Norbert Johannes Prenner

Das ungeteilte Vertrauen


Скачать книгу

zu können!“ „Satt essen, gute Idee. Was haben wir denn noch in unseren Kammern, mein Schatz?“ Maria wurde ernst und sagte: “Erich, ich kann nirgends Fleisch auftreiben! Heute früh war ich am Naschmarkt. Es gibt nur Kartoffeln und Bohnen. Ein paar Rüben vielleicht. Du, wenn du willst, ich mach dir eine Eierspeis´. Eier gibt´s genug, Gott sei Dank, bist du einverstanden damit?“ Etwas brummig stimmte er zu. „Na, vielleicht krieg´ ich im Mai was Anständiges zu essen.

      Der Minister Sagmeister hat uns versprochen, dass nach der letzten missglückten Lieferung eine Besprechung der Ernährungsreferenten die schmale Fleischration zumindest für den Mai sichern soll. Das ist wirklich sehr edel von ihm, findest nicht auch?", spottete Erich. „Warum ziehen wir nicht auf´s Land? Draußen ist alles viel leichter. Mich friert, bitte lass uns gehen, ja?“, drängte seine Frau. „ Komm!“ sagte Erich, „so gut wie im letzten Jahr geht´s uns heuer nicht. Erinnerst du dich, Weihnachten im J u n i 1946?“ „Ja, die amtliche Lebensmittelzuteilung der Kollegen aus den Bundesländern für die unterernährten Wiener Journalisten“, lachte Maria. „Dieses Jahr gibt´s wahrscheinlich Steak“, sagte Erich. „Warum?“ fragte sie ungläubig, als sie in vom Graben in den Kohlmarkt einbogen. „Weil uns die Amis gesehen haben. Daraufhin haben sie gemeint, wer so unterernährt ist wie wir, kann sicher nur dummes Zeug zusammen schreiben. Also wäre es besser, wir schicken ihnen lieber was Ordentliches zu essen.“ Beide kicherten.

      „Hast du unsere Kalorienkarte mit, oder ist die noch in der Einkaufstasche im Seitenfach?“ fragte Erich. „Wozu brauchst du die jetzt? Es hat doch bald alles zu.“ „Ach, ich dachte, ich krieg´ irgendwo noch einen Krautkopf her.“ „Aber das verträgst du ja gar nicht mit deinem empfindlichen Magen“, antwortete Maria. „Weiß ich selber. Ich kenne einen Portier bei uns, bei dem kann ich ihn gegen Zigaretten eintauschen. Wenn ich nichts zu Rauchen habe, fällt mir auch nichts zu Schreiben ein, verstehst du?“ Maria schüttelte verwundert den Kopf. „Fühl´ mal“, bat sie Erich, der seine Hand unter ihren Mantel auf ihren Bauch schob. „Spürst du was?“ „Ja, Hunger“, lachte er, während sie eng umschlungen über den Heldenplatz gingen. „Ich habe Angst, Erich. Ich weiß nicht, das ist keine Zeit ein Kind zu bekommen.“ „Ach, Liebling, es ist in Ordnung. Der Krieg ist vorbei, ich habe wieder Arbeit. Was soll passieren? Zu allen Zeiten haben die Menschen Kinder bekommen. Wir haben weiß Gott schlimmere Zeiten erlebt, etwa nicht?“ „Vielleicht hast du Recht“, flüsterte Maria.

      In ihrer Wohnung, Nagler Gasse 12 angekommen, machte sich Maria sogleich in der bescheiden eingerichteten Küche zu schaffen. Erich vertauschte seinen grauen Anzug mit dem Morgenmantel und ließ sich in den Fauteuil fallen, um die Abendausgabe der Arbeiter-Zeitung durchzublättern. „Schatz, mit zwei oder drei Eiern?“ fragte Maria aus der Küche. „Besser drei“, antwortete Erich, „ und – gibt´s Salat?“ „Nein, tut mir Leid, heute nicht. Ein wenig ist noch vom Gurkensalat da, von gestern. Magst du den?“ „Ich bitte darum“, antwortete Erich. Maria servierte das Abendessen. „Setzt du dich nicht zu mir?“ „Ja, aber ich ess´ nichts mehr am Abend“. Du wirst noch verhungern, Liebes“, stellte Erich mit ernster Miene fest. „Hör´ dir das an“, fuhr er fort, „ Du hattest Recht, als du sagtest, der Hunger sei ein guter Lehrmeister. Hier steht, dass er uns Österreichern zum Bewusstsein gebracht hat, dass wir im eigenen Land nicht genügend Nahrungsmittel produzieren würden und dass es vom Außenhandel abhinge, ob wir uns satt essen können oder nicht.“

      „Hm. Vor allem aber von denen, die die Lebensmittel derzeit hier verteilen“, flüsterte Maria. „Österreich ist also in hohem Maße daran interessiert, seinen Handel mit der Außenwelt auszubauen.“ „Außenwelt! Wie das klingt, als ob wir in einem Käfig säßen. In gewissem Sinne sitzen wir auch in einem, Erich, oder? Gut bewacht, von fremden Soldaten.“ „Ach, Maria, das wird nicht ewig dauern, glaube mir. Sobald wir den Staatsvertrag haben, ist die Angelegenheit für die erledigt, du wirst sehen.“ „Ja, mit einem Molotow muss man erst einmal verhandeln können.“ Sie blickte über Erichs Schulter. „Lies! In der Sitzung des Außenministerrates hatte Molotow den Vorschlag Marshalls, die österreichische Frage an die Generalversammlung der Vereinten Nationen zu überweisen, damit sie in der Frage der Reparationen Empfehlungen ausarbeite, als absolut unbegründet zurückgewiesen. Und so wird´s auch beim Staatsvertrag werden! Gute Nacht, Liebling, mir reicht´s für heute.“ „Und ich komme um eins.“

      Kapitel 3

       In der Redaktion

      „Bitte etwas leiser!“ rief Carl, „wir können überhaupt nichts hören!“ Das Gemurmel im engen Sitzungszimmer verstummte. Alle lauschten gebannt der Stimme des Rundfunksprechers: „... die weiteren Verhandlungen im September dieses Jahres an die Generalversammlung der UNO zu überreichen. Marshall gab der Sowjetunion die Schuld an dem Scheitern der Verhandlungen über den Staatsvertrag, und zwar in erster Linie deswegen, weil Molotow sich weigerte, in der Frage des deutschen Eigentums in Österreich seine Ansicht auch nur im Geringsten zu ändern.“ „Na bitte, hab´ ich nicht gesagt, die Russen werden alles blockieren, was ihnen nicht in den Kram passt?“ rief Carl erzürnt. „Dreht doch endlich ab, wir kommen sonst gar nicht weiter“, forderte einer. „Noch nicht abdrehen, wartet noch“, rief Erich dazwischen, „... und nachdem Molotow erklärt hatte, dass lediglich die amerikanische Weigerung, die sowjetischen Abänderungsanträge zum Entwurf eines Viermächtepaktes in Erwägung ziehen .....“, fuhr der Sprecher fort, jedoch konnte man im allgemeinen Durcheinanderreden der Anwesenden nichts mehr verstehen.

      „So, jetzt wissen wir alle, was uns erwartet, meine Herren“, sagte der Chefredakteur.“ „Na dann, Mahlzeit. Den Staatsvertrag können wir uns malen“, meinte Erich resigniert. Dr. Brock schlug mit dem Kaffeelöffel sanft an den Tassenrand und bat um Ruhe. „Darf ich Sie ersuchen, Platz zu nehmen, meine Herren. Wir haben noch viel vor heute Abend.“ Es begannen Sesselrücken und Papierrascheln. Alle hatten einen Sessel ergattert. In der Runde glimmte Zigarettenfeuer, dichte Rauchschwaden zogen unter den grünen Hängelampen des Konferenztisches ihre stummen Bahnen. Die Kaffeekanne kam nicht zur Ruhe. Plötzlich trat Stille ein im Sitzungszimmer. „Wie Sie wissen, hat sich die Salzburger Journalistengewerkschaft einstimmig gegen den Beitritt zu einer reinen Fachgewerkschaft ausgesprochen.“

      Man vernahm deutliches Raunen und Räuspern im Zimmer. „Die Argumente der Salzburger Kollegen waren die, dass sie ihrer Über-zeugung nach nicht die für die Presse unbedingt notwendige Berufsvertretung darin sehen, die mit allem Nachdruck die Interessen der österreichischen Redakteure vertreten würden“, fuhr der Chefredakteur fort. „Und darf man auch erfahren, wieso nicht? fragte Dr. Brock. „Nun, weil sie der Auffassung sind, dass diese Sektion in der völlig unmöglichen Gemeinschaft mit Musikern, Bühnenangehörigen, Kettensprengern und was weiß ich noch immer die kleinste Gruppe darstellt, und daher als Minderheit gar nicht in der Lage wäre, mit dem nötigen Nachdruck unsere Interessen gegenüber allen Stellen zu vertreten.“ „Aber als standesmäßige Vertretung arbeitet die Sektion völlig unabhängig“, meinte Erich. Dem stimmten alle zu. „Immerhin hat man uns finanzielle Teilautonomie und völlige Selbständigkeit zugesichert“, entgegnete der Chefredakteur. „Also, warum dann nicht?“ fragte Dr. Brock erneut. „Sie haben es eben gehört. Man bezweifelt die Effizienz an der Vertretung der Interessen.

      Aber, meine Herren, trotz dieser kleinen Niederlage sollten Sie nicht vergessen, dass dieses große Werk des Aufbaues nur gelingen kann, wenn alle Beteiligten positiv mitarbeiten. Wir müssen, koste es was es wolle, unsere Kraft auch weiterhin in den Dienst unserer schwergeprüften Heimat stellen. Ich hoffe, Sie sind sich darüber im Klaren, und bedenken Sie bitte eines, nur in einem gesunden Staat kann sich eine mächtige Presse entwickeln.“ Lautes Beifallsgeklatsche. „Nachdem uns die Vertreter der Siegermächte aufgefordert haben, die Presse-freiheit im Lande möglichst rasch wieder herzustellen, und sie alle von ihnen selbst verfügten Maßnahmen zur Einschränkung der Pressefreiheit wieder aufgehoben haben, können wir nur eines tun – nämlich arbeiten!“ Abermals lauter Beifall.

      „Damit wir unsere Aufgabe jedoch zur Befriedigung aller erfüllen können, wurde der Rat der Alliierten, aber auch die österreichische Bundesregierung gebeten, dass alle Zeitungen der politischen Meinungspresse, und zwar unabhängig von ihrer Auflage,