A.B. Exner

Kollateraldesaster


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mit versilberten Gläsern. Ja, das wisse er ganz bestimmt.

      Ebenfalls vor dem Haus stand ein großer, schmaler Mann in einem etwas altersschwachen Anzug, welcher den Charme der Siebziger widerspiegelte.

       Die Kommissarin ging zu ihm, fragte etwas. Der zog den Kopf zwischen die Schultern und schüttelte selbigen. Dann zeigte er beide Handflächen nach oben und blickte in Richtung von Marc.

       Sie ließ den Mann gehen.

       „Also, unser anderer Zeuge ist sich gar nicht mehr so sicher, ob der Verdächtige tatsächlich OP-Handschuhe anhatte. Es war wohl mehr seine Frau der Meinung, welche etwa zehn Meter entfernt im Auto saß. Sie hatte ihrem Mann eingeredet, dass da OP-Handschuhe im Spiel waren. Und das mit der Sonnenbrille konnte er nicht bestätigen. Er habe, da er nun mal eins fünfundneunzig groß sei, mehr oder weniger auf den Anderen herab geschaut. Der hatte sein Basecap so tief runtergezogen, dass von einer Brille nichts zu sehen gewesen sei. Der Zeuge ist völlig verunsichert. Ich glaube beinahe, dass nur seine Frau etwas gesehen hat und er überhaupt nichts.“

       Sie musste rauchen. Wo bekam sie jetzt eine Zigarette her?

       Der eine Hauptzeuge wird die Treppe runter geschubst, ehe er was sehen kann. Dreht sich dann glücklicherweise noch um, um wenigstens den Pullover und die erste Fluchtrichtung zu erkennen. Kann sogar ziemlich exakt die Größe und Kleidung bestimmen. Der andere Zeuge ist vermutlich gar keiner. Wunderbar. Wie sollte sie das der Staatsanwältin Draht beibringen?

       Sie verabschiedet sich von Marc. Nein, er will nicht mitgenommen werden. Seine Schwester würde ihn unten am Park mit ihrem Freund in Empfang nehmen.

      Der vermutliche Täter hatte also plötzlich doch nur zwei Paar Handschuhe. Na klar, das ergab dann auch eher einen Sinn. Nachdem er sich diese Plastikplatte von seinem Basecap abgebaut hatte, wollte er vermeiden, dass er einen Fehler macht, dass er in der Eile vielleicht diese Plastikfolie doch noch mit den Fingern berührt. Oder Abdrücke an den Türen des Fahrstuhls oder der Eingangstür des Hauses, oder dem Griff der Mülltonne. An den ersten Handschuhen sind Schmauchspuren. Die hätte er, wenn er nicht aufpasst, auf seine Kleidung übertragen können. Also, Pullover aus, Schießhandschuhe aus, Folie ab. Alles in den Pullover wickeln. Andere Handschuhe vermeiden jetzt, dass er Schmauchspuren dieser drei Objekte an seinen Händen ablagert. Raus, Fahrstuhl, den Kleinen im Rolli umschmeißen, zur Mülltonne. Dann das zweite Paar Handschuhe auch noch ausziehen. Keine Spuren sind am Körper, keine Spuren werden hinterlassen, keine Spuren werden aufgenommen.

       Der wusste, was er tat.

       Sie war während dieser Gedankenkette zu ihrem Wagen gegangen. Kollege Grewe stand neben dem Audi. Sie sah an ihm vorbei etwas, was sie wahnsinnig interessierte. Sie schritt schnell an Kommissar Grewe vorbei, öffnete die Tasche, fand, was sie suchte, warf das Geld ein und zog sich eine Schachtel Zigaretten.

      Marc war schon an den Boulespielern vorbei. Seine Schwester und deren Freund warteten mit einer Tüte Äpfel auf ihn. Er nahm sich einen, biss hinein. Sie suchten sich eine Bank.

      „Ihr wisst ja, was ich für ein feiger Kerl bin. Plötzlich war Horst weg. Ich sah mich nach ihm um und hörte diesen Schuss. Ich hatte Angst, dass irgendein Idiot auf das Tier geschossen hätte. Ich wusste überhaupt nicht, was ich tat. Ich dachte in diesen paar Sekunden nur immer an Oma, wie traurig sie sein würde, wenn Horst nicht mehr am Leben sei. Ich hab den Typen so angeschrien, dass der wahrscheinlich dachte, ich will ihm ans Leben. Dann wollte ich mehr sehen und richtete mich im Rollstuhl weiter auf, während ich immer näher an das Schilf ran fuhr. Der Rolli fuhr über einen Stein und dann in eine Kuhle, kippte auf die Seite. Da war so eine alte Betonwegeplatte. Der Rollstuhl lehnte daran und ich konnte im Rollstuhl schräg sitzend das Gewehr greifen. Ich brauchte eine ganze Weile, drehte die Waffe immer wieder um ihre Längsachse, bis ich sie einfach nach oben von diesem Pflock ziehen konnte. Das dauerte bestimmt fünf Minuten, eher länger. Dann fand ich die Angelrutentasche, verpackte das Gewehr. Horst und Felix waren endlich bei mir angekommen. Ich richtete mich im Rolli auf und fuhr einfach los. Beim Umkippen bin ich dann wahrscheinlich auch irgendwie diese Kamera losgeworden. Tut mir leid.“

      Nach einer Pause, die ebenso lange dauerte, wie man braucht, um einen Apfel bis auf den Stiel zu essen: „Ich hatte Angst um Horst. Ich hab wirklich gedacht, dass da jemand auf den Hund geschossen hätte.“

      Zwei Stunden später übergab Staatsanwältin Dr. Annemarie Heilberg-Tövenhooft eine gut recherchierte Akte an den Kollegen vom Staatsschutz. Für sie war, nach einer Aussprache mit ihrer, von ihr sehr geschätzten Kollegin Karin Siebert, die Ermittlung mit den Befugnissen der Kriminalpolizei Saarbrücken erledigt.

       Tötung durch Auftragsmörder.

      Die abschließende Information an die entsprechenden Dienststellen der LKAs würde erfolgen.

       Und damit war die Akte zu.

      Rostock, am selben Tag, zur selben Zeit.

      Alois Perlhuber war nach den gestrigen Erlebnissen der festen Überzeugung, dass der trinkfeste Kerl vom Vorabend auch die Stelle finden würde, wo der Schütze gelegen hatte. Dann kam auch schon Lachmann, der von Sturm persönlich geholt worden war. Nach der Begrüßung trat Sturm zum Einsatzfahrzeug, wollte sich Kaffee besorgen. Lachmann nahm seinen Laptop und von einem jungen Polizisten einen USB-Stick entgegen. Dann setzte er sich ins Gras.

       Seine einzige Frage: „Waren die Wind- und Witterungsbedingungen etwa so wie heute?“

       Ein anderer Beamter holte seinen PDA heraus, tippte etwas ein. „Temperatur, heute zwei Grad mehr. Windrichtung 270°, also genau West, wie gestern auch, allerdings ist heute mehr Wind. So ziemlich genau eine Windstärke.“

       Magnus Sturm kam zurück, wollte Lachmann einen Becher Kaffee reichen.

       Dieser jedoch wehrte, ohne aufzusehen, mit einem Kopfschütteln ab.

      Am Ufer der Warnow hatten die Ermittler die Kamera genauso drapiert wie auf den Tatortfotos. Nachdem Frieder Lachmann seinen Laptop hatte rechnen lassen, stellte er sich genau neben die Kamera. Einen mit seinem Computer verbundenen Lautsprecher stellte er genau zwischen seine Beine. Dann drehte er sich um 180°. Mit einer Fernbedienung aktivierte er die Software. Ein Knall ertönte. Lachmann wiederholte das Procedere siebenmal, änderte immer etwas seine Position.

       Sturm kaute seinen Kaugummi, den er diesmal ausspucken würde, und Perlhuber saß auf einer ehemaligen Wegbetonplatte. Er hatte es sich so bequem wie möglich gemacht. Lachmann steckte nach etwa zehn Minuten die Fernbedienung in seine Tasche und ging schnurstracks ins Schilf. Durch die Ermittler der Spurensicherung und die Sucher der Bereitschaftspolizei war das Schilf so niedergetrampelt, dass nur der Pflock noch ein Indiz für die angenommene Position des Schützen darstellte, was Lachmann nicht wissen konnte.

       Der blieb einen Meter vor dem Pflock stehen und sagte: „Hier.“

      Mehr sagte er nicht. Perlhuber nickte Sturm zu. Ging zu seinem Auto. Sturm schüttelte nur ungläubig mit dem Kopf. Er sah aus, als würde er einen Opferschrein für sein neues Idol bauen. An dieser Stelle hatten sie die einzigen Pulverrückstände an mehreren Schilfhalmen ausmachen können.

      Magnus Sturm nahm Frieder Lachmann mit zu seinem Wagen. Noch heute würde er die Akte an das LKA weitergeben. Hier waren seine Möglichkeiten erschöpft. Es war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Killer am Werk gewesen. Europol war die richtige Adresse für die Akte.

      Rostock, Büro des Kriminalhauptkommissars Magnus Sturm

      Staatsanwalt Perlhuber hatte die Entscheidung nicht gutheißen wollen, die Akte nach Schwerin weiterzugeben.

       Die freundschaftlich begonnene Diskussion drohte eben um einige Dezibel lauter geführt zu werden, als es klopfte.

       Es erschien der neue, vor einer Woche von der Polizeischule mit guten Zensuren entlassene Kollege. Er erstarrte, als er den Staatsanwalt sah und überreichte Sturm ein Fax. „Ein Klorollenfax, Chef.“

       „Papier“ dachte Sturm, während er begann zu lesen.

       Alois Perlhuber setzte seinen Stiernacken in