Simone Lilly

Fall eines Engels


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und flinker in all ihren Bewegungen.

       Heute hatte er den Beweis erlangt, dass dem nicht so war. Der Oberste behandelte keinen gleich, immerhin war Raphal gerade zu ihm zitiert worden, und zwar allein er.

      Kurz vor einer riesigen Wolkenwand warteten sie auf ihn, packten ihn und schoben ihn durch sie hindurch. Hart landete Raphal auf dem Boden, in einem großen Raum. Ewig weit und strahlend hell und freundlich. Es waren keine einfachen Wolken. Sie wirkten undurchdringlich. Er überlegte. Wenn sie schon nichts von den einfachen Menschen unter ihnen mitbekamen, wie musste es dann dem Obersten ergehen?

       Ein Rütteln glitt über seinen Körper. Die Wächter hinter ihm gingen selbst in die Knie, packten ihre Schwerter, rammten sie in den Boden, umklammerten sie feste und drückten ihre Stirn gegen die Griffe. Bewegungslos warteten sie. Ängstlich ging auch Raphal tiefer nach unten, fast schon konnte er den Boden mit seinem Gesicht berühren. Zitternd hörte er die schweren Atemzüge der Wächter. Sie übertönten das laute Pochen seines Herzens. Wann sagte endlich jemand etwas? Zu warten war das Schlimmste auf der Welt, besonders wenn man auf etwas wartete, das man nicht kannte. Erst recht wenn das auf das man zu warten hatte, der Oberste war.

      Stunden nach ihrer Ankunft so schien es ihm, regte sich endlich etwas. Alle hielten den Atem an. Schwere Schritte drangen zu ihm, blieben schließlich vor ihm stehen, als eine tiefe Stimme ihm befahl sich zu bewegen. "Du darfst dich aufrichten.".

      Ohne auch nur einen Blick aufrichten zu müssen, wusste Raphal wem diese harte Stimme gehören musste. Wie aus einer anderen Welt klang sie in seinen Ohren wider. Gar nicht nervend, sondern wohltuend. Streng und angsteinflößend, dennoch schön.

      Der Oberste wurde ungeduldig. "Erhebe dich"

      Sofort gehorchte Raphal und schaffte es das erste mal und vermutlich auch als Einziger dem Obersten Auge in Auge ins Gesicht zu sehen. Seine Gestallt war groß, schimmernd, greller noch als die Sonne. Jede einzelne seiner Federn funkelte so golden, als bestünde sie aus einzelnen Goldstücken, von Engeln Stück für Stück auf das Gefieder geklebt. Der Oberste hielt sein verdattertes Starren wohl als Begrüßung genug und ging einfach von ihm fort, kehrte seinen immer noch knienden Wächtern den Rücken. Raphal blieb zurück. Sollte er ihm folgen? Durfte er das einfach? In einiger Entfernung blieb er stehen. Anscheinend schon. Erst als Raphal ihn eingeholt hatte, setzte er seinen Spaziergang fort und musterte Raphal aus den Augenwinkeln von Oben bis Unten.

      "Was starren Sie so?"

      Nur über Raphals Frage lächelnd winkte er ab. Erst bei dieser Bewegung fiel ihm auf, dass auch sein Haar in tiefem Gold schimmerte. "Raphal ich schätze dich wirklich. Ich kenne dich nur zu gut, kenne deine vorlaute Art und deine Angewohnheit zu sprechen wann immer du es möchtest.", wieder lachte er auf. "Ganz gleich ob es angebracht ist oder nicht. Deshalb werde ich darüber hinwegsehen."

      "Worüber?"

      Er überhörte seine Frage. "Doch sollst du eine Antwort erhalten. Ich starre so, da ich ... mehr erwartet hatte.", bei diesen Worte deutete er mit beiden Armen an ihm hinunter. "Mehr in Statur und mehr in Können für jemanden, der die Engel in den Krieg führen soll."

      Augenblicklich blieb er stehen. Der Oberste tat es ihm nach. Schmeichelnd, bedachte man, dass jemand wie der Oberste seinen Bewegungen folgte. "Mehr? Anführen?"

      "Raphal.", ernst kam er an ihn heran. "Glaub nicht ich wüsste nicht um deine Schwächen. Immer möchtest du dem Ärger aus dem Weg gehen. So sehr, dass du dafür sogar deinen Bruder verraten würdest."

      Betreten blickte er zu Boden.

      "Ebenso wie ich deine Schwächen kenne, kenne ich auch deine Stärken. Früher als du sie kennst und ich sage dir: Kämpfe. Nicht um sonst bist du der Bruder eines Teufels. "

      "Spielen Sie auf die Prophezeiung an?"

      Stumm nickte er und setzte einen Fuß vor den Anderen. Vor ihnen war nichts, nichts außer weiße Wolken, als liefen sie gegen eine dicke Wand. "Versteh mich nicht falsch. Das Volk ist mir Untertan, die Engel wie auch die Teufel. Sie sind vor mir alle gleich. Trotzdem habe ich mich zu einem Krieg entschieden."

      "Wieso? Ein Krieg bedeutet viele Opfer?"

      "Das mag schon sein, aber jedes Opfer kann das Leben zum Besseren wenden."

      "Das verstehe ich nicht."

      So als wäre Raphal mehr als dumm in seinen Augen, hielt auch der Oberste inne und drehte sich vollständig zu ihm um, schüttelte den Kopf und wies direkt nach unten. "Ein Beispiel: Unerlaubt wie es ist seid ihr auf die Erde, ward dort gefangen. Aber in eurer Not seid ihr euch nähergekommen. Verstehst du jetzt?"

      "Nein."

      "Jedes Schlechte .... also das Opfer eines Engels ... bewirkt etwas Gutes!"

      Er war ungeduldig, jeder konnte das erkennen, selbst die Wächter weit hinter ihnen. Raphal aber konnte nichts gegen seine Begierde mehr zu erfahren tun. "Und dieser Krieg birgt das Gute? Wozu soll er gut sein?"

      Sachte klopfte er ihm auf die Schulter. "Sagen wir es so: ich möchte verirrte Engel auf den richtigen Weg bringen."

      "Engel? Nicht die Teufel?"

      "Nein Raphal. Teufel sind besser als du denkst."

      Ergeben senkte er den Kopf.

      "Jetzt geh. Übe. Trainiere zu kämpfen. Führe sie in die Schlacht. Du wirst siegen!"

      Keinem hatte Raphal von seiner Unterhaltung mit dem Obersten erzählt. Wer hätte es ihm denn auch geglaubt? Für verrückt hätte man ihn erklärt, gleich nachdem er den Mund geöffnet und seine Stimme erhoben hätte.

      Wie hatte er es gesagt? "Du musst kämpfen? Sie sollten es üben?"

      Genau das wollte er tun. Gleich am nächsten Tag, nachdem er nur dürftige Worte mit Merlina gewechselt hatte, machte Raphal sich auf den Weg.

      Es war noch dunkel, die Wolken begannen sich nur zögerlich zu verfärben. Instinktiv kannte er nur einen, den er aufsuchen konnte. Nur einer, der ihm Glauben schenken würde. Und einer, der sich damit auskannte, richtig vorzugehen. Rumos. Der Engel war ein regelrechter Held. Damals hatte er Raphal in der Schule unterrichtet. Nicht im Kampf, sondern im Fliegen. Schnell und wendig. Alleiniger Meister war nur Rumos selbst darin.

      Sachte klopfte er an seine Tür. Sofort wurde ihm geöffnet.

      Rumos tat alles so ruckartig, als wäre er noch immer in einer Armee. Wünschte er sich vermutlich auch.

      Die Augen seines ehemaligen Lehrers huschten erstaunt über Raphal Miene. "Was willst du hier? Um diese Zeit?"

      "Mit dir sprechen."

      "Kann das nicht warten?"

      "Nein."

      Eine Augenbraue schoss fragend nach oben. Sicherlich musste Rumos sich fragen was denn geschehen war und ob Raphal den Verstand verloren hätte. Andererseits kannte er die Prophezeiung, wusste, das Raphal Teil davon war. Aufgrund der seltsamen Vorgänge, die von statten gingen, lies er ihn ein. Nur aus diesem Grund, denn während Raphal sich den engen Gang hindurch quälte und Rumos die Tür ins Schloss schob, folgten ihm seine Augen mehr als misstrauisch.

      "Setz sich.", befahl er ihm kurz und rückte einen Stuhl an ihn heran.

      "Danke."

      Nachdem beide sich gesetzt hatten, saßen sie sich wenige Sekunden sinnlos gegenüber.

      "Möchtest du etwas trinken?", fragte Rumos wenig interessiert und gab Raphal erst gar nicht die Gelegenheit zu antworten. "Also sprich was möchtest du?", hart verschränkte er die Arme vor der Brust.

      Am überlegen ob er nicht doch etwas trinken wollte und wie er beginnen sollte, entschied Raphal sich einfach dazu zu reden. "Wir müssen etwas tun."

      "Gegen?"

      "Gegen die Teufel."

      Schwer lag das Wort in der Luft. "Sprich weiter."

      Das tat er. "Ich weiß es mag seltsam klingen, nicht zuletzt