A.B. Exner

Kollateraldesaster


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mit der höchsten Feuergeschwindigkeit der Welt. Die finden Sie sogar im Guinness-Buch.“

       Die beiden Beamten folgten Lachmann, diesen links und rechts flankierend. Dieser sprach mit der qualmenden, filterlosen Kippe im Mund einfach weiter, da keine Fragen gestellt wurden.

      „Sie können diese Geräusche modifizieren nach freier Ebene, Wald oder Innenräumen. Auch die Ausrichtung können Sie variieren. So als stünden Sie hinter dem Schützen, als wären Sie das Ziel, oder Sie stehen hinter einer Mauer und der Schütze steht auf der anderen Seite. Alles möglich. Können wir irgendwo was essen?“

       Perlhuber reagierte vor Sturm.

       „Mein Herr, Sie sind eingeladen.“

      Fünfunddreißig Minuten später saßen Lachmann, Perlhuber und Sturm im Rostocker Ratskeller.

       Zwei der Männer hatten ein Bier vor sich, Perlhuber bestellte sich eine Weißweinschorle.

      Lachmann musste berichten. Dann erklärte Sturm ein paar Hintergründe. Irgendwann fragte Perlhuber:

       „Könnten Sie uns die CDs für Vergleiche zur Verfügung stellen?“

      Amüsiert lehnt sich Lachmann zurück.

       „Sagen wir mal so. Selbst wenn Rostock nicht pleite wäre, würde die Landesregierung Ihnen einen solchen Kredit nicht gewähren.“

       Sturm verschluckte sich an seinem Bier, Perlhuber antwortete: „Gut, dann will ich nicht mehr wissen. Immerhin hängt da jahrelange Arbeit drin. Dennoch kann ich nicht umhin, Ihnen meinen Respekt auszudrücken. Und mich bei Ihnen zu bedanken. Magnus, du bearbeitest das persönlich mit der Honorarrechnung für Herrn Lachmann. Was mich noch, auch bezogen auf die Geschichte hier in Rostock, interessiert: Was war denn da in Sachsen-Anhalt genau los?“

       Lachmann fing wieder an zu berichten. Die anderen beiden fragten immer mehr nach, entwickelten immer waghalsigere Ideen zum Tathergang, erzählten ihrem neugewonnenen externen Fachmann mit Sicherheit mehr, als der wissen durfte, bestellten auch nach dem Essen immer neue Lagen. Gegen halb zehn klingelten die Handys von Sturm und Lachmann gleichzeitig. Der eine drehte seinen Kopf auf die eine Seite, der andere stand auf und ging zu seinem Mantel.

      Lachmann legte zwei Visitenkarten auf den Tisch. „Meine bessere Hälfte, sprich, meine derzeitige Freundin. Ich muss jetzt nach Hause.“ Sturm hatte das Gespräch ebenfalls beendet, steckte wie Perlhuber nach kurzem Betrachten die Visitenkarte weg.

       „Das war Schwerin. Das Projektil ist eine sogenannte Gewehrpatrone sowjetischer Bauart vom Typ M 1908/30.

       Es sind geringe Spuren der Züge des Laufes erkennbar. Solange wir aber keine Waffe haben, können wir das nicht zuordnen. Das Projektil sei arg demoliert. Mehr können die Jungs uns jetzt nicht liefern.“

       Lachmann, der unweigerlich mithören musste, hatte, seine Jacke schon in der Hand, sich von Perlhuber verabschiedet, hielt jetzt aber dennoch inne.

       „Wissen Sie, was komisch ist? Die 08/30 in der 7,62mm-Variante können Sie im Grunde sowohl mit dem Dragunow, als auch mit einem PKT verschießen. Wenn Sie allerdings die MG-Munition im Scharfschützengewehr verwenden, dann erreichen Sie nicht dieselben Ergebnisse, wie bei der ausbalancierteren Munition für das Dragunow. Und komisch finde ich, wie in dieser Geschichte das PKT und das Dragunow immer wieder auftauchen. Meine Herren. Mir reicht es. Rufen Sie mich an, wann immer Sie wollen. Aber nicht innerhalb der kommenden drei Stunden.“ Zwinkerte und ging.

      „Komischer Kauz, aber ein absoluter Spezi.“ Und weiter dachte Sturm: Schon komisch, womit manche Leute ihr Geld verdienen. Auf den verwunderten Blick von Perlhuber hin den Kopf hebend, sah er Lachmann wieder vor sich.

       „Entschuldigung, ich hab da noch einen Gedanken. Die Waffe, die der Schütze einsetzte, muss aus den Jahren bis 1982 stammen.“ Der vorbeilaufenden Kellnerin zurufend: „Kann ich noch ein Bier haben? Danke“, setzte er sich wieder hin. „Das Dragunow wurde in einer Art Truppeninspektion der sowjetischen Streitkräfte im Jahre 1986 hinterfragt. Die Schützen dieser Waffen sollten über ihre Erfahrungen berichten und Verbesserungswünsche einreichen. Die meisten wollten einen abklappbaren Kolben. Vor allem, weil es in so einem sowjetischen Schützenpanzer recht eng zugeht. Die Soldaten stießen öfter, als ihnen lieb war, an die Panzerung und mussten deshalb die Waffe zum Justieren bringen. Eine Klappschulterstütze aber war aufgrund der Stabilität der Waffe, ja der gesamten Konstruktion eher ungünstig. Also entschieden die Konstrukteure, den Lauf zu verkürzen, und als weitere Neuerung konnte man den doch recht langen Mündungsfeuerdämpfer abschrauben. Das war vorher nicht möglich. Jetzt aber konnten auch die Geheimdienste und Spezialeinheiten auf das Dragunow zurückgreifen, denn erst jetzt war es möglich, einen Schalldämpfer auf den Lauf zu schrauben. Mein Gedankengang ist also folgender: Wenn sich ein Schütze mitten in der Stadt in einen Schilfgürtel legt, um jemanden zu erschießen, dann sollte er doch einen Schalldämpfer verwenden.“

       Er erntete ein Nicken von Sturm und eine noch nach dem finalen Gedanken suchende Stirn Perlhubers.

       „Und wenn er ein Dragunow verwendet und keinen Schalldämpfer benutzt, dann hat das einen Grund. Er hat eine Waffe aus einem Baujahr, wo man noch keinen Schalldämpfer aufsetzen kann! Also war es entweder die einzige Waffe, die ihm zur Verfügung gestellt wurde oder er ist Einzelgänger oder, und das vermute ich, er ist ein Spezialist, der nur mit dieser Waffe „arbeitet“. Einen anderen Grund hierfür kann ich mir nicht denken. Das Dragunow ist eines der robustesten Scharfschützengewehre der Welt und das einzige automatische in der Gruppe der Robusten. Meiner Meinung nach war ein in seine Waffe verliebter Killer am Werk, der sein Handwerk versteht und nur mit seinem speziellen Werkzeug arbeiten will.“

       Sowohl Perlhuber als auch der Kommissar hatten aufmerksam zugehört.

       Letzterer antwortete, schon nicht mehr nüchtern: „Das ist endlich mal ein spezifischer Gedankengang.“

       Die Zischlaute kamen bereits dezent verschwommen.

       Der Staatsanwalt übernahm: „Ich habe auch eine Idee. Wenn wir Ihnen die Aufnahme vom Schuss zur Verfügung stellen und Ihnen sagen, wo wir die Kamera fanden und sie genauso wieder hinlegen, wie wir diese fanden, können Sie uns dann in etwa den Ort zeigen, von wo geschossen wurde?“

       Frieder Lachmann setzte sein Halbliterglas an, um es in einem Zug zu leeren.

       „Ich stehe Ihnen morgen ab vierzehn Uhr zur Verfügung. Lassen Sie mich abholen. Vom Büro. Siehe Visitenkarte. Jetzt muss ich aber wirklich los. Schönen Feierabend, die Herren.“

       Er stand auf und ging zum zweiten Mal.

      „Beeindruckend“, sagte Perlhuber.

       „Ja, mit Sicherheit ist das beeindruckend. Der hat eine Ahnung von Waffen…“

      „Das meine ich nicht. Der hat sechs halbe Liter getrunken, den letzten in einem Zug, quasi ohne zu schlucken. Der gehört nach Bayern, der muss zum Oktoberfest.“ Sturm reagierte sofort. „Wenn der arme Kerl mal eines deiner Aalbiere kostet, verdoppelt der sofort das Honorar.“

      Saarbrücken, Mecklenburger Ring 72

      Marc Hüter saß in seinem Rolli vor dem Haus. Die Kommissarin kniete neben ihm.

       „Wo ist der Täter hingerannt?“

       Er sei sich nicht sicher, antwortete er. Auch die ständige Fragerei nach den Handschuhen verstand er nicht. Marc verstand die Fragen schon, jedoch durfte seine Rolle das nicht widergeben.

       Er behauptete einfach, dass der Täter keine Handschuhe anhatte, als er ihm vor dem Fahrstuhl plötzlich im Weg stand. Und Fingerabdrücke konnte man von ihm nicht an seinem Rolli finden, weil der Mann ihn vor die Brust gestoßen hatte, woraufhin er umkippte und die Treppe hinunterfiel. Was er denn in dem Haus gewollt habe?

      Damit hatte Marc gerechnet und sich eine perfekte Idee entwickelt. Ein Haus weiter wohnte eine ehemalige Kollegin seines Vaters. Die wollte er eigentlich besuchen und hatte sich nur in der Hausnummer geirrt. Das stimmte sogar. Ob ihm noch etwas