August Schleicher

Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder


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auch gehen.‹ Da erkannte der König, daß es seine

       Kinder seien, und er behielt sie bei sich und fuhr aus,

       seine Frau zu suchen. Da kam er in eine Stadt und

       gieng in eine Schenke, aber sein Kutscher blieb draußen

       und sah ein Weib mit einer Hand, die gieng zum

       Brunnen, um Waßer zu schöpfen. Der Kutscher lief

       sogleich zu seinem Herrn hinein und meldete ihm das;

       der König lief heraus, fand die Frau und erkannte in

       ihr seine Gattin und nahm sie mit sich an seinen Hof.

       So hatte er seine beiden Söhne und seine Frau wieder;

       seine böse Mutter aber ließ er mit ihrem Hause,

       sammt allem was darin war, verbrennen.

       Vom Grünbart.

       In einer Stadt lebte ein sehr reicher Kaufmann, der

       hatte eine sehr schöne Tochter, die wollte durchaus

       keinen andern heiraten als einen Mann mit grünem

       Barte. Um die Stadt herum waren sehr große Wälder;

       in diesen Wäldern hausten vier und zwanzig Räuber

       mit einander. Der Hauptmann dieser Räuber, der von

       dem Mädchen vernommen hatte, daß sie nur einen

       Mann mit einem grünen Barte heiraten wolle, fragte

       seine Leute, ob sie kein Mittel kennten, mit dem man

       sich den Bart grün färben könne, und sie verschafften

       ihm sogleich solche Farbe. Da färbte er denn seinen

       Bart grün (und er war auch außerdem ein stattlicher

       Mann) und reiste in die Stadt zu dem Kaufmann: er

       wolle seine Tochter freien. Dem Mädchen gefiel er

       auch sehr und so blieb er da über Nacht. Des andern

       Tages verabredeten sie sich, daß das Mädchen zu ihm

       hin reisen solle; er besitze hinter dem Walde ein großes

       Gehöfte. Dem Mädchen bedeutete er, sie solle

       immer die Straße entlang reiten, bis sie an eine Brükke

       komme; jenseit der Brücke solle sie sich links wenden

       und auf dem Pfade nur weiter reiten, so werde sie

       zu seinem Hofe gelangen. Der Grünbart reiste ab.

       Die Kaufmannstochter rüstete sich nun zur Reise,

       ließ sich guten Kuchen backen, um ihn ihrem Bräuti-

       gam mit zu bringen, und machte sich dann zu Pferde

       auf den Weg. Sie kam zur Brücke und fand jenen Seitenweg,

       von dem der Grünbart gesprochen hatte. Sie

       ritt nun auf dem Pfade in den Wald; je tiefer sie aber

       in den Wald hinein kam, desto schmaler ward der

       Pfad: nur ein schmaler Fußpfad war noch da. Was

       sollte sie nun thun? Reiten konnte sie nicht mehr, sie

       muste absitzen, das Pferd anbinden und zu Fuße

       gehen. Nachdem sie ein Ende gegangen, sah sie ein

       Häuschen, an dessen Thüre zwei Löwen mit Ketten

       angebunden waren. Als sie in die Nähe derselben gekommen

       war, dachte sie ›Sollst du weiter gehen oder

       nicht?‹ Aber da die Löwen nichts thaten, trat sie hinein

       und gieng in eine Stube: da stunden Betten und an

       der Wand hiengen mehrere Flinten. Als sie sich da

       umgeschaut, gieng sie in eine andre Stube: da stund

       ein Tisch und am Deckbalken hieng ein Käfich mit

       einem Vögelchen. Der Vogel sagte zu ihr ›Wie

       kommst du hierher? denn das ist ein Räuberhaus.

       Hinweg kannst du jetzt nicht, denn wenn du hinaus

       willst, so zerreißen dich die, Löwen; aber ich will dir

       Unterweisung geben. Lege du dich jetzt unters Bett;

       wenn die Räuber kommen, werden sie sich betrinken

       und dann einschlafen; dann geh du weg, und wenn du

       hinaus gehst, wirf beiden Löwen jedem ein Stück Kuchen

       hin, dann kannst du ein Ende weit davon laufen.‹

       So that sie auch und kroch unter das Bett.

       Die Räuber kamen einer nach dem andern und sagten

       ›Hier stinkts nach Menschenfleisch;‹ aber der

       Vogel wehrte ab so viel er nur konnte, und so ließen

       sie sich davon abbringen. Die Räuber brachten ein

       Mädchen mit; nachdem sie ihr Abendeßen zu sich genommen,

       hieben sie das Mädchen in Stücke und fiengen

       mit den kleinen Fingern an. An einem hatte sie

       einen Ring, und der Finger mit dem Ringe rollte unter

       das Bett, wo jene lag. Da nahm sie den Finger und

       steckte ihn in ihre Tasche. Als die Räuber ihr Werk

       vollendet, fiengen sie noch einmal an zu trinken und

       betranken sich dermaßen, daß sie von ihren Sünden

       nichts mehr wusten und sämmtlich einschliefen. Als

       das Mädchen meinte, daß sie alle fest schliefen, stund

       sie auf, gab dem Vögelchen ein Stückchen Zucker und

       nahm in jede Hand ein Stück Kuchen, das sie beim

       Hinausgehen den Löwen zuwarf. In der Zeit als sie

       das fraßen, sprang sie hinaus. Kaum aber hatten sie es

       gefreßen, als sie anfiengen zu brüllen und ein Geschrei

       zu erheben, daß der Wald in einem fort erbebte.

       Da sprangen die Räuber alle auf und verfielen gleich

       darauf, daß das Mädchen da gewesen sein müße; alle

       setzten ihr nun nach, aber sie erreichte doch ihr Pferd.

       Als sie aufgeseßen, ritt sie in solcher Eile, daß sie, als

       sie ihre Wohnung erreicht hatte, vor Schreck blaß war

       wie eine Leiche, und daß sie sich sogleich niederlegen

       muste und krank ward.

       Der Grünbart schor nun seinen Bart sofort ab und

       sann nach, wie er das Mädchen doch noch erwischen

       könne. Er bestellte sich große Wagen und große

       Fäßer, in deren jedes er vier Räuber kriechen ließ, und

       fuhr damit zu dem Kaufmanne, als ob er Waaren kaufen

       wolle: er sei auch ein Großhändler aus der und der

       Stadt. Seinen Leuten hatte er gesagt, er werde ins

       Zimmer zum Kaufmanne gehen und er wolle ihnen ein

       Zeichen geben; wenn alle in der Stube eingeschlafen

       sein würden, dann sollten sie die Boden der Fäßer

       ausschlagen, alles ausrauben und beim Wegfahren

       noch das Mädchen mitnehmen. Während er nun im

       Zimmer war, hörte des Kaufmanns Knecht, der auf

       dem Hofe umher gieng,