August Schleicher

Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder


Скачать книгу

Aschenbrödel und

       brachte es ihm, und so oft sie es ihm brachte, warf er

       es ihr jedes Mal nach den Fersen. Darauf bat sie ihre

       Herrin, sie möge sie doch hier und da ein Mal nach

       Hause gehen laßen; sie gieng aber nicht nach Hause,

       sondern zu jenen Steinen, und wenn sie in die Nähe

       der Steine kam, da thaten sich die Steine wieder auf

       und es war wieder eine Stube, und sie zog dann stets

       ihre prächtigen Kleider an, und es kam alle Mal eine

       Kutsche gefahren, in die setzte sie sich und fuhr in die

       Kirche. Der Schreiber aber war auch in der Kirche,

       und er sah dort das wunderschöne Mädchen und kam

       deshalb den zweiten Sonntag wieder in die Kirche,

       und das Mädchen war auch wieder da. Aber ihre Herrin

       hatte ihr gesagt, sie müße eher nach Hause kommen

       als der Schreiber. Eines Tages jedoch verspätete

       sie sich, und da sie nicht mehr Zeit hatte ihre prächtigen

       Kleider abzulegen, zog sie zu Hause Alltagskleider

       über jene prächtigen an. Da ließ sie der Schreiber

       durch den Bedienten rufen: sie solle kommen und ihm

       den Kopf absuchen2, aber sie wollte nicht und sagte

       ›Man hat meiner bisher noch nie bedurft, und man bedarf

       meiner auch jezt nicht.‹ Als aber der Bediente

       zum zweiten und dritten Male sie rief, da muste sie

       doch gehen. Wie sie ihm nun den Kopf absuchte, da

       durchsuchte er ihre Kleider und kam bis zu jenem

       Mantel. Und als er den Kopf von ihren Knien erhob,

       da riß er ihr das Kopftuch vom Kopfe und erkannte

       sogleich in ihr seine Schwester. Darauf verließen

       beide das Gehöfte, aber niemand wuste, wohin sie

       giengen.

       Fußnoten

       1 Die Erzählerin nennt ›Steine‹ was wir ›Felsen‹ nennen

       würden. Eigentliche Felsen sind in Litauen nicht

       vorhanden, wol aber gibt es große Massen erratischer

       Blöcke, und diese hat wol die Erzählerin vor Augen.

       2 Diese Liebeserweisung ist in den litauischen Märchen

       die gewönliche Einleitung von Erkennungsscenen.

       Vom trägen Mädchen.

       Eine Frau hatte eine sehr faule Tochter, die zu keiner

       Arbeit Lust hatte; da führte sie sie auf einen Kreuzweg

       und auf dem Kreuzwege prügelte sie sie durch.

       Da fuhr ein Herr des Weges daher, und das war ein

       Edelmann, und er fragte, weshalb sie das Mädchen so

       prügele. Sie sagte ›Herrchen, sie ist eine solche Arbeiterin,

       ja sie kann uns das Moos von der Wand ab

       spinnen.‹ Da sagte der Herr ›Ei da gib sie nur mir, ich

       habe zu Hause genug zu spinnen.‹ Da sagte die Frau

       ›Nehmt sie nur mit, nehmt sie nur mit, ich will sie

       nicht mehr.‹ Wie nun der Herr mit ihr nach Hause

       kam, da stopfte er ihr den ersten Abend ein ganzes

       Faß voll Werg1 und führte sie in eine Stube allein.

       Jetzt ward es ihr angst: ›Spinnen mag ich nicht und

       kann ich nicht.‹ Da kommen des Abends drei Laumes

       daher und klopfen ans Fenster und das Mädchen ließ

       sie schnell ein. Die Laumes sagten ›Wirst du uns auf

       deine Hochzeit laden, so wollen wir dir heute Abend

       spinnen helfen.‹ Schnell erwiderte sie ›Spinnt nur,

       spinnt, ich werde euch laden.‹ Da spinnen denn die

       Laumes den ersten Abend das ganze Faß leer: das

       faule Mädchen schlief stets, die Laumes spannen. Am

       Morgen kam der Herr nachsehen: das Mädchen das

       schlief und die ganze Wand des Zimmers hieng voll

       Gespinnst. Da ließ der Herr niemanden in das Zimmer

       des Mädchens, damit sie recht ausschlafen könne

       nach so großer Arbeit. Und den anderen Tag stopfte

       er ihr ein eben so großes Faß voll Flachs. Die Laumes

       erschienen wieder und es begab sich wie am ersten

       Abende. Da hatte der Herr nichts mehr zu spinnen

       und er sprach ›Jetzt will ich dich heiraten, da du eine

       so vortreffliche Arbeiterin bist.‹ Den Tag vor der

       Hochzeit sagte das Mädchen zum Herrn ›Ich muß

       noch gehen meine drei Tanten einladen.‹ Und der Herr

       ließ sie gehen. Als sie nun kamen und sich hinter den

       Ofen setzten, da kam der Herr um sie an zu sehen und

       als er sie sah in ihrer Häßlichkeit, da sagte er zu seinem

       Mädchen ›Aber deine Tanten sind sehr unschön.‹

       Und die eine Laume fragte er, weshalb sie solch lange

       Nase habe. Sie erwiderte dem Herrn ›Herrchen, das

       ist von dem starken Spinnen; wenn man immer spinnt

       und der Kopf so nickt, da dehnt sich die Nase so stark

       in die Länge.‹ Da fragte er die andere, weshalb sie so

       dicke Lippen habe. Sie erwiderte dem Herrn ›Herrchen,

       das ist von dem starken Spinnen; wenn man

       immer spinnt und immer nezt, da werden die Lippen

       so dick.‹ Da fragte er die dritte, weshalb sie einen so

       ungefügen Steiß habe. Sie erwiderte dem Herrn ›Herrchen,

       das ist von dem starken Spinnen; wenn man

       immer spinnt und immer sitzt, da wird der Steiß so

       ungefüge.‹ Da überkam ihn die Angst, seine Gemah-

       lin könne vom Spinnen eben so häßlich werden, und

       schnell warf er den Rocken in den Ofen.

       Fußnoten

       1 In Litauen Heede genannt, grober, schlechter

       Flachs.

       Vom schlauen Jungen.

       Es waren einmal zwei Brüder; der eine, ein sehr reicher

       Mann, war Kaufmann in der Stadt und kinderlos,

       der andere aber war ein armer Teufel auf dem Lande

       und der hatte drei Knaben, aber er war so arm, daß er

       nicht einmal etwas zu eßen hatte. Da gedachte einst

       der reiche seines armen Bruders, ließ sich die Pferde

       vor den Schlitten spannen, denn es war zur Winterszeit,

       packte für die drei Jungen der Reihe nach Kleider

       ein und fuhr hin zu seinem Bruder. Als er hin gekommen,

       hielt er vor der Thüre und sein Bruder kam