August Schleicher

Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder


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Reise schlief der Bruder vor Erschöpfung ein, und

       während er schlief, vertauschten sie die Heilkräuter.

       Als sie nun zum Vater nach Hause gekommen, da

       fragte der Vater ›Wie, meine Kinder, habt ihr die

       Kräuter mit gebracht?‹ »Ja, Vater, wir haben sie.«

       ›Nun, da streicht einmal auf.‹ Die beiden nahmen ihre

       Kräuter und strichen auf, und der König öffnete die

       Augen. Jetzt schloß aber der König die Augen wieder,

       als sei er blind, und sagte zum dritten Sohne ›Na,

       mein Sohn, streich einmal von deinen Kräutern etwas

       auf.‹ Als dieser es that, sah der König nichts mehr.

       Da sagte der König ›Nun streicht ihr beide wieder

       von euren Kräutern auf!‹ Und sobald sie aufgestrichen,

       konnte der König wieder sehen. Der König ergrimmte

       nun so über seinen Sohn, weil er ihm solche

       Kräuter gebracht hatte, daß er befahl ihn sofort zu erschießen.

       Wie aber der Jäger mit ihm ritt und ihn von

       hinten erschießen wollte, da versagte ihm das Gewehr.

       Der Prinz sagte ›Was wolltest du eben da

       thun?‹ Der Jäger sagte »Lieber Prinz, der König hat

       befohlen, ich solle dich erschießen und Herz, Leber

       und Lunge mit zurück bringen.« ›Na, wenn das so ist

       (sagte der Prinz), sieh, da ist ein Hund, erschieß den

       Hund, nimm sein Herz, Leber und Lunge heraus,

       brings nach Hause und wirfs in den Ofen, so ist die

       Sache abgethan; ich werde nicht mehr in die Heimat

       zurück kehren, auch wenn man meiner einst bedürfen

       wird: ich gehe zu dem Müller da und lerne als Müller.‹

       Der Jäger that das, brachte die Sachen und zeigte

       sie dem Könige; der sagte ›Wirfs in den Ofen, da

       kanns verbrennen.‹

       Zu der Zeit genas die Prinzessin jenes Landes, aus

       welchem der Prinz die Kräuter mit gebracht, eines

       Sohnes. Nachdem sieben Jahre verfloßen waren und

       der Junge heran gewachsen, sprang er ein Mal in der

       Stube umher und kroch unter einen Tisch; er sah in

       die Höhe und sah da etwas schimmern. ›Mutter (sagte

       der Knabe), sieh doch einmal her, was da so flimmert.‹

       Die Mutter kam, sah unter den Tisch, aber sie

       konnte nicht verstehen, was da geschrieben stund. Da

       ließ sie sich vier Männer mit verbundenen Augen

       bringen, um die Schrift zu lesen, und als sie sie gelesen,

       verband man ihnen die Augen wieder und führte

       sie hinweg. Aus der Schrift erfuhr aber die Prinzessin,

       daß ein Prinz aus dem und dem Lande bei ihr gewesen

       sei und die Arzneikräuter, den Brotleib und die

       Waßerflasche mitgenommen habe. Sodann rüstete

       sich die Prinzessin zur Reise mit einer großen Schaar

       Soldaten, und eine große Menge Schießpulver nahm

       sie mit und zog zu jenem Könige hin und machte eine

       viertel Meile von des Königs Stadt Halt. Den Weg

       von ihr bis zur Stadt ließ sie mit rotem Scharlach belegen

       und die Stadt mit Pulver umschütten, und dem

       Könige sagen, ›Er solle in vier und zwanzig Stunden

       den zu ihr schicken, der von ihr die Kräuter gebracht

       habe, sonst laße sie die Stadt mit Pulver gen Himmel

       sprengen.‹ Da sandte der König sofort den ältesten

       Sohn zu Pferde zu ihr; als er hin geritten, fragte sie

       ihn ›Hast du die Kräuter gebracht?‹ »Ja,« sagte der

       Prinz. ›Und was weiter?‹ »Nichts.« Da sagte die Prinzessin

       ›Reit du nach Hause und sag deinem Vater, er

       solle in vier und zwanzig Stunden den schaffen, der

       die Kräuter gebracht.‹ Der Prinz ritt nach Hause und

       sagte es seinem Vater. Da sagte der Vater zum zweiten

       ›Nun, mein Sohn, du hast doch die Kräuter gebracht?‹

       »Ja,« sagte der Sohn. ›Nun so eile und reite

       du zu ihr hin.‹ Und da ritt auch er hin. Als das Kind

       der Prinzessin ihn heran reiten sah, sagte es zu seiner

       Mutter ›Der, wo da geritten kommt, ist mein Vater

       nicht; der schont den Weg und der hat auch dich geschont‹.

       Das sagte das Kind nämlich deshalb, weil er

       neben dem belegten Wege her geritten kam. Als der

       Prinz in die Nähe gekommen, fragte ihn die Prinzessin

       ›Hast du die Kräuter gebracht?‹ »Ja,« sagte der

       Prinz. ›Und was weiter?‹ »Nichts.« Die Prinzessin

       sagte ›Reit du nach Hause, und wenn in vier und

       zwanzig Stunden der nicht zur Stelle kommt, der die

       Kräuter gebracht hat, so fliegt die Stadt gen Himmel.‹

       Der Prinz ritt nach Hause und sagte es seinem

       Vater; da wuste der König vor Sorgen nicht, wo er

       bleiben sollte. Jenen Sohn hatte er erschießen laßen;

       wie sollte er nun den finden, der die Kräuter gebracht?

       In tiefster Betrübnis gieng er auf dem Hofe auf und

       ab; da erblickte ihn der Jäger, den er abgesandt hatte,

       um seinen Sohn zu erschießen; und er fragte den

       König, warum er so betrübt im Hofe auf und ab gehe.

       ›Ja, lieber Jäger, ich ließ meinen Sohn von dir erschießen,

       und jetzt soll ich ihn schaffen, sonst werden

       wir alle verbrannt.‹ »Ja, lieber König, vielleicht ist er

       noch am Leben; ihr habt mir freilich befohlen ihn zu

       erschießen, aber er bat so sehr um sein Leben, daß ich

       ihn leben ließ; er gieng zu dem Müller da in die

       Lehre, und da wird er wol noch sein.« Sogleich ließ

       der König ihm sagen, er solle zu ihm kommen. Der

       Prinz aber ließ sagen ›Der König hat so weit zu mir

       als ich zu ihm; wenn der König mit vier Rappen wird

       gefahren kommen, so werde ich mit fahren.‹ Der

       König ließ sofort vier Rappen anspannen und fuhr zu

       seinem Sohne hin; da setzte sich der Prinz in den

       Wagen und fuhr mit seinem Vater nach Hause. Sodann

       ließ sich der Prinz ein Pferd scharf beschlagen,

       stieg auf und ritt mitten auf dem Wege so gewaltig

       einher,