A.B. Exner

Kollateraldesaster


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würde, nämlich das Video. Er schaltete den Viewer an und die Lautsprecher. Man sah eine Aufnahme, die sehr verwackelt war. Die beiden Hunde, die Rahen des Schiffes verschwinden eben hinter den Baumwipfeln, die Stadtsilhouette. Dann wird der Bildschirm schwarz und man hört nur noch kratzen und krächzen. Keine anderen Geräusche, nur dieses Schleifen und nicht zu identifizierende Geräusche. Plötzlich, unvorbereiteter konnte man nicht sein, hört man den Schuss. Danach kratzende, knarzende, die Ohren schmerzende Töne. Ein Schleifen. Und aus. Der Knall. Er schob den virtuellen Regler mit der Maus zurück und hörte noch mal auf den Knall. Zweimal. Dreimal. Viele Male mehr. Das war also das Geräusch zum Schuss. Und was stellte man jetzt damit an?

      Saarbrücken, der Tatort.

      Karin Siebert hatte den Auftrag zum nochmaligen Sortieren des Containerinhalts an ihre Kollegen weiter gereicht. Kommissar Grewe war sichtlich erfreut, dass er nicht zum Müllkommando gehörte. Mit Karin Siebert, erreichte er den Flur, auf dem der Raum lag, aus dessen Fenster geschossen worden war. Das Türschloss ließ sich vermutlich auch durch ein lautes Husten öffnen. In dem Raum, Grewe hatte einen Nachschlüssel, fand sich nur ein Schrank, in dem Reinigungsmaterialen und Besen aufbewahrt wurden. Dann der kleine Wagen, zwei Etagen, vier Räder, vollgepackt mit Spraydosen für dies und Fläschchen gegen jenes. Tücher, Lappen aus Leder, aus Stoff und Papiertücher. In dem Raum war sonst nichts. Aber für den Mörder war er perfekt gewesen. Mehr brauchte er nicht. Perfekte Sicht. Durch den Vorbau kann man den Schützen nur sehr schwer von außen ausmachen. Die Nachbarn hatten nichts gehört. Der Raum interessierte die Mieter alle nicht. Die Reinigungsfirma sandte zweimal in der Woche ihre Leute.

      Grewe und ein uniformierter Kollege klingelten noch mal an den Türen, wo bei der ersten Befragung niemand anzutreffen gewesen war. Die Siebert stand in dem kleinen Raum. Weshalb sind hier zwar Spuren der Räder des Wagens sichergestellt worden, aber keine Fußspuren des Täters? Der konnte doch nicht fliegen. Nur die Reifenspuren des Wagens...?

      Sie holte das mitgebrachte Zielfernrohr aus der Tasche. Visierte in Richtung des Tatortes.

       Ein Mann kam aus der Nummer 87, ging zu einer Garage. Öffnete, fuhr rückwärts ein Trike heraus und setzte sich drauf. Drei hübsche Mädchen, zwischen sechs und 10 Jahren alt, kamen zu ihm und kletterten auf dem Trike rum. Alle lachten herzlich. Die Haustür der Nummer 87 öffnete sich wieder. Ein lauter Pfiff erscholl. Die Frau in der Tür winkte die aufmerksam gewordenen Kinder in das Haus. Der Mann versendete einen Luftkuss in Richtung der Frau und beschäftigte sich wieder mit dem Trike.

       Familienidyll, denkt sie. War ihr nie vergönnt.

       Sie konnte dem Mann direkt ins Gesicht sehen.

       Italienische Brille, dezent unrasiert, lockiges, nicht zu kurzes Haar, längliches Gesicht, buschige Brauen, ein faszinierendes, feinsinniges Lächeln. Interessant. Die Gedanken an ein Date wurden schnell verworfen. Konzentration auf den Job.

       Der Schütze konnte also definitiv die Mimik des Opfers erkennen. Wenn es ein gedungener Killer war, dann hätte ein Schuss gereicht. Weshalb schoss er zweimal? Weswegen saß erst der zweite Schuss? So kam sie nicht weiter. Das Problem war die Diskrepanz zwischen ihrem Gefühl und den Fakten.

      Ihr Handy summte in der Tasche. Es war der Leiter der Spurensicherung. Einer der routinierteren Ermittler. Beinahe hätte dieser damals den Posten von Karin bekommen, wäre da nicht ein altes Problem mit der Mischung aus Alkohol und Frauen.

       „Was haben Sie Neues?“

      „Wir haben ein weiteres Paar Handschuhe gefunden. Hauchdünne Seidenhandschuhe. So was tragen wohl Kampfpiloten unter ihren eigentlichen Druckhandschuhen. Gibt es bei eBay für 10 Euro. Aber der eigentliche Hammer kommt jetzt. Wir haben die Aussagen der Zeugen durchgesehen, deren Auswertung Grewe und die Streifenpolizisten am Wochenende nicht mehr geschafft haben. Ein Zeuge aus dem Nachbargebäude, der mit am Container stand, als unser mutmaßlicher Täter die Sachen entsorgte, sagte aus, dass der Typ die Handschuhe auszog. Darunter aber trug der Mann noch solche Silikonhandschuhe. Solche „Erste Hilfe“ oder OP-Dinger. Er ist sich sicher. Chefin, ich sage Ihnen, das war ein Profi. Der vermied es nicht nur, Spuren zu hinterlassen, der vermied sogar, Spuren am Tatort aufzunehmen. Die Spurensicherung hat vorhin angerufen. Die sind mit der Auswertung dessen fertig, was wir gefunden haben. Diese gebogene Plastikplatte ist oben eingeschnitten und durch Wärme so verformt worden, dass man sie am Schirm einer dieser Sportmützen, dieser Basecaps, befestigen kann. Nirgendwo verbleiben Hautpartikel oder Haare. Die Schmauchspuren der Waffe kommen nicht an den Körper. Der wusste sehr genau, was er tat.“

       Siebert antwortete erst, nachdem sie zweimal deutlich ausgeatmet hatte.

      „Lassen Sie es gut sein. Mein Problem bei der Sache ist, dass der Mann inzwischen drei Paar Handschuhe getragen hat. Damit kann ich doch nicht mehr ordentlich schießen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Aber darüber müssen wir alle noch einmal nachdenken. Und weshalb, verdammt, finden wir in dem Abstellraum Reifenspuren des kleinen Wagens, aber keine Fußspuren des Schützen? Denn so sauber ist der Fußboden hier nun auch wieder nicht.“

      Rostock, Büro des Staatsanwaltes.

      Sturm lag mehr auf dem Sofa, als er saß. Seine Statur und seine Größe ließen in diesem Ledersofa keine andere, den Rücken nicht quälende, Sitzposition zu, das wusste er bereits. Seinen Kopf nach hinten auf die Lehne gelegt, hörte er die Stimme von Perlhuber aus dem „Off“, wie er es nannte.

       „Ihr habt also weitere Spuren gefunden. Weitere Reifenspuren, die ebenfalls parallel zueinander verlaufen. Kein richtiges Profil, sondern nur einfache Rillen. Aber die Spuren haben was mit den bisher bekannten Spuren zu tun. Na, dann kann der Schweriner ja vielleicht doch Recht haben. Auch wenn ich die Art und Weise, wie er dir die Idee verkauft hat, nicht sonderlich nett fand. Lackaffe.“

       Es summte. Sturm hob den Kopf und sah wie der Franke die Gegensprechanlage bediente.

       „Was ist?“

       Die Stimme von Moneypenny: „Chef, hier ist ein Bote von den Kriminalisten. Da Herr Sturm bei Ihnen ist, dachten sie sich wohl, es ist besser, die Nachricht gleich hier abzuliefern.“

       Bevor sie weiter reden konnte, unterbrach Perlhuber die Verbindung und ging zur Tür.

       „Manchmal kann die aber auch sabbeln.“

       Sturm hatte die Augen immer noch zu und sich nicht gerührt. Er hörte, wie die Tür geöffnet wurde, des Franken liebevollstes „Her damit“ und sein Handy. Ohne die Augen zu öffnen, nahm Sturm das Handy aus der Hemdtasche, klappte es auf und hielt es sich an das linke Ohr. „Ja?“

      „Magnus, gleich hast du einen Zettel in der Hand. Der ist nicht mehr aktuell. Wir haben das Projektil.“

       Jetzt waren die Augen offen. Perlhuber stand neben ihm. Sturm nahm den Hörer vom Ohr, drückte auf Lautsprecher. Der Staatsanwalt nahm neben ihm Platz. „Rede weiter.“

      Ein Husten aus dem Hörer.

       „Also wie gesagt, die Nachricht, die zu euch unterwegs ist, ist für die Rundendablage. Das Projektil lag zehn Meter hinter dem Schiff, direkt neben einem Auto, was dort seit ein paar Tagen parkt. Makabererweise gehört es Gelbert. Das haben wir aber jetzt erst herausgefunden. Seine Frau hat es wohl in der Aufregung vergessen zu erwähnen. Zurück zum Projektil. Das Geschoss ist so gut wie Schrott. In Gelberts Kopf ist nicht die gesamte Energie absorbiert worden. Einer unserer Leute ist da noch mal hochgeklettert und hat entdeckt, dass die Patrone noch abgeprallt ist. Das gute Stück ist jetzt unterwegs nach Schwerin zum LKA. Vielleicht finden die mehr raus. Soweit der Stand, wie auf der Meldung, die gerade eben zum Staatsanwalt unterwegs ist.“

       Die beiden Zuhörer verkniffen sich einfach zu erklären, dass der Bote schon geliefert hatte.

       „Die Neuigkeit ist, dass wir jetzt wissen, wer Detlev Gelbert in seinem früheren Leben war. Seine Schwester hat es nicht mehr ausgehalten. Sie ist bei uns. Die redet wie ein Wasserfall und heult mit derselben Geschwindigkeit. Gelbert und seine Frau steckten unter einer Decke.“

      Alles Weitere hörten die beiden mit immer größer werdendem Erstaunen.

      Den