmal waren es zwei Männer und sie fragten ihn nach den Dokumenten, dem Reisepass, den Segelscheinen und seiner Bankverbindung. Er gab ihnen alles in Kopie, wie er es vorbereitet hatte.

      „Wohin fahren sie?“ wollten die Männer wissen. Das Mädchen drückte seine Hand.

      „Nach Papua!“ sagte er. „Zuerst der Küste entlang.“

      „Was machen sie in Papua?“

      „Wir haben da einen Freund. Einen Aussteiger. Wir besuchen ihn!“

      „Na schön“, sagte einer der beiden.

      „Das Land ist wild“, sagte der andere, „das wissen sie wohl?“

      Robin parierte seinen forschenden Blick. Er spürte, diesmal würde es klappen.

      Das Mädchen lachte vergnügt. Man zeigte ihnen das Boot. Es war kleiner, mit Mahagoniholz in der Kabine und an Deck. Ein Einmaster mit Dieselmotor, großem Wohnbereich, zwei Schlafkojen und Kochnische. Auf dem Heck waren zwei kleine Holzsitzflächen, ringsherum verlief die Reling und in der Mitte führte eine Leiter hinab. „Sieh nur, sogar eine Badeleiter hat es! Die werden wir brauchen, oder?“ Sie war ganz außer sich, aber die Freude in ihren Augen machte ihn ein wenig nachdenklich. Er sah in ihr strahlendes Gesicht und wusste, sie hatte keine Ahnung davon, was er wirklich vorhatte. Beklommen zwinkerte er ihr zu.

      Dann ließ er sich von den Männern die Steuerung und das Navigationssystem erklären. Er wusste, wie sie funktionierten. Ähnliches hatte er bereits bedient. Den Peilsender erwähnten sie nicht. Er hoffte, er könnte ihn finden. Irgendwo bei den Geräten müsste er sein. „Er würde ihn auf Papua lassen“, dachte er.

      Sie würden glauben, er wäre dort vor Anker gegangen, um seinen Freund zu besuchen. Aber dann wäre er schon längst wieder weg. Sie könnten ihn niemals finden…“

      Sie stachen in See und nach einer Woche, nachdem er das ganze Schiff auf den Kopf gestellt hatte, entdeckte er die Geräte. Es waren zwei kleine Boxen mit weißem Gehäuse, an denen jeweils vier Schrauben angebracht waren. Eine von ihnen befand sich unterhalb der Steuerungseinheit, die andere lag dort, wo der Backofen war.

      Das Mädchen begann zu weinen, als er ihr sagte, er müsse nun alleine weiter, um seinen Freund zu besuchen. Sie wollte ihn nicht verlassen. Sie fragte ihn, ob er sie denn nicht liebe und aus welchem Grund er sie eigentlich mitgenommen hatte.

      „Ich weiß es selbst nicht!“ antwortete er. „Aber ich werde zurückkommen.“ Doch sie merkte, dass er nicht die Wahrheit sagte.

      Robin sinnierte noch eine ganze Weile, bis ihn das sanfte Plätschern des Meereswassers aus seinen Erinnerungen zurückholte. Er saß nun schon ziemlich lange auf dem Stamm der alten Palme, die sich sanft zum Wasser neigte und war dabei einen Plan zu fassen. Er wurde sich immer sicherer, was er wollte. Er wollte weg von hier. „Jawohl!“ sagte er laut. „Ich gehe zurück, zurück nach Hause!“ Und wie um sich selbst Mut zu machen, schwang er sich auf einmal herab vom Stamm, sprang in den Sand und schrie auf das offene Meer hinaus: „Ich komme! Ich komme zurück!“

      Das Schiff war eine Tagesreise entfernt. Er musste den weiten Weg nehmen, den er hierhergekommen war und über den hohen Berg klettern. Umgehen wollte er ihn nicht, denn das war zu gefährlich und außerdem war der Boden zu stark bewachsen. Er nahm es lieber in Kauf, einen anstrengenden Aufstieg mit schwerem Rucksack zu wagen, als dauernd mit der Machete Lianen wegschlagen zu müssen, oder gar auf irgendwelche Wilde zu treffen. Vom Fuß des Berges war es dann nicht mehr weit. Was er jetzt brauchte, waren Vorräte. Eine Menge an Vorräten, zunächst für den anstrengenden Fußmarsch und danach für die Reise mit dem Schiff, die eine ganze Weile dauern würde. Er nahm sich vor, keine verderbliche Ware einzupacken, sondern lediglich Kokosnüsse und Fleisch, das er vor längerer Zeit selbst mit Meersalz eingerieben und über offenem Feuer auf dem Platz vor dem Haus geräuchert hatte. Von seinem Vorhaben beflügelt, ging er zurück über den Strand durch das kurze Waldstück, vorbei an den Palmen bis zu seinem Schlafzimmer und von dort in den kleinen Raum, der seine Vorratskammer war. Bis auf diese beiden Räume - die Vorratskammer und das Schlafzimmer - sowie den großen Raum, wo die Treppe und der Kamin waren, hatte Robin kaum jemals irgendein anderes Zimmer in seinem Haus benutzt. Die meisten befanden sich ja im oberen Stockwerk. Ein Raum grenzte jedoch direkt an das Schlafzimmer an. Er war besonders groß und unwohnlich, wie er fand. Robin warf kurz einen Blick hinein, als er daran vorbeigehen wollte. Es kam ihm vor, als hätte er ihn noch niemals zuvor betrachtet. Ein paar Stühle befanden sich darin, ein altes Podest war aufgestellt, darüber stand ein Rednerpult, das mit rotem weichen Stoff bezogen war. „Hier hatte er wohl seine Reden gehalten“, dachte Robin und kurz fiel ihm Nuii ein, als er ihm vom König von Samoa erzählt hatte. „Nur jetzt keine Wehmut“, sagte er zu sich. Er verscheuchte seinen Gedanken und ging weiter.

      Seine Vorratskammer fand er so vor, wie er sie zuletzt verlassen hatte. Es lagen da auf einem Holzgestell, das er sich aus Ästen zusammen­gezimmert hatte, reihenweise Kokosnüsse und darunter, separat auf Palmblättern aufgelegt, eine Menge getrockneter Fleischstücke. Zum Teil waren sie aus dem Fleisch von Fischen, die er im Meer gefangen hatte und zum geringeren, aber immer noch beträchtlichen Teil, aus dem Fleisch der großen Vögel, oder der Rebhühner, wie er sie nannte - der langbeinigen Tiere, die er mit dem Gewehr jagte und deren Fleisch ganz besonders zart war. Immer wieder, wenn er einen solchen Vogel erlegt hatte und ihm den Kopf abschneiden musste, graute ihm noch Tage danach davon. Er sammelte die Fleischstücke ein und wickelte sie in frische Blätter. Fisch war ihm immer lieber gewesen, als dieses Fleisch hier. Auch, weil seine Munition zur Neige gegangen war, von der er sich anfangs sehr viel mitgenommen hatte. Er räumte sämtliche Fleischstücke ab und verstaute sie in seinem alten Rucksack. Die Kokosnüsse wollte er nicht mitnehmen, ebenso beschloss er auf Wasser zu verzichten, denn davon gab es genug in den großen, grünen Halmen des Waldes. Bevor er losging, wollte er jedenfalls noch viel davon trinken.

      „Draußen im Plastikbehälter war genug“, dachte er. Er musste das Wasser nur noch abkochen.

      Als er alles in seinem Rucksack verpackt hatte, sah er neugierig auf eine graue Blechtüre, die hinter dem Holzgestell verborgen war. Er öffnete sie. Ein dunkler, hohler Raum tat sich auf. Modriger Geruch trat daraus hervor. Er musste sich die Nase zuhalten, während er hineinsah. Er glaubte eine Eisenstange zu erkennen, die tiefer drinnen angebracht war. „Wem sie wohl nützte?“ dachte er. Er bekam Lust, den geheimnisvollen Raum zu erkunden. Er setzte sein Knie in die Öffnung, zog sich hinauf und kroch ein Stück weit hinein. Er konnte nichts sehen. Es war stockdunkel. Er kroch weiter und die Luft wurde immer schlechter. „Ich drehe besser um“, dachte er und schob sich zurück, dem Ausgang entgegen. Als er draußen stand, war er froh über seine Entscheidung. Es war wichtigeres zu erledigen. Er ging in den Gang hinaus. Durch das rückwärtige Fenster sah er, dass die Sonne hoch am Himmel stand. Es durfte also um die Mittagszeit sein. Wenn er sein Boot vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wollte, dann musste er morgen zeitig aufbrechen. Er machte sich daran Kleidung und geeignetes Schuhwerk zusammenzutragen. Auch sonst hatte er noch einiges zu tun. Er wollte nichts zurücklassen, das an seine Anwesenheit erinnerte. Ein letztes Mal noch ging er an diesem Tag hinaus zu seiner Palme. Er setzte sich in den Sand und lauschte dem Meeresplätschern. Dann, nach einer Weile, als es schon zu dämmern begann, stand er auf und ging zurück. „Ich werde heute früh zu Bett gehen“, dachte er unterwegs und trat ein ins Haus.

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