Gabriele Seewald

Wintergrauen


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meiner Mutter gehören, aber die treibt sich noch in der Weltgeschichte herum. Ich hoffe, Rieke trudelt bald zuhause ein. Mutter geht es sehr schlecht, die Beerdigung ist zu regeln und weitere Angelegenheiten.“

      Liane runzelte besorgt die Stirn. „Es tut mir so leid wegen deine Papa.“

      „Ein Kommissar will mich sprechen, sicher wegen des Alibis.“

      „Oh?“, machte Liane verdutzt. „Es war doch gestern an die Nachmittag, als deine arme Vater ...“ Sie stoppte abrupt und senkte den Kopf.

      George raufte sich seine akkurate Frisur. „Ja verdammt! Ich wollte gestern zwar kurz ins Werk fahren, bin aber über den Bilanzen plötzlich für einige Stunden eingenickt. Da siehst du, wie mich unsere gemeinsamen wundervollen Nächte erschöpft haben. Nachher war es zu spät, um ins Werk zu fahren. Und dann rief meine Mutter an. Sie hat mich aus dem Schlaf geklingelt. Nachher verdächtigt mich die Kripo noch!“

      Liane war schnell bei ihm und fuhr ihm durch sein dichtes dunkles Haar. „Oh, meine arme Chéri, es ist so schrecklisch. Wenn isch dir kann helfen, isch tue alles für disch.“

      „Wenn du gestern nur bei mir gewesen wärst, als Zeugin.“

      „Aber niemand weiß, dass isch war in Paris zu die fünfte Jahrestag von meine Maman, an ihre Grab.“

      „Ich hätte dich ja gerne begleitet, aber die Arbeit ...“

      „Schon gut, George. In die Trauer isch war lieber allein.“

      „Und du hast niemanden in Paris getroffen?“

      „Isch wollte zu die alte Nachbarin, aber ihre Klingelschild ist ausgetauscht. Isch bald finde ihre neue Adresse heraus.“

      George nickte geflissentlich. „Dann könntest du gestern ja genauso gut hier bei mir gewesen sein.“

      „Ja!“, sagte Liane plötzlich vehement. „Isch war gestern bei dir in Nürnberg, nischt in Paris. Ruf misch an, wenn du misch brauchst.“

      George schob ihr einen Spaghettiträger von den Schultern und küsste ihren Brustansatz. „Wenn das Schlimmste hinter uns ist, und die Weihnachtsgeschäfte erledigt sind, dann fahren wir in Urlaub. Nur du und ich. Wie wäre es mit den Bahamas?“

      Liane lächelte. „Wohin du willst. Mit dir, isch schlafen in ein Höhle.“

      Er küsste sie zum letzten Mal. „Ich liebe deinen süßen Akzent.“

      in seinem silbernen BMW warf George einen Blick in den Rückspiegel. Ein verschlagen grinsendes Gesicht blickte ihm entgegen. Er musste Liane schmoren lassen, bevor er sie nach Düsseldorf bat. Sie würde kommen und ihm jeden Wunsch erfüllen. Mit ihrer Hilfe konnte ihm die Kripo nichts anhaben.

      4. Leonore

      Einige Stunden später erreichte George Hamilton Düsseldorf. Der noble Stadtteil Wittlaer lag im Norden direkt am Rhein. Als George in der ruhigen Villenstraße ankam, starrte er verblüfft auf sein Elternhaus. Durch den Vordereingang konnte er nicht, dort suchten eifrige Kriminalbeamte nach Spuren. Stirnrunzelnd entdeckte George am Ende der Villenstraße einen Wagen mit Kameras. Die Journalistenmeute hatte sich schon gierig über den Mordfall hergemacht. Auch wenn sich die Hamiltons immer in der Öffentlichkeit im Hintergrund gehalten hatten, nie mit ihrem Reichtum geprotzt oder exzentrisch gelebt hatten, jetzt waren sie direkt im Blitzlicht. George parkte seinen BMW etwas abseits vom Haupteingang. Gerade als er ausstieg, begann es zu schneien. Er hatte auf der Autobahn Glück gehabt mit dem Wetter. Er hörte die Kripobeamten fluchen. „Sauerei! Der blöde Schnee verdeckt jetzt auch noch die letzten Spuren.“ George hastete durch den Gärtnereingang. Leonore winkte ihm aus dem Küchenfenster des Gästehauses zu. Er schloss auf. Leonore kam ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen. „Oh George, ich bin freiwillig umgezogen. Die Turbulenzen in unserer Villa waren mir zuviel. Die Kripo hätte mich sowieso bald rausgeschmissen. Ich bin denen nur im Weg.“ George nahm seine Mutter in die Arme. „Wie geht es dir?“ Leonore schniefte etwas. „Doktor Schatz hat mir sehr starke Beruhigungsmittel gegeben. Anders ist es kaum zu ertragen.“ „Ich hoffe, die Kripo hat dich beim Verhör nicht zu sehr gequält.“ „Sie waren sehr rücksichtsvoll. Andererseits, die Beamten wollen ja weiterkommen.“ „Zu dumm, dass ich in Nürnberg war.“ „Dein Vater hat dich selber hingeschickt. Es war sozusagen sein letzter Auftrag für dich. Aber nun bist du da. Die Kriminalbeamten werden auch dich befragen. Ich habe vor Aufregung ganz vergessen, mit dir darüber zu sprechen. Sie haben jede Minute von mir überprüft, die Bankangestellten konnten sich erinnern, als ich die Markteinnahmen einzahlte und der Kellner im spanischen Restaurant in der Schneider-Wibbel-Gasse. Ausgerechnet, als es geschah, da habe ich mir Austern schmecken lassen.“ Ein paar Tränen rollten aus ihren Augen. George wischte sie mit seinem Handrücken weg. „Das konntest du doch nicht wissen.“ „Ich habe gestern mehrmals im Werk in Nürnberg angerufen, um dir von dem schrecklichen Ereignis zu berichten. Aber du warst nicht da, auch nicht an deinem Handy. Erst am Abend warst du zu erreichen. Das hat mich beunruhigt.“ George kniff die Augen zusammen. „Was meinst du?“ „Die Kripo braucht nicht zu wissen, dass Nürnberg eine Strafexpedition für dich war. Und nichts von dem bösen Streit mit deinem Vater, weil du ein ganz neues Geschäftskonzept aufziehen willst. Ich habe nichts darüber gesagt.“ „Aber die Knuse war dabei“, grübelte George. „Sie hat gehört, wie Vater mir drohte, mich zu enterben. Dabei bin ich als Adoptivkind genauso erbberechtigt wie Rieke.“ „Kordula Knuse ist auf dem Christkindlesmarkt in Nürnberg!“, sagte Leonore. „Die Kripo will am Montag mit der Befragung in unserem Werk hier in Düsseldorf beginnen. Das dauert, bis sie zur Knuse kommen. Aber dich werden sie fragen, wo du zur Tatzeit warst. Zu dumm, dass du nicht im Werk warst, dann könnten es alle Mitarbeiter bezeugen. Der Kommissar ist sehr energisch und könnte auf komische Gedanken kommen.“ Georges Stirnadern traten leicht hervor. „Ich war in unserer Nürnberger Wohnung! Wenn ich gewusst hätte, dass ich ein Alibi mit Massenauflauf brauche, hätte ich mich nackt auf den Christkindlesmarkt gestellt und die Presse eingeladen.“ Leonore tätschelte sich mit den Fingerspitzen die Stirn. „Hat dich ein Nachbar gesehen? Oder der Postbote?“ „Ich war nicht alleine, Mutter.“ Leonore öffnete erstaunt die Lippen. „Etwa eine Frau?“ „Ja Mutter! Ich gehe auf die Dreißig zu. Da kommt so was schon mal vor.“ Leonore suchte nach den richtigen Worten. „Und sie kann dir, ähm, aushelfen?“ George seufzte schwer. „Aushelfen? Sie wird meine Zeugin sein. Sie war die letzten Nächte bei mir und tagsüber in der Wohnung, um für ihre Prüfungen zu lernen.“ „Und gestern?“ George wich aus, Leonore bemerkte seine Unsicherheit. „George, kannst du sie überreden? Wo steckt sie jetzt?“ „Sie ist noch in unserer Nürnberger Wohnung.“, erwiderte George. „Eine fremde Person?“ „Ich kenne sie seit einigen Monaten, sie ist bezaubernd.“ „Liebt sie dich?“ George lächelte in der Erinnerung. „Die Faszination ist beiderseits.“ Leonore verzerrte ihre Lippen. „Ist sie zuverlässig? Wenn sie deine einzige Zeugin sein wird, hat sie dich damit in der Hand. Sie könnte dich erpressen. Du wirst ihr das Blaue vom Himmel versprechen müssen, einen Brillantring mindestens.“ „Stimmt“, murmelte George. „Die Dame sollte schnellstens ins Präsidium, um ihre Aussage zu machen. Dann hast du es hinter dir.“ George nickte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie brenzlig und eilig die Lage war. Sein Plan, Liane wie einen Esel mit einer Mohrrübe zu locken, der sich die Belohnung verdienen muss, verlor an Fahrt. George legte die Stirn in Grübelfalten. Liane mochte zu den schwer zu erobernden Frauen gehören. Aber wenn diese erst Feuer fingen, für den Mann, den sie liebten, taten sie alles. Ein Klingeln unterbrach seine Überlegungen. George rechnete mit Kripobeamten. Er wappnete sich mit einer würdevollen Trauermiene, aber es war Dr. Frank Schatz. George war erleichtert. „Frank! Danke, dass du Mutter beigestanden hast.“ Dr. Frank Schatz legte beide Hände auf Georges Schultern. „Mein Beileid, George. Ich muss euch beide kurz sprechen.“

      Dr. Schatz folgte George ins Wohnzimmer. Der Besucher blieb vor dem Terrassenfenster stehen und starrte in den parkähnlichen Garten. Seine Gestalt war hager, fast asketisch dürr, die eine ausgebeulte schwarze Deminhose und ein dunkelgrauer weiter Kaschmirpullover noch betonte. Der Psychiater trug gerne saloppe Kleidung, um vor Patienten und Studenten einen jugendlichen Eindruck zu schinden. Sein dünnes graues Haar trug er schulterlang, was ihm einen Philosophentouch