der Profit zu Gunsten weniger.
Glücklose Kernelemente der Hartz-Reformen, wie die sog. Ich-AGs oder die Personal-Service-Agenturen (PSA) landeten mittlerweile auf der Müllhalde der Geschichte. In einer Meldung des Handelsblatt vom 26.12.2005, unter der Überschrift „Die Hartz-Reformen verpuffen“, wurde berichtet, dass sich die durchschnittliche Verweildauer in Arbeitslosigkeit, bei der Vermittlung durch private PSA, gegenüber der herkömmlichen, durch die Agentur für Arbeit, um fast einen Monat verlängert hätte. Ferner hätten dem Bericht zufolge die monatlichen Kosten weit über den sonst üblichen gelegen. Demnach kostete jeder Arbeitslose, der von einer PSA betreut wurde, 5700 Euro mehr.
Zu den Motiven der Hartz-Reformen äußerte sich u. a. der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel in einem Interview mit der Tagesschau vom 02.07.2004 folgendermaßen: „Das vorrangige Ziel ist vor allem, Sozialausgaben einzusparen. Wir haben die hohe Arbeitslosigkeit, wir haben hohe Kosten durch die Arbeitslosigkeit. Das vorrangige Ziel ist einfach einzusparen. Der Wirtschaftsminister (damals Wolfgang Clement (SPD), d. V.) hat ja selber gesagt, dass die wichtigste Herausforderung für Arbeitsplätze Wirtschaftswachstum ist. Aber von den Hartz-Gesetzen – das wissen wir sicher – gehen keine Wachstumsimpulse aus, eher sogar eine Belastung. (…) Wir haben Berechnungen, dass die Arbeitsmarktreformen am Ende sogar ca. 100.000 Arbeitsplätze kosten können“. Das ist eine bemerkenswerte Aussage, auch wenn hier längst nicht alle wesentlichen Ziele der Reform angesprochen wurden, über die man wohl lieber nicht so gern in aller Offenheit sprechen möchte (vgl. Kap. 5.2ff).
Es ist in der Tat zu fragen, ob überhaupt eine Arbeitsmarktreform notwendig und sinnvoll war, um dem Problem der Arbeitslosigkeit Herr zu werden, oder stattdessen die Konzentration auf eine andere Wirtschafts-, Finanz- und Strukturpolitik erforderlich gewesen wäre, welche Arbeitsplätze u. a. durch Kaufkrafterhöhung und Wachstum schafft bzw. erhält. Wobei, am Rande bemerkt, Wirtschaftswachstum nicht mit ökologischer Belastung gleichzusetzen ist, es kommt vielmehr darauf an was wächst, ob das Volumen umweltfreundlicher Produkte und Dienstleistungen wächst oder aber das, die Umwelt belastender.
Eine Arbeitsmarktreform kann per se keine Arbeitsplätze schaffen, sie ist also kein Ersatz für eine entsprechende Wirtschafts-, Konjunktur- und Strukturpolitik. Hieraus ergibt sich schon vom Ansatz her ein erster Hinweis darauf worum es den Reformern in Wirklichkeit ging, welcher Geist dahinter stand und steht. Es ging ihnen offenbar weniger darum die Arbeitslosigkeit an sich zu bekämpfen, sondern stattdessen die Arbeitslosen selbst (und damit übrigens auch die Arbeitnehmer!), um es vielleicht etwas zugespitzt aber im Wesentlichen zutreffend zu formulieren. U. a. die Hartz-Reformen sind gelinde gesagt das Ergebnis einer Umdeutung, eines Paradigmenwechsels: Die in Arbeitslosigkeit geratenen werden nunmehr weniger als Betroffene und Geschädigte einer wirtschaftlichen, strukturellen und gesellschaftlichen Fehlentwicklung angesehen und dargestellt, sondern dem Tenor nach tendenziell selbst für ihre Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht (sog. „Eigenverantwortung“!), womöglich als faul, unflexibel oder unfähig hingestellt. Beredtes Indiz dafür ist u. a. die Abkehr von einer aktiven Arbeitsmarktpolitik hin zu einer sog. aktivierenden, wie man das so „schön“ im fachlichen Jargon verhüllt, von der Alltagssprache in abgehobener und unverfänglicher Manier ausgedrückt sehen möchte. Anstatt die Erwerbslosen in solider und seriöser Weise bei der Arbeitsuche zu unterstützen ist man nunmehr dazu übergegangen sie fast ausschließlich zu „aktivieren“, was nichts anderes als die vorrangige Anwendung von Zwangsmaßnahmen und Druck von Seiten der Agentur für Arbeit auf Erwerbslose und Arbeitnehmer bedeutet (vgl. Kap 5.2 u. 5.2.1). Man hat den Spieß also einfach umgedreht, man unterstellt den Menschen offiziell generell eine grundsätzliche Arbeitsunwilligkeit um die Anwendung von Zwangsmaßnahmen zu rechtfertigen, worin die „Höhere Kunst“ eines Zynismus und einer Menschenverachtung zum Ausdruck kommt, welche mehr und mehr die Funktion einer Chiffre für die gegenwärtige Zeit übernimmt. Ebenso hat man offenbar insgeheim das Ziel der Vollbeschäftigung aufgegeben, entgegen allerdings nur noch bemerkenswert einsamen und wohl kaum ehrlich gemeinten, offiziellen Führsprachen für diese (vgl. u. a. ehem. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz im Berliner „DER TAGESSPIEGEL“ v. 18.04.08).
Offenbar hat sich etwas getan, weht nun ein anderer Wind, ein neuer Geist treibt nun sein Unwesen; wobei dieser Geist eigentlich gar nicht so neu ist, wie noch gezeigt werden wird (vgl. u. a. Kap. 2.4). Diese Geisteshaltung beruht auf einem anderen Fundament, braucht andere Rechtfertigungen, eine Propaganda und ebenso ein anderes Instrumentarium, also wie im vorliegenden Fall u. a. eine sog. Arbeitsmarktreform, welche den Hebel ausschließlich bei den Erwerbslosen und Arbeitnehmern ansetzt und nur hier Druck ausübt. Bei letzteren vor allem mit der Absicht ihnen umso mehr Angst vor Erwerbslosigkeit einzuflößen zu können und sie damit entsprechend gefügiger zu machen.
Reformen sind nicht erst in den letzten Jahren in Mode gekommen, wie vielleicht manch jüngerer Zeitgenosse glauben könnte. Das Zeitalter der neoliberalen Reformen brach in Deutschland im Wesentlichen mit dem Antritt der konservativ-(wirtschafts)liberalen Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl, im Jahr 1982, an. Auch damals schon sprach man von der Wende, welche u. a. mit dem sattsam bekannten Ausspruch des wohlbeleibten Helmut Kohl, den der Autor noch heute im Geist hört: „Wir müssen unseren Gürtel enger schnallen“, eingeleitet wurde. Sich selbst und seinesgleichen hatte Herr Kohl wohl nicht damit gemeint. Etwa seit Mitte der achtziger Jahre, also nur kurze Zeit nach den ersten Reformbestrebungen, ging und geht der Lebensstandard in der Bundesrepublik Deutschland stetig zurück, stieg die Arbeitslosigkeit kontinuierlich an und geht es immer größeren Teilen der Bevölkerung, einschließlich dem Mittelstand, immer schlechter. Das liegt auch daran, dass unsere Gesellschaft seit dem stetig weiter aus dem Gleichgewicht gerät, sich die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet. In der Wissenschaft würde man hier von einem sich selbst verstärkenden Prozess („Positive Rückkopplung“) sprechen. Z. B. würde sich ein Schiff mit Schlagseite bei Wassereinbruch infolge der Eigendynamik des Prozesses immer weiter und schneller (exponentiell) zur selben Seite neigen, bis es kentert. Auf unsere gesellschaftlichen Verhältnisse übertragen heißt dies: Die Reichen werden Kraft ihres Reichtums und Einflusses immer reicher und einflussreicher bzw. gewichtiger, während die Potenzen und Möglichkeiten der Armen und weniger wohlhabenden im gleichen Maße schwinden, wenn nicht von außen korrigiert wird. Da sind wir bei dem berühmt berüchtigten Teufelskreis. Der folgende Spruch, der einem ehernen Naturgesetz folgt, kommt nicht von ungefähr: Wer viel hat dem wird gegeben und wer wenig hat dem wird noch genommen.
In der Tat hatte sich mit Beginn der achtziger Jahre eine Wende vollzogen, welche in eine Richtung führte, die bis heute nicht korrigiert wurde. Von einer sog. nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik bzw. (Um)Verteilungspolitik, zugunsten des Allgemeinwohls (vgl. 2.2.1.), ist man zu einer angebotsorientierten übergegangen, was nicht ohne negative Folgen für die Allgemeinheit blieb und bleiben wird. So schreibt Demirovic, A. (2007: 25): „Es gibt einen bürgerlichen Konsens, der in den vergangenen dreißig Jahren nachhaltig entwickelt wurde, dass das staatliche Programm der Herstellung gleicher Lebensverhältnisse für alle Bürger und Bürgerinnen nicht weiter verfolgt werden soll. Es war eine der ersten Amtshandlungen des neoliberalen Bundespräsidenten Horst Köhler, dies noch einmal zu bekräftigen.“ Seit nunmehr rund dreißig Jahren wird dieselbe Wir-müssen-den-Gürtel-enger-schnallen-Propaganda betrieben, nach dem Muster: Entlastet die sog. „Leistungsträger“ und belastet den kleinen Mann auf der Straße, letzteren mit der Mahnung an seine sog. „Eigenverantwortung“, damit es uns bald besser gehen würde und wir im globalen Wettbewerb bestehen können. Wobei zu fragen ist, wie es da eigentlich mit der Eigenverantwortung der sog. Leitungsträger steht und wer tatsächlich die Arbeitsleistungen und Entbehrungen in dieser Gesellschaft erbringt und was, und vor allem wem diese Tortouren bisher etwas gebracht haben. Wie oben angeführt, hat sich die Situation des Gros der Bevölkerung seither nicht verbessert, es muss seit rund dreißig Jahren den Gürtel stetig enger schnallen, abgesehen von den sog. „oberen Zehntausend“, denen es damit immer prächtiger geht – zumindest vorläufig (vgl. Kap. 4). Wofür also und für wen? In diesem Zeitraum wuchs kontinuierlich die Belastung der Einkommen aus unselbständiger Arbeit u. a. durch Sozialabgaben, Zuzahlungen zur Gesundheits-, Wasser- und Stromversorgung usw., während Einkommen aus Vermögen