August Schleicher

Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder


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Reiche sagte ›Bruder, wo ist deine Frau?‹ »Ach, Bruder,

       sie schämt sich hinter dem Ofen vor zu gehen; sie

       hat nichts an zu ziehen und ist schon ganz halb

       nackt.« ›Und wo sind deine Jungen?‹ »Die Jungen,

       die sind in der Schule.« Indem sie mit einander redeten,

       kamen die Kinder zum Eßen aus der Schule nach

       Hause gelaufen und grüßten ihren Ohm freundlich.

       Der Ohm hatte sein Wolgefallen an den Jungen und

       ließ ihnen sogleich die Kleider bringen, die er ihnen

       zu Hause hatte machen laßen, und wie sie angezogen

       waren, da ließ er sie ein Ende mitfahren und es traf

       sich, daß der Weg durch einen Wald führte, wo schö-

       ne Bäume zu sehen waren. Im Fahren kamen sie an

       dicke Eschenbäume. Da sagte der älteste von den

       Knaben ›Ohm, das gäbe gute Tische!‹ Der Ohm sagte

       »Na, mein Junge, willst du ein Tischler werden?« ›O

       ja (sagte der Knabe) wenn nur mein Vater so viel aufbrächte,

       um mich in die Lehre zu thun.‹ Der Ohm

       nahm sein Journal1 und schrieb sich das auf. Sie fuhren

       weiter und kamen an starke Eichen. Da sagte der

       zweite ›Aber das wären herrliche Eichen für die Wagner.‹

       Der Ohm sagte »Na, mein Junge, vielleicht

       willst du ein Wagner werden?« ›O ja, (sagte der

       Knabe) wenn nur mein Vater so viel aufbrächte, um

       mich in die Lehre zu thun.‹ Der Ohm zog sein Journal

       heraus und schrieb sichs auf. Sie fuhren noch ein

       Ende und kamen an schöne und hohe Bäume; aber der

       dritte sagte nichts. Der Ohm aber wartete darauf, ob

       denn der auch etwas sagen würde. Da kamen sie an

       ein solches Dickicht und verwachsenes Gestrüppe,

       daß nicht einmal eine Mücke ihren Schnabel hätte

       hinein stecken können; da sagte der jüngste ›Ohm, da

       könnte man gut ein Schnippchen schlagen.‹ Der Ohm

       denkt hin und her, aber er kann das Wort nicht verstehen

       und er muß den Kleinen fragen, was das sei und

       an was er denke. ›Ohm, (sagte der Junge) da könnten

       sich Räuber gut verstecken.‹ Der Ohm sagte »Na,

       vielleicht willst du gar unter die Räuber gehen?« ›O

       ja, wenn ich nur dazu kommen könnte?‹ Der Ohm zog

       sein Journal heraus und schrieb sich auch das auf. Sodann

       kehrte er wieder zu seinem Bruder zurück.

       Als er von seinem Bruder Abschied genommen,

       fuhr er wieder nach Hause, und die Knaben seines

       Bruders nahm er alle drei mit zu sich in die Stadt und

       schickte sie in die Schule; nachher that er den einen

       zu einem Tischler und den anderen zu einem Wagner

       in die Lehre. Nicht weit von der Stadt aber war eine

       Heide, und auf der Heide hielten sich Räuber auf; dort

       hatten sie ihren Keller. Der Kaufmann aber war bekannt

       mit den Räubern; wenn die anderen Kaufleute

       aus der Stadt nach Waare fuhren, da gab er den Räubern

       Kunde davon. Zu diesen Räubern that er den

       dritten, und da sollte er das Räuberhandwerk lernen.

       Als er schon eine Zeit lang dort gewesen, sah er bei

       den Räubern großes Unrecht, indem sie die Leute,

       wenn sie sie ausraubten, auch noch todt schlugen, und

       er sagte einmal ›Brüder, das ist nichts; warum schlagt

       ihr denn die Leute, die sind ja unschuldig; wenn ihr

       ihnen die Waare abnehmet, raubt ihr ihnen alles was

       sie haben, dann laßt doch die Leute laufen.‹ »Na da

       machs doch so, wenn du so schlau bist,« sagten die

       Räuber zu ihm. Als nun ein großer Wagen mit Waare

       des Weges gefahren kam, da sagten sie »Geh und beraube

       einmal den Wagen!« Der Junge sagte ›Ich

       werde so viel rauben, als ich tragen kann, aber geht

       auch ihr mit, damit wir alle etwas bekommen, ich

       werde doch niemanden erschlagen.‹ Da hieng sich der

       Junge fünf Pistolen um und gieng in das Dickicht am

       Wege und wartete bis der Wagen kam. Wie der

       Wagen nun kam, da spannte er drei Pistolen; der

       Fuhrmann dachte ›Da sind wer weiß wie viele Räuber,‹

       sprang vom Wagen, schnitt eiligst die Stränge

       ab, entfloh mit den Pferden und ließ den Wagen im

       Stiche. Da kamen die Räuber mit dem Jungen aus

       dem Dickicht hervor, nahmen vom Wagen was ihnen

       nur gefiel und trugen es in ihren Keller. Da sagte der

       Kleine ›Na seht, Brüder, ist das nicht beßer als wenn

       ihr die Leute ohne Not erschlagt?‹ Aber sie wurden

       böse auf ihn, weil er schlauer war als sie. Und als sie

       ihn unter die Gesellen thun wollten, da sagte der Räuberhauptmann

       zu ihm ›Du must uns deine List noch

       anders zeigen; jezt wird Jahrmarkt in der Stadt sein,

       stihl du uns da eine Ziege.‹ Der Kleine antwortete ›Na

       das ist ja gar nichts für mich, ich werde sie drei Mal

       stehlen und zwei Mal verkaufen.‹

       Er gieng nun auf den Markt, stellte sich neben das

       Thor und wartete auf Leute mit Ziegen. Als er so wartete,

       brachte ein altes Männchen eine weiße Ziege; zu

       dem sagte er ›Wie, Väterchen, hast du die Geiß zu

       verkaufen?‹ »Ja, mein Sohn.« ›Na da werden wir

       beide ein Geschäft machen; was willst du für die

       Geiß?‹ »Drei Thaler.« Der dang nicht lange und sagte

       ›Komm, Väterchen, laß uns in die Stube gehen, ich

       werde ein Viertelchen Branntwein geben.‹ Während

       getrunken ward, gieng der Kleine hinaus, nahm die

       Ziege und gieng in ein Kornfeld bei der Stadt, machte

       seine Ziege bunt und führte sie wieder in die Stadt;

       und wie er sie hinein führte, begegnete er dem Alten,

       dem er die Ziege gestohlen hatte. Der alte Mann fragte

       ihn ›Mein Sohn, hast du die Ziege zu verkaufen?‹

       »O ja, Väterchen.« ›Und was willst du für deine

       Ziege?‹ »Zehn Gulden«2. ›Da, mein lieber Sohn, ich

       hatte auch eine weiße Ziege zu verkaufen und wollte