Martin Schlobies

Täubchen alla Boscaiola


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zu können.

      „Wartet! Laßt uns einsteigen!“, riefen sie. Dieses Spiel gefiel den jungen Männern.

      Angelo, der am Steuer saß, lachte:

      „Lassen wir sie ein bißchen laufen, das tut ihnen gut!“ Nach ein paar hundert Metern hielt er an, wartete, bis die Mädchen keuchend herankamen, und ließ sie wieder einsteigen.

      „Wir wollten nur sehen, ob ihr auch laufen könnt!“, sagte er immer noch lachend. Anni und Kati blickten sich verängstigt und empört an, doch endlich stiegen sie ein.

      Als sie wenige Kilometer auf der Landstraße gefahren waren, kam ihnen ein halboffener Wagen entgegen, so wie er auf dem Land häufig benutzt wird. Angelo stieß seinem Freund mit dem Ellbogen in die Seite, „Sieh mal! Da kommt schon der Bauer!“

      Der entgegenkommende Wagen hielt mitten auf der Straße an, der Fahrer winkte ihnen zu, daß sie auch anhalten sollten. Angelo tat es, kurbelte die Scheibe herunter und rief:

      „Suchen Sie die Kerle, die das Stroh angezündet haben?“ Die beiden Männer in dem Wagen, vierschrötige Bauernburschen, musterten sie mißtrauisch,

      „Wo kommt ihr gerade her?“, fragte der eine.

      „Von der Küste. - Wir haben sie gesehen.“, fuhr Angelo fort, „Irgendwelche verrückten Touristen waren es; Schweden wahrscheinlich oder Finnen;", und als die Mädchen hinten protestierten, „vielleicht auch Deutsche.“

      „Wißt ihr, wo sie hin sind?“, fragte einer der Bauern.

      „In Richtung Girgenti. - Sie sind gerade erst fort!“, erwiderte Angelo.

      „Wir haben das Feuer gesehen,“, sagte Pietro zur Bestätigung, „und haben mit ihnen geredet, sie sollen es sofort löschen. Die Kerle haben nur gelacht! Und dann sind sie abgehauen.“ Die beiden Bauernburschen schauten sich kurz und mißtrauisch an und fuhren mit ihrem Wagen weiter.

      Angelo und Pietro lachten. Anni und Kati schwiegen. Bald waren sie wieder an der Küste. Ein paar Kilometer vor dem Strandort, dort, wo die Straße in die Berge nach Castellina abzweigt, hielt Angelo plötzlich an. Die Mädchen waren inzwischen eingeschlafen.

      „Heda! . . . “, rief Pietro, „Wacht auf! Steigt aus! Wir sind da!“ Folgsam stiegen die Mädchen aus, ohne recht zu verstehen warum.

      „So, jetzt könnt ihr laufen!“, sagte Angelo. Da erst sahen sich die Mädchen um und begriffen, was die beiden jungen Männner mit ihnen vorhatten.

      „Hier?“, protestierten sie, „Es ist noch so weit! - Bringt uns zurück!“

      „Wir sind müde,“, sagte Angelo mürrisch, „wir wollen nachhause!“ Und ohne weiteres fuhr er davon und ließ die Mädchen stehen.

      Ernüchtert und verloren schauen Anni und Kati sich um und versuchen, sich zu orientieren. Offenbar befanden sie sich noch ziemlich weit entfernt von dem Touristenort, in dem die Stranddiskothek lag. Sie machten sich verwirrt und wütend auf den Weg. „Noch bestimmt mehrere Kilometer!“, stöhnte Anni. „Und das mit diesen Schuhen!“, brummte Kati vor sich hin.

      Angelo und Pietro jedoch schwiegen auf dem ganzen Weg zurück nach Castellina. Angelo dachte an Agustina, Pietro an seine Porcia, und auch daran, was sie ihren Mädchen wohl erzählen sollten, - wenn diese herausbekämen, wo sie gewesen waren.

      16. Kapitel

      Raphael war mit seinem Wagen auf dem Wege nach Castellina al Monte Largo, zum dritten Mal in den letzten Tagen. Von Cefalú aus fuhr er wieder die Küstenstraße entlang und dann die Landstraße in die Berge. Dort verpaßte er einen schlecht ausgeschilderten Abzweig, irrte endlos in verschlafenen Tälern und Hügeln herum, hielt immer wieder an, befragte die Karte. - Die Karte war ungenau. - Mehrmals mußte er wieder zurück, und es dauerte über eine Stunde, bis er endlich die richtige Straße fand.

      In der Gegend von Castellina angelangt, nahm er den Schotterweg zu der verlassenen Bleigrube am Berghang. Er hatte vor, noch ein wenig mit dem Wächter zu reden, vielleicht konnte er doch mehr erfahren, bevor er sich an die Besitzer der Erzgrube wandte.

      Das Haus am Hang, vielleicht fünfzig Meter vom Eingang der Grube entfernt, war verschlossen, nur der Hund an der Kette bellte drohend. Der Wächter oder ein anderer Mensch, mit dem Raphael hätte reden können, zeigte sich jedoch nicht. Mit seiner Kamera machte Raphael noch einige wenige Fotos, die den Hang, die Lage der Grube, ihren Eingang zeigten, und einige Gesteinsbrocken mit Erzadern, wie sie hier herumlagen.

      Danach stieg er wieder in den Wagen, fuhr über die Landstraße einen langen Umweg bis zum Ortsrand von Castellina, ließ dort den Wagen stehen, und ging zu Fuß in den Ort. Es war gerade die Zeit der Mittagsruhe.

      In einer kleinen Gasse kam Raphael an einem Laden vorbei, der dennoch jetzt sinnlos offen war. Der Besitzer sah Raphael stumpf an, ohne zu grüßen. Er trug eine winzige gestrickte Wollmütze oben auf seinem Knochenschädel, über dem straffgespannt die Haut saß. Er handelte mit allem, was die Leute auf dem Land brauchen. - In großen offenen Säcken lag Mais, in den Regalen waren Farbbüchsen hochgestapelt, Knoblauch-Zöpfe hingen von den Wänden herab und hingen neben der Eingangstür, und in den Winkeln lag modern verpacktes Gerümpel, Spielzeug möglicherweise. Und er selbst, so schien es Raphael, dämmerte und verstaubte in seinem Kramladen zusammen mit all diesem Gerümpel.

      Die ganze Zeit, während Raphael durch die Gassen schlenderte, brannte die Sonne sengend und schonungslos steil vom Himmel herab. Unter seinem Hemd fühlte Raphael jetzt Schweißperlen sickern und in Fäden die Achseln herablaufen, dann über die Brust. Die Füße in den eng gewordenen Schuhen schmerzten. Schließlich kam Raphael zu Bewußtsein, daß er noch nicht zu Mittag gegessen hatte, und den ganzen Tag über wohl zu wenig getrunken hatte.

      Ihm war auf einmal schwindlig und beim Anblick der leeren Straße, der Häuser mit den dazwischenliegenden Läden, die im Mittags-Frieden versunken lagen, - und die ihm alle versperrt waren, - packte ihn eine heftige Sehnsucht nach einem kühlen, dunklen Ort - einem Keller vielleicht, - einer Weinhandlung, oder etwas anderem, wo es feucht und kühl war.

      War das nicht eben das Geräusch von Wasser, das auf Steinfliesen tropfte? Diese Sinnestäuschung, wenn es eine war, ließ seine durch die Sonne überreizten Nerven noch mehr in Anspannung geraten.

       Erschöpft und betäubt, fast dem Weinen nahe, betrat er einen kleinen Gang zwischen zwei Geschäften, von dem wenige Stufen zu den noch tiefer gelegenen Eingängen herabführten. Kein Sonnenstrahl drang dorthin. Hier blieb er einen Moment ermattet stehen, die Hand gegen die kühle, bröcklige Mauer gestützt, direkt neben zwei geschlossenen Fensterläden.

       Plötzlich wurde einer dieser Fensterläden zu seiner Überraschung geöffnet, und aus einem dahinterliegenden, dunklen Zimmer schaute ihn das Gesicht einer jungen Frau an. „Es tut mir leid . . . !“, sagte Raphael unwillkürlich. Es war ihm peinlich, hier wie ein Eindringling ertappt zu werden; wie jemand, der die Heimlichkeiten einer fremden Wohnung neugierig beäugte.

       Das am Fenster erscheinende Gesicht war so eigenartig, von solcher Milde, daß es einer auf Glas gemalten Heiligen in einer Kathedrale zu gehören schien. Es war ein blasses Gesicht, von einer Wolke schwarzgelockter Haare umrahmt. Die Frau, der dieses Gesicht gehörte, war nicht schön. Die Nase war recht groß und gerade. Der Mund etwas zu scharf gemeißelt. Neben dem Mund schienen schon winzige Fältchen eingegraben zu sein. Die Augen waren nicht einmal besonders groß, aber eigenartig milde und sanft.

      „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte die Frau. Diese freundliche Frage überraschte ihn jedoch weniger als ihre Stimme, die so gar nicht zu jemandem paßte, der in einer so ärmlich wirkenden Behausung wohnte; eine Stimme, die weder roh noch barsch klang, sondern kultiviert und klar war, - eine Stimme, die der Sanftheit der Augen entsprach.

      „Draußen auf der Straße ist es so schrecklich heiß!“, sagte er, „Die Läden sind alle geschlossen, und ich wollte nur irgendwo sein, wo es kühl ist. - Es tut mir sehr leid, wenn ich gestört habe.“

      „Wollen