A.B. Exner

Kollateraldesaster


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Na klar hatte er den Täter gesehen. Von hinten. Der hatte ihn ja hier die Treppe runter gestoßen.

       Das würde seine Aussage sein. Von hinten, nur von hinten.

       Heino entsorgte Handschuhe, Folie und Plastikvisier im Container. Sollten die Ermittler doch ruhig Spuren finden. Ein vom Tatort weg Rennender, der Utensilien mit Schmauchspuren hinterlässt, ist das beste Alibi für Marc.

      Er wusste, dass jetzt ein neuer Tag angebrochen war. Sein Tag.

      Hauptkommissariat der Hansestadt Rostock,

      Büro Kriminalhauptkommissar Magnus Sturm.

      „Sie wollen mir also erklären, dass wir einen Toten haben, der effektheischend in den Rahen eines Segelschiffes hängt, um Touristen anzulocken, dass wir weiterhin einen Fleck auf der anderen Seite der Warnow gefunden haben, von wo aus geschossen wurde, wo wir aber nur eine Billigkamera fanden und Sie wollen mir erklären, dass wir nicht den leisesten Ansatz haben, was da im Schilf vor sich ging? Das Projektil ist durch den Kopf durch und nicht auffindbar? Der Platz des Schützen ist vermutlich, das Wort machte er sehr lang, eine Stelle, wo alles Schilf runter getreten ist und ein armdicker Pflock in die Erde getrieben wurde. Die Kamera weist die Spur eines Fahrradreifens auf. Was auf dem Speicherchip der Kamera ist, wissen wir noch nicht. Die Fingerprints“, dieses Wort liebte er, „auf der Kamera sind nicht in unserer Datei. Keine verwertbaren Spuren an dem Ort, den wir als Standpunkt des Schützen vermuten. Der Mann auf dem Segler ist fast siebenhundert Meter entfernt. Alle hören nur einen Schuss. Der war ein Fachmann. Ein Experte. Ein Sniper.“

       Auch diese neumodischen Worte mochte er. Sein Sohn spielte auch manchmal solche Ballerspiele. Magnus probierte auch schon aus. Das machte kurzfristig Spaß, befriedigte aber nicht. Der Kaugummi störte. Kurzerhand schluckte er diesen. Eigentlich sollte er an der Adria in einem Boot dümpeln und sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen.

       In seinem Fünf-Tage-Urlaub, im italienischen Triest, erschienen plötzlich zwei Carabinieri in der Hotelbar und überreichten ihm ein Fax. Telefonisch sei er wohl nicht erreichbar gewesen. Er sollte sofort wegen eines dringenden Falles in Rostock erscheinen. Das mit seinem Urlaub würde schon geregelt werden. Er solle sich diesbezüglich keine Gedanken machen.

       Da Magnus prinzipiell ohne sein Mobiltelefon in den Urlaub fuhr, die Rostocker Kollegen keine Anschrift des Hotels hatten, sondern nur sein Chef den Ort seiner Reisen kannte, war dies die einzige Möglichkeit gewesen, ihn zu erreichen. Italienisch-Deutsche polizeiliche Zusammenarbeit.

       Zwanzig Stunden später war er wieder im heimatlichen Rostock. Wenn sein Staatsanwalt rief, dann kam er auch.

      Sein Staatsanwalt. Alois Perlhuber, ein waschechter Wessi aus Bamberg im Frankenland. Passionierter Biertrinker der sich seine Stammmarke, das Rauchbier „Schlenkerla“ schicken ließ. „Rostocker können saufen, aber brauen können’s net.“ Das hat er zu Magnus gesagt, nachdem ihre erste erfolgreiche gemeinsame Ermittlung in einem Saufgelage endete. Magnus hatte seinen Alois nach Hause getragen. Am nächsten Morgen bot Alois seinem „Sprottenboxer Magnus“, wie er ihn gern, in Anlehnung an das Schimpfwort Fischkopp, nannte, eine Flasche Schlenkerla an. Magnus kostete und probierte, nahm sich ein Bierglas, füllte es und sagte:

       „Ich weiß, weshalb die dich an die Küste geschickt haben. Dein Bier riecht nach Fisch.“

       Der Franke nahm gelassen einen weiteren, langen Schluck. Grinste.

       „Du Dussel, das ist Rauchbier. Das riecht wie euer Aal. Vermutlich räuchern die Bayern schon länger Bier als ihr Fische.“ Damit war das Thema erledigt. Magnus trank sein Rostocker Export und Alois sein Schlenkerla. Gesoffen wurde eigentlich nur das eine Mal. Der eine konnte den anderen mitten in der Nacht nerven, und der war nicht sauer. Man versprach sich etwas in die Hand und hielt es ein, wie einen Vertrag zwischen Hamburger Kaufleuten.

       Das Zusammenarbeiten klappte. Mehr war dazu nicht zu sagen.

      „Leute, was wisst ihr über Detlev Gelbert? Ein Killer liegt mitten in der Stadt auf der Lauer und wartet, bis sein Opfer eine attraktive, touristenfreundliche Zielscheibe abgibt. Am Opfer ist mit Sicherheit mehr dran, als ihr denkt. „Rolf“, der Kollege neben ihm sah auf, „in zwei Arbeitstagen weiß ich alles über Detlev Gelbert. Du hast seine Wohnung umgekrempelt, seinen Keller umgegraben, seine komplette Familie verhört und kennst seine Geliebte, von der nicht einmal seine Frau etwas ahnte. Dazu hast du die gesamte Ermittlungsgruppe drei. Bete, dass der Kerl nicht noch einen Garten hat, denn dann buddelst du den auch noch um.“

      Er setzte sich auf die Fensterbank. „Erika, du und unsere Indianer in meinem Büro. In zwanzig Minuten.“ Der Indianer Sven, der Spurensicherer, schlug sich an die Stirn. „Äh, Chef, wir haben doch noch was, ich hab gerade erst wieder den Bericht gefunden. Unmittelbar an der Stelle, wo wir den Schützen vermuten, also da, wo er gewesen sein sollte, na Sie wissen ja, was ich meine… Also dort fanden wir Fahrradspuren. Identisch mit dem Abdruck auf der Kamera.“

      „Ja, sehr schön. Und was will der Dichter uns damit sagen?“, platzte Erwin Bloch dazwischen. Bloch war das Ekel der Abteilung. Durch einen Bandscheibenschaden zum Innendienst bis zur Rente verurteilt. Ein perfekter, erfahrener Rechercheur. Aber eben auch ein Ekel.

      „Der Dichter, mein lieber Erwin, hat zwei Fahrradspuren hinbekommen, die genau parallel zueinander verlaufen. Es waren also zwei Räder, wie wir bisher annahmen. Jedoch waren es keine zwei Fahrräder.“

      Sturm übernahm den Faden des Gespräches.

       „Hat jemand eine Idee?“ Sein Handy klingelte. Er blickte auf das Display. Er sah eine Flasche Rostocker Bier und eine Flasche Schlenkerla Bier.

       „Ich muss zum Oberschamanen. Ich erhalte heute noch eine Idee wegen der Reifen. Ich will, dass Schilfproben auf Schmauchspuren überprüft werden. Zwanzig Meter links und rechts von der Schneise, die der Schütze eventuell in das Schilf getreten hat, will ich das volle Spurensicherungsprogramm. Der Parkplatz am Stadthafen wird mit Metalldetektoren nach dem Projektil aus der Waffe untersucht. Die Crew von diesem Segler verhört Team 2 unter Leitung von Christiane.“

       Den Blicken der Angesprochenen trotzend: „Ja noch einmal. Auch die Crewmitglieder, die nicht mit zu dem Törn sollten. Alle. Erika und Sven, ich rufe euch, sobald der Bamberger mich wieder freigelassen hat.“

      Hauptkommissariat der Stadt Saarbrücken.

      Büro von Kriminalhauptkommissarin Karin Siebert.

      In dem Raum hatte die Luft seit mehreren Tagen keinen Austausch mit frischem Sauerstoff haben können. Deshalb waren die Fenster jetzt sperrangelweit auf. Die Klimaanlage hatte versagt.

       Die Frau Polizeipräsidentin raste. Die Reporter vor dem Gebäude waren geduldig. Wie lange noch? Karin Siebert erschien mit der verantwortlichen Staatsanwältin Frau Dr. Annemarie Heilberg-Tövenhooft. Aus dem Dr. und den Anfangsbuchstaben ihres Namens hatte schon bei der Eheschließung ihr Trauzeuge das Wort „Draht“ als ihren neuen Spitznamen kreiert. Den Kalauer, zu ihrem Mann zu sagen: „Du warst wohl gestern Abend wieder mächtig auf Draht“, hatten sich alle schon wieder abgewöhnt. Der Spitzname war geblieben.

      Draht sah nicht gut aus. Frau Siebert nicht besser. „Bitte fangen Sie an.“

       Maik Grewe, einer der älteren Kollegen, erhob sich. Zog den Vorhang beiseite, hinter dem die Pinnwände mit den Fotos und den Stadtplanauszügen an bunten Nadeln hingen. Er wischte sich mit einem Taschentuch die Stirn ab, verpackte dieses umständlich und begann mit der Stimme einer elfjährigen Klosterschülerin zu sprechen. Alle waren es gewohnt, keiner amüsierte sich mehr.

       „Nach allem, was wir mit immerhin vierzehn Ermittlern am Wochenende rausfinden konnten, ist der Stand der Dinge folgender: Der Täter drang in den Abstellraum in der zehnten Etage ein. Dort werden auf einem Handwagen die Reinigungsmittel des Putzdienstes aufbewahrt. Dieser Handwagen stand, laut der Schichtleiterin der Putzkolonne, nicht mehr an seinem Stammplatz. Das Schloss der Tür ist so alt wie das Gebäude selbst. Mit einem normalen Bartschlüssel-Dietrich kann es geöffnet werden. Der Schütze musste sich den Ort genau ausgesucht haben. Wir fanden in