Gabriele Seewald

Wintergrauen


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zu. Die Türen sprangen auf, Liane stürmte heraus und ließ ihre kleine Reisetasche fallen. Die Französin fiel George um den Hals, so überschwänglich, als hätten sie sich lange Zeit nicht gesehen. George nahm ihr das Gepäck ab und führte sie zum Parkplatz vor dem Hauptbahnhof. Während er ihre Tasche auf dem Rücksitz verstaute, starrte Liane überrascht auf den braunrotgeziegelten Bahnhofsturm. „Oh, so ein groß Uhr.“ Sie blickte auf ihre schmale Armbanduhr. „Und sie geht sogar rischtisch.“ George nickte. „Stimmt, du warst ja noch nie in Düsseldorf. Wenn es meine Zeit erlaubt, spiele ich den Reiseführer. Und wir gehen nett shoppen. Die teuren Modegeschäfte auf der Königsallee werden dir gefallen, Versace, Armani, Gautier, Lagerfeld.“ George hoffte, sie schluckte seine Zückerchen. Liane lächelte verschämt und setzte sich auf den Beifahrersitz. George startete den silbernen BMW. „Ich fahre dich direkt zum Polizeipräsidium. Gestern Abend kam die Kripo ins Gästehaus. Die Beamten haben die Wohnung von unserem italienischen Gärtnerehepaar, den Rosados, untersucht, aber nichts gefunden. Derweil hab ich mit Hauptkommissar Schwenk gesprochen, auch wegen des Alibis. Er war neugierig, er fragte, wo wir uns kennen gelernt haben. Ich weiß es noch.“ „Isch auch nischt habe vergessen diese Ereignis.“ Sie diskutierten durch, wie der Freitag, an dem Thomas Jake Hamilton erschossen wurde, verlaufen sein könnte. Am Ende entschieden sie sich für eine ruhige „gemütlich Zuhause“ Version. George frischte Lianes Gedächtnis für das Verhör auf und bald schwelgten sie in gemeinsamen Erinnerungen. Liane kicherte. „Weißt du noch, die komische Mann in Luxemburg, die mit die Luftballons?“ George lachte verspannt. „Ja, der war wirklich zu drollig. Wir kamen aus dem Lachen nicht mehr raus. Später lernst du meine Familie kennen. Mutter wird sich freuen.“ Das Polizeipräsidium tauchte vor seinen Blicken auf, ein roter, respekteinflößender Ziegelgebäudekomplex, wuchtig wie eine Burganlage. George holte tief Luft, jetzt musste er die nächste Trumpfkarte ausspielen. „Da du noch Semesterferien hast, sollten wir einen Urlaub nach Weihnachten dranhängen. Lernen kannst du auch auf den Bahamas.“ Liane nickte ehrfürchtig. „Ja, an die Strand.“ Sie stoppten am Jürgensplatz auf dem Präsidiumsparkplatz. Liane trippelte vorsichtig neben George durch den Schneematsch zum Eingang. Dort legten sie ihre Ausweise zur Kontrolle vor, dann fuhren sie mit dem ruckelnden Paternoster nach oben zur Mordkommission. George drückte Liane beschwörend die Hände, bevor er sie in Hauptkommissar Schwenks Büro schob. Dann wartete George draußen auf einem Stühlchen. Genauso gut hätte er sich auf glühende Kohlen setzten können.

      Hauptkommissar Dieter Schwenk saß hinter seinem vor Akten überquellenden Schreibtisch. Als Liane eintrat, sah er gespannt auf. Sie stellte sich höflich vor und nahm ihm gegenüber Platz.

      Schwenk schaltete das Aufnahmegerät an und zückte seinen Notizblock. „Sie sind also George Hamiltons Freundin.“

      Liane blickte den Kommissar aus großen rehbraunen Augen an und nickte eifrig.

      „Und Sie waren vorgestern, am Freitag mit ihm zusammen in Nürnberg?“

      „Isch studiere und musste lernen für die Examen. Am Freitag, isch habe im Wohnzimmer mit meine Unterlagen gearbeitet, George in die Arbeitszimmer von seine Papa. So wir konnten immer in unsere Nähe sein. Und nachts auch zusammen.“ Sie lächelte, zwischen schamhaft und spitzbübisch.

      Schwenk lächelte freundlich zurück. „Wann haben Sie George Hamilton kennen gelernt und wo?“

      „Oh, es war vor sechs Monate. In die Vernissage von Jean Grasson in Straßburg. Erst, isch hatte nischt die Kopf für eine Liebelei, aber George war so charmant, hatte geschickt immer Blumen. Und er hatte so schöne Ideen, wie die Ballonfahrt oder die Reise nach Monaco.“

      Schwenk musterte sie unauffällig. Liane Bergerac war in Paris geboren, ihre Eltern, Leute mit solidem Lebenswandel, betrieben einen kleinen Laden, Geschwister hatte sie keine. Vor sechs Jahren starb erst ihr Vater und ein Jahr darauf ihre Mutter. Nach dem Schulabschluss begann sie Pharmazie zu studieren. Die dreiundzwanzigjährige Französin war auffallend hübsch, brünettes, welliges langes Haar, ein apartes Gesicht, grazil, schlank, nicht allzu groß. Sie war kein mondäner, aufgetakelter Typ, sondern trug eine mädchenhafte Garderobe, zum dezenten Blümchenmusterkleid mit Klöppelspitzenkrägelchen eine bescheidene Silberkette mit Amulett. Keine dicken Stiefel oder High Heels, sondern eine Art Mary Janes, schwarze Spangenschuhe mit halbhohem Absatz. Liane war gut erzogen und ehrgeizig in ihrem beruflichen Ziel, fleißig und mit Bestnoten, wie George bewundernd geäußert hatte. Mit dem reichen Hamilton-Erben hatte sie zusätzlich den Bock geschossen.

      Schwenk wagte einen Vorsprung. „Ihr Verehrer ist gut betucht. Da lässt man sich gerne zu einer Beziehung hinreißen, oder?“

      „Isch an die Anfang nischt hatte gewusst, wer er war. George erwähnte, er arbeite in die Vertrieb von ein Geschäft. Hat nischt erzählt von sein Familie, dass sie haben so ein groß Firma. Aber er war so hartnäkisch, so ernsthaft, eine rischtige Kavalier. Höflischer als die Studenten in mein Universität oder Männer, die gleisch immer alles wollen. Eine rischtige Ehrenmann.“

      „Woher können Sie so gut deutsch?“, fragte Schwenk plötzlich.

      „Isch hab gelernt in die Schule Deutsch, Latein, Englisch und Italienisch. Isch erst wollte Sprachen studieren.“ Sie senkte den Kopf und ihre Stimme klang traurig. „Aber dursch die schwere Krankheit von meine Maman, isch misch dann interessieren für die Pharmazie.“

      Schwenk nickte zu Lianes Antworten. Sie deckten sich mit Georges Aussagen über ihre Beziehung. Entweder waren die beiden schwer verliebt, oder sie hatten sich abgesprochen und alles auswendig gelernt. Eine liebende Frau konnte auch für ihren Geliebten lügen. Schwenk blickte prüfend in Lianes treuherziges Gesicht.

      Er seufzte, im Moment musste er Georges Alibi als bestätigt hinnehmen. Liane Bergerac war eine Außenstehende, sie kannte die restliche Familie Hamilton bisher nicht einmal. Es gab keinen Grund, sie weiter festzuhalten. Noch war den beiden Turteltäubchen nichts Gegenteiliges nachzuweisen.

      Schwenk bedankte sich. Aber als Liane draußen war, machte er ein dickes Fragezeichen auf seiner Liste.

      Hinter George Hamiltons Namen.

      7. Im Gästehaus

      Leonore Hamilton legte ein neues Holzscheit in den Kamin. Die Flammen zischelten gierig auf, Funken stoben in die Höhe. Der Schürhaken platzierte das Holzscheit in die Mitte. Es loderte auf. Leonore fühlte die wallende Hitze durch ihr mauvefarbenes Kaschmirkleid dringen. Ihre Wangen glühten. Sie drehte sich abrupt zu Dr. Frank Schatz um. „Wir werden das ganze Anwesen verkaufen. Ich will hier nicht weiter leben, wo es geschehen ist. George ist auch einverstanden.“ Dr. Schatz nickte. „Nichts soll dich mehr an die schreckliche Untat erinnern.“ „Sobald der Weihnachtsrummel vorbei ist.“ „Ich kenne einen geschickten Immobilienmakler vom Golfclub. Soll ich mich darum kümmern?“ Leonore nickte geistesabwesend. George war zum Bahnhof gefahren, um seine kleine Freundin abzuholen. Hoffentlich machte das Mädchen im Präsidium ihre Sache fehlerfrei. Je eher alles für die Familie ausgestanden war, umso besser. Dr. Schatz mixte sich an der Hausbar einen Drink. „Du solltest bald Urlaub machen, um Abstand zu gewinnen. Niemand kann dich zwingen, die trauernde Witwe abzugeben.“ Leonore lachte zynisch auf. „Trauern? Bei all dem Rummel komme ich mir eher vor wie auf einem Karussell. Und dann die lauernde Presse. Man munkelt von Differenzen in unserer Familie. George hat unsere Anwälte eingeschaltet.“ „Und als dein Arzt rate ich dir zu Ruhe, den Tabletten und sobald die Trauerfeier vorbei ist, zu einem Urlaub, am besten in der Sonne. Sobald ich mich frei machen kann, werde ich nachkommen.“ „Danke, Frank. Das ist lieb von dir. Ich kann deine Fürsorge jetzt sehr gut gebrauchen.“ Sie hörten Schritte und Stimmen in der Eingangshalle. George kam ins Kaminzimmer, mit einer schlanken Brünetten. Sie trug ein Blümchenkleid in gedeckten Grautönen. George schwellte stolz die Brust. „Das ist Liane Bergerac.“ An seiner Aufgeräumtheit erkannte Leonore, das Verhör im Präsidium war glatt verlaufen. Sie atmete auf, sie musste dieser Liane dankbar sein. Und sie bei Laune halten. Leonore umarmte die junge Frau, wenn auch künstlich herzlich. „Willkommen in der Familie.“ Dann blickte sie ihr prüfend ins Gesicht. Leonore stutzte einen Augenblick. Etwas irritierte sie an Liane, aber sie konnte nicht sagen, was es war. George musterte Dr. Schatz, der sich einen neuen Drink mixte. „Oh, unser Freund