Norman Dark

Aus dem Totenreich


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nahm artig zwei Löffel, verzog aber angewidert das Gesicht.

      Nach kaum einer Stunde brachte sie alles wieder heraus. Danaë Samara rief erneut den Doktor, doch der ließ vorerst auf sich warten.

      Sotirios Fafalis war Eudokia Angelis noch nie begegnet, obwohl sie im selben Stadtviertel wohnten. Das mochte daran liegen, dass Sotorios sich entweder in seinem noblen Maklerbüro in Kolonaki aufhielt oder ein neues Objekt in Augenschein nahm, das er für lukrativ genug hielt, es nach wenigen Schönheitsreparaturen überteuert wieder zu veräußern.

      Fafalis, der nicht unattraktiv war mit seiner schlanken Figur, den kurzen blonden Haaren und eisgrauen Augen, ging bei seinen Geschäften außerordentlich skrupellos vor. In die Jahre gekommene Häuser oder Eigentumswohnungen ließ er mittels Homestaging aufbereiten, indem er die nötigsten Reparaturen veranlasste und durch Leihmöbel einen gefälligeren Eindruck der Immobilie vermittelte. Er hatte keine Hemmungen, andere übers Ohr zu hauen, und schreckte auch nicht davor zurück, seine Kunden ins Unglück zu stürzen. Als Atheist glaubte er nicht an eine höhere Macht und hatte für gläubige Menschen nur ein verächtliches Lächeln übrig.

      Eudokia war tagelang nicht aus dem Haus gegangen und hatte immer gleich aufgelegt, wenn Dimitrios anrief. So langsam müsste er begriffen haben, dass es ihr ernst war, dachte sie. Bei einem Bummel durch die Straßen von Kolonaki kam sie in der Patriarchou Ioakeim an Sotirios Fafalis’ Geschäftsräumen vorbei, als sie in der Ferne Dimitrios zu erkennen glaubte. Scheinbar interessiert betrachtete sie die Exposés teurer Immobilien, um aus dem Augenwinkel zu beobachten, ob ihr Exgeliebter sich ihr näherte. Kurz entschlossen betrat sie das Maklerbüro und wurde sogleich von einem Mitarbeiter in Empfang genommen.

      »Gnädige Frau suchen eine luxuriöse Immobilie, die Ihrer Erscheinung gerecht wird?«, fragte der schnöselige Typ mit falschem Lächeln.

      »Ja, ich wollte mir mal einen Überblick verschaffen, was so im Angebot ist.«

      »Bitte nehmen Sie doch Platz. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten oder ein Glas Champagner?«

      »Danke, im Moment möchte ich nichts.«

      Eudokia setzte sich so hin, dass sie durch das Schaufenster zwar die Straße beobachten konnte, aber selbst nicht gleich ins Auge fiel.

      »Woran haben Sie gedacht? Eine große Wohnung oder eine Villa? Und in welchem Stadtteil sollte beides liegen?«

      »Ach, mein Mann und ich fühlen uns hier in Kolonaki eigentlich ganz wohl. Die Wohnung in einem repräsentativen Altbau ist auch ganz schön, aber ein oder zwei Zimmer mehr dürfte sie schon haben. Also in der Größenordnung sechs bis acht Zimmer.«

      »Wenn Sie preislich nicht gebunden sind, wird sich da bestimmt etwas finden lassen.«

      Der Mitarbeiter starrte auf den Bildschirm, um den Bestand zu durchsuchen, als im Hintergrund Stimmen laut wurden. Ein älterer Herr ereiferte sich derart, dass jegliche Beschwichtigungsversuche von Sotirios Fafalis vergeblich waren.

      »Sie haben uns um unsere gesamten Ersparnisse gebracht«, schrie er, »in unserem Alter werden wir keine Gelegenheit mehr haben, uns finanziell zu erholen.«

      »Das tut mir außerordentlich leid, aber es war nicht abzusehen, dass das Projekt letztendlich nicht realisiert werden konnte. Unvorhersehbare Ereignisse …«

      »Ach, faseln Sie doch nicht. Ich möchte nicht wissen, wie viele andere Leute Sie noch unglücklich gemacht haben. Aber damit kommen Sie nicht durch. Ich werde Sie vor Gericht bringen. Von wegen Anteilscheine eines Immobilienfonds … Wahrscheinlich hat es das Projekt nie gegeben. Die Fotos und Pläne – alles Makulatur … Für uns eine Katastrophe. Es sollte unser Altersruhesitz sein.«

      »Ein gewisses Risiko besteht immer. Darüber habe ich Sie nicht im Unklaren gelassen.«

      »Ach was, zugeredet haben Sie mir. In den buntesten Farben alles ausgeschmückt. Dafür werden Sie in der Hölle schmoren. Wenn es keine irdische Gerechtigkeit gibt, dann bestimmt eine übergeordnete.«

      Der alte Herr sprang auf und warf dabei seinen Stuhl um. Dann lief er zum Ausgang, hielt aber kurz bei Eudokia an.

      »Lassen Sie sich von dem Betrüger nicht einwickeln. Sie werden es bitter bereuen«, sagte er und verließ das Ladengeschäft.

      Der Mitarbeiter tat, als wäre nichts geschehen und legte ihr einige Ausdrucke vor. Eudokia warf keinen Blick darauf.

      »Ich denke, ich habe genug gehört«, sagte sie energisch und ging hinaus, ohne eine Antwort abzuwarten.

      Draußen blickte sie sich ängstlich um, doch von Dimitrios gab es keine Spur. Ein fataler Irrtum, wie sie wenig später bemerkte. Im Zickzackkurs lief sie zur Metrostation Evangelismos und stieg in den Zug der Linie 3, der gerade ankam. Von der Tür aus sah sie, dass Dimitrios in letzter Sekunde den Nebenwaggon bestieg. An der nächsten Station Syntagma reihte sie sich in den Strom der Fahrgäste ein und stieg in die Linie 2 um. Doch schon nach einer Station bemerkte sie Dimitrios wiederum im Nebenabteil. Sie machte noch einen letzten Versuch, ihrem Verfolger zu entkommen, indem sie an der Station Omonia in die Linie 1 umstieg. Als sie zu ihrem Schrecken feststellte, dass Dimitrios nicht aufgab, verließ sie an der Station Victoria die Metro, um im Schutz der ebenfalls Aussteigenden wenig später die Straße zu erreichen.

      In ihrer Panik hatte sie nicht einmal bemerkt, wo sie ausgestiegen war. In einer Gegend, die sie normalerweise mied. Der Viktoriaplatz gehörte zum Viertel Agios Panteleimon, das von heruntergekommenen Häusern mit überfüllten Wohnungen mit Einwanderern und Asylbewerbern aus Afghanistan, Asien allgemein oder Afrika geprägt wurde. Die Migranten hielten sich bevorzugt im Bereich des U-Bahnhofs Victoria auf oder lagerten auf den Stufen der gleichnamigen Kirche beziehungsweise auf dem davor gelegenen Spielplatz.

      So kam es immer wieder zu Ausschreitungen zwischen Einwanderern und Einheimischen wie schon im November 2008 und im Frühjahr 2009. Es gab auch Demonstrationen, bei denen Rechtsradikale Migranten angriffen, die wiederum von Autonomen in Schutz genommen wurden. Die Polizei beendete die gewalttätigen Aktionen stets mit Tränengas, doch es gab auch immer wieder Verletzte.

      Schnellen Schrittes lief Eudokia in eine Nebenstraße und landete kurz darauf in der Straße Acharnon. Angesichts der Villa Amalia, die jahrelang immer wieder von Anarchisten besetzt worden war und inzwischen restauriert als Schule diente, musste Eudokia eingestehen, dass es scheinbar auch positive Veränderungen in dem Viertel gab.

      Sie wusste nicht, ob sie immer noch verfolgt wurde, wagte aber nicht, sich umzusehen. Zwischenzeitlich hatte sie in Betracht gezogen, anzuhalten und Dimitrios zur Rede zu stellen. Doch sein Starrsinn und seine Drohungen ließen sie diesen Plan verwerfen.

      Die wenig Vertrauen erweckenden Häuser, die allesamt in einem erbärmlichen Zustand waren, ließen sie erkennen, sich verlaufen zu haben, als plötzlich ein Straßenhund wie aus dem Nichts vor ihr auftauchte. Das verwahrloste Tier mit Schaum vor der Schnauze fühlte sich offensichtlich bedroht oder fürchtete, um seine Beute – ein paar schmutzige Knochen – gebracht zu werden und ging unmittelbar zum Angriff über. Eudokia verspürte einen brennenden Schmerz in der Wade und sah Blut an ihrem Bein entlang rinnen. Da half nur die Flucht. Zum Glück waren dem Hund die Knochen lieber, sodass er nicht die Verfolgung aufnahm.

      In einem Hauseingang verband Eudokia die Wunde mit einem Taschentuch, um anschließend den Weg zurück zur Metrostation zu erfragen. Als ihr unerwartet ein Taxi begegnete, überlegte sie nicht lange. Erschöpft ließ sie sich auf das Sitzpolster fallen und nannte ihre Adresse. Von Dimitrios gab es keine Spur.

      Plaka war nicht nur ein Touristenmagnet mit seinen schön restaurierten Altbauten, sondern beherbergte auch zahlreiche Etablissements des Vergnügungsgewerbes. Dazu gehörten, wie nicht anders zu erwarten, Bordelle. Eines davon besaß Theofanis Xenakis, ein grobschlächtiger Kerl, dessen Maßanzüge im Gegensatz zu seinen schlechten Manieren standen. Sein breites Gesicht glänzte stets etwas fettig, und seine Vokuhilafrisur wirkte für sein Alter fast lächerlich. Dass er erst Mitte vierzig war, sah man ihm nämlich nicht an, so verlebt, wie er wirkte. Skrupellos machte er sich die Flüchtlingsproblematik im heutigen Griechenland zunutze, indem