A.B. Exner

Kollateraldesaster


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„Wir brauchen Ihre Hilfe. Darf ich vorstellen? Staatsanwalt Perlhuber, welcher, nennen wir es beim Namen, nicht so ganz auf Ihre Fähigkeiten vertraut und einen kleinen Test mit mehreren Waffen hat vorbereiten lassen. Ist das ein Problem?“

      „Keineswegs, ein Überfall ja, aber ein Problem sicher nicht. Und, Herr Staatsanwalt, weswegen brauchen Sie mich so dringend?“

       „Ich glaube schon, dass Sie eine gewisse Qualifikation besitzen, die uns nützen kann. Jedoch würde mich der Grad Ihrer Kenntnisse interessieren, bevor wir uns auf Ihre Rückschlüsse verlassen. Denn hier geht es um eine Geschichte von höchster Wichtigkeit. Lauschen Sie einfache einer Reihe von Schüssen und sagen Sie uns, was Sie hören.“

       Den verwunderten Blick ignorierend, nein, überhaupt nicht registrierend, schritt der Staatsanwalt, es war ja schließlich alles gesagt, voran.

      Auf dem Weg zum Sicherheitsturm erklärte Magnus Sturm dem Neuankömmling, dass es ein glücklicher Zufall war, dass Polizeieinheiten der Ostseeanrainerstaaten ihr diesjähriges Training in Rostock absolvierten. Das Schießtraining, ein Wertungswettkampf fand am gestrigen Tag statt. Da die Anlage noch für das Finale dieses Wettkampfes gebucht war, konnte der geplante Geräuschtest ohne großartigen Aufwand an Vorbereitungen jetzt sofort durchgeführt werden. Lachmann hierher zu holen, war die Idee Sturms aus der gestrigen Besprechung gewesen.

       Die drei Männer waren weiter zur Feuerlinie gegangen. Dort saßen zwanglos ein Dutzend Leute auf Bänken, Kisten waren zu sehen und Sandsäcke. Was Lachmann nicht sah, war ein Laptop, angeschlossen an einen Lautsprecher.

      Eine der Bänke war nicht in Richtung des Schussfeldes ausgerichtet. Dort sollte er Platz nehmen. Das Schießen würde sich eine Weile hinziehen, wurde ihm noch erklärt. Er möge bitte die Schüsse anhören und sagen, was er denke, aus welcher Waffe diese abgefeuert wurden. Lachmann war einverstanden. Er öffnete seinen Laptop, fuhr das System hoch und schloss ein Mikrofon mit einem, auffallend großen Drahtgestell am Griffstück an.

       In dieser „Wetten Dass“-Variante hatte er es zwar noch nie erlebt. Aber in Finnland hatte er so schon mal eine Wodkawette gewonnen, wenn auch sein Magen am nachfolgenden Morgen verloren hatte.

      Weder die fadenscheinigen Erklärungen des Kommissars, noch die Ausflüchte des Staatsanwaltes brachten wirkliche Erleuchtung in Lachmanns Gedanken. Er musste also warten. Zwanzig Minuten, eine Filterlose und zwei Tassen Kaffee später ging es los.

      Der erste Schuss brach. Lachmann bat um Wiederholung. Orientierte sich nur kurz auf dem Bildschirm seines Laptops, machte eine Notiz auf seiner Kladde.

      Ein nächster Schuss folgte. Lachmann sah kurz mit geneigtem Kopf in den Himmel, machte seine Notiz. Die dritte Waffe musste mehrmals abgefeuert werden. Auch der Blick auf seinen Bildschirm ließ ihn noch zweifeln. Er hob die Hand und winkte Sturm zu.

       „Hören Sie, Herr Kommissar, ich bin der Spezi für die Waffen aus dem Ostblock. Die ersten beiden sind klar. Erst servieren Sie mir einen Klassiker. Die Smith & Wesson Chiefs Special. Ein dreckiges kleines Mistding.

      Entweder als M36 oder als M60. Das konnte ich nicht unterscheiden. Deswegen ließ ich noch einmal schießen. Es bleibt dabei, ich weiß nicht, ob M60 oder M36. Aber es ist definitiv die Chiefs Special, die mit dem kurzen Lauf.“

       Perlhuber, der inzwischen dazu getreten war, hatte ein langes Gesicht.

       „Das hören Sie raus? Was ist mit der zweiten Waffe?“

       Wortlos reichte Lachmann die Kladde an sein Gegenüber.

       „MP 5 von Heckler und Koch, vermutlich die SD?“, las Sturm laut mit.

       „Warum SD?“ Lachmann kratzte sich am nicht mehr sonderlich behaarten Kopf.

       „Also sehen Sie, es ist so. Die SD hat einen modifizierten Verschluss. Die Mündungsenergie wurde absichtlich verringert, genauso wie die V-Null auf 285 m/s reduziert wurde.“

       „V-Null heißt?“ Wollte Perlhuber wissen. Sturm war erfahren genug, seinen Chef nicht bloßzustellen und schaute genauso dämlich.

       „Die V-Null ist die Geschwindigkeit des Geschosses direkt nach Verlassen des Laufes“ erklärte Lachmann bereitwillig. „Die SD ist eine Spezialanfertigung für Schalldämpfer. Den hätten Sie schon noch drauf schrauben sollen, dann hätte ich das nicht erkannt. Die dritte Waffe halte ich für eine Walther PPK oder eine Mauser HSc. Das kann ich nicht unterscheiden. Ich bin aber, wie gesagt, ein Spezi für Ostblockwaffen. Haben Sie nicht was schön Historisches?“

      Perlhuber nickte Sturm zu und ging. „Okay, wir servieren Ihnen noch vier Waffen. Wenn Sie die richtig haben, haben Sie gewonnen.“

      „Was gewonnen?“, wollte Lachmann wissen.

      Sturm übergab die Kladde und sagte: „Erstens ein Mittagessen mit dem Staatsanwalt und mir. Zweitens können Sie eine Honorarforderung an uns stellen.“

       Lachmann griff die Kladde. „Was war denn nun eigentlich die dritte Waffe? Wenn ich raten dürfte, würde ich auf die PPK tippen.“

      „Sie sind ja wohl der eigenartigste Zeitgenosse, den ich in den letzten Jahren kennen gelernt habe. Es war meine Pistole, eine PPK.“

      Wieder erscholl ein Knall. Lachmann grinste nur und notierte, diesmal ohne die Hilfe seines Computers, Skorpion 61in der 7,65mm Version. Die nächste Waffe forderte nicht einmal mehr ein Grinsen von ihm. Ganz klar die alte AK 47.

       Die dritte Waffe wurde auf sein Handzeichen noch einmal abgefeuert. Nach dem ersten Schuss stand schon Valmet 60 auf seinem Block. Eine finnische Variante der russischen AK. Nach dem zweiten Schuss schrieb er 7,62 mm dazu.

      Dann erfolgte ein Schuss, der dafür sorgte, dass Lachmann aufsprang und sich umdrehte.

       Kein Schütze lag dort. Da saß ein Mann an einem Laptop hinter Kisten. Da war auch der Lautsprecher. Lachmann stiefelte auf den Mann los.

       „Dragunow“, rief er. „Das ist ein Dragunow. Wollt ihr mich auf den Arm nehmen oder was? Das war doch klar, dass dies kein Originalschuss war. Völlig verkehrtes Echo hier am Waldrand. Aber es ist ein Dragunow. Ein SVD.“

       Sturm hatte, hinzu geeilt, die Kladde von der Bank mitgebracht. Perlhuber kam gerade eben bei den Männern an. „Er hat wieder alles richtig“, sagte er zum Staatsanwalt.

      „Erstaunlich“ antwortete dieser.

       Lachmann fühlte sich geschmeichelt. „Das ist eben meine Fähigkeit. In irgendwas sind Sie sicherlich auch eine Kapazität. Sie wollten mich doch nur in Bezug auf das Dragunow prüfen, richtig?“

       Perlhuber, die Kladde mit den absolut beeindruckenden Ergebnissen und der wirklich einmalig gleichmäßigen, sehr angenehmen Handschrift an Sturm weiterreichend, antwortete.

       „Woher haben Sie es so schnell gewusst?“

      „Das ist mein Job. Ich verdiene mein Geld damit. Im Auto habe ich eine CD-Kollektion mit Geräuschen von fast 98 % aller Waffen dieser Welt. Sortiert nach Herstellungsland, Produktionsfirma, Baujahr, Kaliber, Zusatzausrüstung und verschiedenen Arten der Munition.“

       Er fingerte sich eine Zigarette aus der Schachtel, die in seiner Jackentasche auf Leerung wartete. Das von Perlhuber dargereichte Feuerzeug unabsichtlich übersehend, ließ er sein Zippo aufschnippen und gab die benzinbefeuerte Flamme frei.

      „Ich