August Schleicher

Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder


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Litauer, welcher gegen

       eine angemeßene Geldentschädigung für Reisekosten,

       Zeit und Mühe ein solches Unternehmen wol ausführte;

       ich selbst aber bin nicht im Besitze der erforderlichen

       Mittel.

       Ich theile das von mir, theilweise mit Beihilfe Eingeborner,

       Zusammengebrachte hier ohne Anmerkungen

       mit. Das Gebiet der Sprachwißenschaft ist ein so

       ausgedehntes, daß mich wol kein Vorwurf deswegen

       treffen kann, weil ich mich darauf beschränke, dem

       Forscher zuverläßiges Material in die Hände zu

       geben.

       Auf den Wunsch des geehrten Herrn Verlegers ist

       diese Übersetzung mit sogenannter deutscher Schrift

       und in einer von der meinigen abweichenden Orthographie

       gedruckt worden. Den Herrn Verleger bedünkt

       es nämlich wol nicht mit Unrecht, daß die von

       mir befolgte Schreibweise (die dem neuhochdeutschen

       angepaßte mittelhochdeutsche) der Verbreitung des

       Buches hier und da im Wege stehen könne.

       Herrn Dr. S c h a d e , welcher so freundlich war,

       die sämmtlichen Correcturen mit seltener Genauigkeit

       zu lesen, herzlichen Dank.

       J e n a , im Sommer 1857.

       August Schleicher.

       Fußnoten

       1 Norske Folkeeventyr af Asbjörnsen og Moe, 2.

       Udg. Christiania 1852 bieten mehrere, bisweilen

       schlagende Parallelen zu den litauischen Märchen.

       Einzelne Züge des lit. Märchens vom Bartmännchen,

       nämlich die Anzal der Drachenhäupter, das Stärkewaßer

       u.a. finden sich wieder in Nro. 27 des angef. Werkes:

       Soria Moria Slot; ähnlich verhält es sich mit dem

       lit. Märchen von der schönen Königstochter gegenüber

       von Nro. 19, Kari Træstak der norwegischen

       Sammlung, ferner mit dem Märchen vom schlauen

       Jungen und Nro. 34, Mestertyven; die Heilkraft der

       Löwenmilch, von der im lit. Märchen von den Räubern

       und der einem Drachen versprochenen Prinzessin

       die Rede ist, wird auch erwähnt in Nro. 60 (58), det

       blaae Baand; Nro. 44, Tommeliden beut jedoch,

       außer dem Däumling selbst, kaum etwas dem litauischen

       Märchen vom Däumling verwandtes. Dagegen

       entsprechen sich mehr oder minder folgende: das lit.

       Märchen vom faulen Mädchen und Nro. 13, de tre

       Mostre; wer kann beßer lügen? und Nro. 39, Askeladden,

       som fik Prindsessen til ad lögste sig; vom armen

       Taglöhner, der sein Glück machte, und Nro. 7, om

       Gutten, som gik til Nordenvinden og krævede Melet

       igjen; vom Schmiede der den Teufel dran kriegte, und

       Nro. 21, Smeden, som de ikke turde slippe ind i Helvebe;

       vom Bauer, der ein sehr großer Schelm war,

       und Nro. 54 (53), Store-Peer og Besle-Peer. Varianten

       und Nachweis verwandter Märchen anderer Völker

       findet man bei Asbjörnsen und Moe in den Anmerkungen.

       Die Grimmsche Sammlung deutscher

       Märchen beut ebenfals des verwandten und vergleichbaren

       viel und vielleicht in noch zalreicheren Beispielen;

       überhaupt stehen die litauischen Märchen den

       deutschen (und nordischen) sehr nahe, so viel läßt

       selbst die kleine Sammlung, die ich in diesem Buche

       biete, deutlich erkennen.

      Kapitel 1

      1.

       Märchen

       Vom schlauen Mädchen.

       Es fuhr einmal ein Herr und ein Kutscher, und sie

       kamen zu einem Hause und da spann ein Mädchen.

       Der Herr schickte den Kutscher zu dem Mädchen, um

       etwas zu trinken aus dem Hause zu holen, aber das

       Mädchen sagte ›Bärtiges (d.h. alus, Hausbier; man

       denke an die Grannen der Gerste) habe ich nicht, und

       das aus dem Stillen gelaufene (d.h. Waßer) wird er

       vielleicht nicht trinken.‹ Der Herr aber, der das hübsche

       Rätsel zu lösen wuste, sagte zu ihr ›Bist du so

       schlau, so werde auch ich so schlau sein. Wenn du zu

       mir kommen wirst, weder nackt noch bekleidet, weder

       zu Pferd noch zu Fuße noch zu Wagen, weder auf

       dem Wege noch auf dem Fußpfade noch neben dem

       Wege, im Sommer und zugleich im Winter, so werde

       ich dich heiraten.‹ Da entkleidete sie sich und hieng

       sich ein Netz um und setzte sich auf einen Geißbock

       und ritt zum Herren hin immer im Fahrgeleise und

       gieng in einen Wagenschuppen und stellte sich da

       zwischen einen Schlitten und einen Wagen. Jetzt war

       sie gekommen weder nackt noch bekleidet, weder zu

       Pferd noch zu Fuße noch zu Wagen, weder auf dem

       Wege noch auf dem Fußpfade noch neben dem Wege,

       im Sommer und zugleich im Winter. Aber der Herr

       wollte sie nicht heiraten und schickte sie nach Hause

       und ließ ihr abgekochte Eier bringen. Diese Eier sollte

       sie von einer Henne ausbrüten laßen. Das Mädchen

       aber kochte Gerstenkörner ab und schickte sie dem

       Herren hin, die sollte er säen; wenn sie keimen und

       grünen würden, da würde sie auch die Hünchen ausbrüten

       laßen. Da sagte der Herr ›Diese Gerstenkörner

       werden freilich nicht keimen und du wirst keine Grütze

       für jene Hünchen machen können.‹ Da muste er sie

       heiraten.

       Darnach kamen drei, die im Streite mit einander

       lagen, zu dem Herren, um sich Recht zu holen; der

       Eine hatte eine Peitsche, der Andere einen Wagen und

       der Dritte eine Stute, und die Stute hatte ein Folen.

       Sie stritten sich nun: der Eine sagte ›Das ist das Folen

       meiner Peitsche;‹ der Andre sagte ›Das ist das Folen

       meines Wagens;‹ der Dritte sagte ›Das ist das Folen

       meiner Stute.‹ Der Herr aber war nicht im Stande,

       ihren Streit zu schlichten. Da sandte er zu seiner Frau;

       diese hieß sie