Gabriele Seewald

Wintergrauen


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wirkten sie wie ein groteskes Astronautenballett auf einem fremden Planeten.

      Dr. Schatz faltete die Hände im Rücken. „Die Kripo wird bald fertig sein. Sie wollen das ganze Gelände aber eine Weile überwachen.“

      „Ich werde keinen Schritt mehr in unsere Villa tun“, sagte Leonore. „Ich bleibe im Gästehaus.“

      Dr. Schatz drehte sich zu ihr um. „Wenn mich mein Beruf nicht riefe, würde ich als Bewachung hierbleiben. Aber ich muss heute einen Vortrag halten. Solange der Mörder frei herumläuft, mache ich mir ernsthafte Sorgen.“

      „Frank, du gruselst uns!“, entfuhr es Leonore. „Muss ich jetzt unter Polizeischutz leben?“

      „Die werden nur von der Straße aus kontrollieren. Es ist in eurem eigenen Interesse, wenn ihr selber für Schutz sorgt. Es weiß ja niemand, ob nur T.J. im Visier des Mörders war. Oder auch die Firma, oder vielleicht sogar die ganze Familie Hamilton.“

      George kniff grübelnd die Augen zusammen. „Du meinst, wir sollten uns nicht zu sorglos geben?“

      „Außer einer gewissen Pietät erwartet man von der Familie Hamilton ein hohes Interesse an der Aufklärung des Mordes. Und solange sie nicht weiß, wer dahinter steckt ...“

      George legte die Stirn in Falten. „ ... Angst haben muss. Und es nach außen demonstrieren sollte.“

      Dr. Schatz nickte. „Nur der Mörder kann sich sicher fühlen.“

      George war klar, es war nicht nur zu ihrem eigenen Schutz, auch ein Ablenkungsmanöver. Niemand sollte jemanden aus der Familie verdächtigen, die Mordkommission erst recht nicht. Ein schrilles Klingeln unterbrach sie. George ging öffnen.

      „Laetitia“, sagte er erleichtert.

      „Mein Beileid, George. Welch ein entsetzlicher Schicksalsschlag. Ihre Mutter sagte am Telefon, Sie wohnen jetzt im Gästehaus.“

      „Kommen Sie rein.“ George nahm ihr den Mantel ab und hängte ihn an die Garderobe.

      Laetitia folgte ihm ins Wohnzimmer. George stellte vor. „Doktor Frank Schatz. Frank, du kennst meine Sekretärin noch nicht. Das ist Frau Laetitia Cajani.“

      Dr. Schatz erinnerte sich gut an ihre zufällige Begegnung vor einigen Wochen. Die hatte ihn verwundert, aber er verkniff sich eine Bemerkung. Schon da war ihm aufgefallen, die Frau war atemberaubend, eine Verheißung. Üppige Formen, die ihr zimtbraunes Kostüm nur mühselig verbargen. Tiefschwarzes Haar umrahmte ihr apart herbes Gesicht mit den vollen Lippen und den intensiv blauen Augen. Ein betörender, schwerer Duft umschwebte sie, mindestens Opium.

      Laetitia reichte Leonore die Hand. „Mein Beileid, Frau Hamilton. Ich wollte kurz nach Ihnen sehen. Wenn ich helfen kann?“

      Leonore schüttelte den Kopf. „Dass Sie am Wochenende und bei dem Schnee noch zu uns herauskommen.“

      „Mein Mann Antonio und ich sind von der grausamen Nachricht geschockt. In der Firma wird es viel Gerede geben.“

      George blickte seine Sekretärin ernst an. „Am Montag will die Kripo in unserer Firma Befragungen durchführen. Bringen Sie die Kripoleute im Konferenzraum unter und verköstigen sie die Beamten gut. Mit Sicherheit wollen die Vaters Büro inspizieren. Wir haben ja nichts zu verbergen. Beruhigen Sie die Kunden und jeden der anruft.“

      Laetitia nickte. „Vor allem werde ich die Journalisten abwimmeln. Das Weihnachtsgeschäft muss unbehelligt weitergehen.“ Ihr Blick schweifte zur Fensterfront. „Hier ist aber eine Menge los.“

      George blickte zur hell erleuchteten Villa. „Kriminalbeamte mit ihren Spurensuchern. Sie stellen alles auf den Kopf.“

      Laetitia lächelte vage. „Dann sind Sie ja gut behütet.“

      Leonore schüttelte sich. „Doktor Schatz meint, wir sollten uns um privaten Personenschutz kümmern.“

      Laetitia reagierte schnell. „Eigene Bodyguards? Wir hatten letzten Sommer doch die Detektive im Betrieb. Ich schreibe Ihnen die Adresse auf.“

      Sie trank mit den Hamiltons eine Tasse Tee, dann ließ sie einen Zettel zurück. George brachte sie zur Haustür. Er drückte ihre Hände. „Vielen Dank, Laetitia. Vertreten Sie mich in der Firma so zuverlässig wie immer.“

      George blieb in der Eingangshalle stehen. Er holte sein Handy aus der Jackentasche und drückte die Rufwahl.

      „Chéri“, hörte er Lianes Stimme.

      „Liebling.“ George legte schmachtende Sehnsucht in seine Stimme. „Ich vermisse dich. Übrigens, kannst du auf dem Polizeipräsidium bestätigen, dass wir gestern zusammen waren? Wann kannst du hier sein?“

      „Oh, meine Wagen, die springt nischt mehr an. Isch muss kommen mit die Zug. So schnell wie möglisch isch dir helfen. Oh, meine arme Chéri.“

      „Ruf mich an, Liebling. Ich hole dich vom Bahnhof ab.“

      George steckte sein Handy wieder ein. Dr. Schatz hastete an ihm vorbei. „Ich muss zum Vortrag. Tschö, bis später.“

      Leonore griff nach Laetitias Zettel vom Sekretär. „Die Adresse, Detektei Julius Norden. Doktor Frank Schatz ist sehr besorgt um mich.“

      Kein Wunder, dachte George, gerade jetzt, wo du eine reiche Witwe bist.

      Leonore wedelte mit dem Zettel vor Georges Nase herum. „Franks Idee mit dem Personenschutz ist genial!“

      „Solange die Bodyguards nicht in deinem Bett schlafen!“, erwiderte George. Aber da wird wohl demnächst Dr. Schatz drin liegen, schätzte er. Seine Miene wirkte verdrießlich.

      Leonore bemerkte seine Verstimmung und bemühte sich um Schadensbegrenzung. „Bald sind die Weihnachtsmärkte für dieses Jahr beendet. Da dein Vater nun tot ist, sollten wir auf deine exzellente Geschäftsidee überwechseln. Ich bin all die Weihnachtsmänner so leid.“

      5. Nordstraßenteam

      „Killerweihnachtsmann schlug zu!“„Santa Kill in Düsseldorf!“Julius Norden stachen die Schlagzeilen auf dem Drehregal sofort ins Auge. Da hatte die Presse die richtigen Reizwörter gefunden. Er kaufte im Kiosk alle Gazetten zum Thema, dann wanderte er mit Columbo weiter die Nordstraße entlang. Noch war es ruhig auf der beliebten Einkaufsmeile. Sie passierten einige Geschäfte, in den meisten Schaufenstern glitzerte Weihnachtsdekoration. Julius bog ab, artig trottete der Labrador neben ihm durch einen Torbogen auf einen Hinterhof. Auf dem kopfsteingepflasterten Gelände war der Schnee zu einem grauen Matsch zertreten. Julius musterte die Autos, die unter einem Holzdach standen, neben seinem schwarzen Jeep Cherokee parkten zwei weitere Wagen. Nick Carstens und Oliver Jacoby mussten schon in der Detektei sein, dem hellen flachen Gebäude, das sich zwischen efeuberankter Mauer und hohen Häusern duckte. Julius schloss die schwere graue Stahltüre auf und winkte in die winzige Überwachungskamera. In der Küche sah er einen Blondschopf hantieren und roch aromatischen Kaffeeduft. „Hallo Nick!“, grüßte Julius und ging zielstrebig in sein Büro. Dort ließ er sich in seinen Chefsessel plumpsen. Columbo rollte sich unter dem Schreibtisch zusammen. Bald gab der Labrador leise Schnarchtöne von sich. Julius begann die aufreißerischen Artikel zu studieren. Sie übertrumpften sich in Mutmaßungen. Ein Witzbold hatte zur Beschreibung des Mörders pietätlos die Karikatur eines hämisch grinsenden Weihnachtsmannes eingebaut. Nick Carstens trat ein, mit der Kaffeekanne in der Hand. Sein Gesicht war ernst. „Olli ist oben und geht gerade unser Arsenal durch, er checkt die Kameras und Minispione. Hast du mit Dieter Schwenk gesprochen?“ Julius nickte. „Es passt unserem Hauptkommissar gar nicht, dass wir ihm auf die Füße treten. Ich bot ihm gegenseitigen Informationsaustausch an.“ Nick füllte einen Becher mit Kaffee und reichte ihn Julius. „Haben Dieters Leute schon Anhaltspunkte?“ Julius trank einen Schluck, dann sagte er: „Die Mordkommission hat alle PCs aus der Hamilton Villa mitgenommen und die Akten aus seinem Büro durchforstet. Sie haben die umliegende Gegend abgesucht, die Anwohner befragt, aber niemand hat auf einen Weihnachtsmann geachtet, da die im Moment zu Hauf herum rennen. Der Mörder kann sehr weit geradelt sein, um sich dann irgendwo unbeobachtet in einen harmlosen Passanten zu verwandeln. Ein Klapprad ist schnell in einer