Simone Lilly

Fall eines Engels


Скачать книгу

wollte er nicht mit ihm sprechen. „Das geht dich nichts an.“

      Der Mann streckte ihm seine große Hand entgegen, doch Adral schlug aus. „Ich bin Rachmiel. Und du?“

      „A …“, kurz überlegte er. „Adral.“

      Wortlos nahm Rachmiel dieselbe Haltung an. Nebeneinandersitzend glich einer dem anderen wie dessen eigenes Spiegelbild. Beide hatten schwarze Haare, Flügel und Augen. Keiner sagte etwas.

      In Adral regte sich etwas. Das war die Gelegenheit endlich mit einem von seinesgleichen zu sprechen. Ihn etwas zu fragen, alles, seine Herkunft und Meinung gegenüber Engeln.

      Vorsichtig spähte er zur Seite, wurde aber sofort vom aufmerksamen Rachmiel gesehen. „Die anderen kommen gleich“, sagte er nur, wobei er wusste, dass Adral keine Ahnung hatte, wovon er überhaupt sprach.

      „Welche anderen?“

      Rachmiel hob einen Finger und wies hoch über ihre Köpfe. Erst dort konnte Adral viele schwarze Punkte erkennen, langsam und gleichmäßig bahnten sie sich ihren Weg durch die orangene Wolkendecke.

      Leichtfüßig fassten sie Fuß und taten nichts anderes, als Adral die Hand zu reichen, so als wären sie die engsten und ältesten Freunde. „Ich bin Damina“, stellte sich eine dünne Frau vor und drückte seine Finger kräftig zusammen.

      Sie trat zur Seite und ließ gleich zwei gleichaussehende Männer an ihn herantreten. „Wir sind Luniar und Amiral.“

      „Adral“, gab er knapp zurück und nahm seine Hand wieder an sich. Fast als wäre er angeekelt. Dabei konnte er sein Glück kaum fassen.

      Alle drei setzten sich.

      „Ich habe Adral hier gefunden“, erklärte Rachmiel kurz und bündig. „Was heißt gefunden, ich habe ihn gesucht … und letzten Endes entdeckt.“

      Erschrocken blickte er auf. „Ihr … ihr habt mich gesucht? MICH? Warum?“

      „Du brauchst uns nicht so angsterfüllt ansehen, Adral“, Daminas Hand ruhte sanft auf seinem Knie. Wäre er nicht in Gedanken bei Merlina, bei ihrer unvergleichbaren Schönheit, ihm hätte diese Berührung gefallen. Nicht so aber. „Wir haben dich gesucht – ja. Aber wir wollen dir nichts Böses.“

      „Pah! Wenn man so ist wie ich und „gesucht“ wird, verheißt es nie etwas Gutes.“, in Rage blickte er um sich. „A … ber das wisst ihr sicherlich auch. Es bedeutet nur Hohn, Spott und Schmerzen, wenn sie dich erwischen.“

      Alle nickten.

      Luniar strich sich durch die lockigen Haare, legte sie hinter sein Ohr und rümpfte die Nase. „Den Grund wollen wir dir gerne erklären.“

      Hin und hergerissen überlegte er. Sollte er einfach davonfliegen? Es wäre leicht sich schnell vom Boden abzustoßen und dann verschwunden zu sein. Seine Neugier siegte. „Na schön. Wo sollen wir hin?“

      Alle waren verwundert. Rachmiel winkte lachend ab. „Du denkst doch nicht wir hätten ein Geheimversteck, wir sind keine Verbrecher oder so etwas, falls du das denkst.“

      „Wozu braucht ihr mich dann?“

      Rachmiels breites Grinsen erstarb, seine Mundwinkel zuckten zusammen. „Wir brauchen dich, ist etwas zu leicht gesagt. Du sollst – nein MUSST uns helfen.“

      „Wobei?“

      „Nicht so voreilig, wir erzählen dir doch alles.“

      Wartend verschränkte er die Arme und lehnte sich auf seine aufgestellten Füße, sie kribbelten unangenehm.

      Schnell versuchte Damina ihn bei Laune zu halten. „Du kennst doch die alte Sage, oder?“

      Das war leicht gesagt, ihr ganzes Volk bestand nur aus Sagen und Mythen.

      „Ich meine diejenige über unsere lange Fehde, über die, die uns erst zu dem machte, was wir heute sind?“

      „Du meinst die große Schlacht?“

      Sie nickte, wobei sie aus Übermut eine lange Strähne ihrer kohlrabenschwarzen Haare verschluckte und genervt hustete. „Genau, die, über das ungleiche Geschwisterpaar, Bruder und Schwester, welche sich bis aufs Blut hassten, sich eines Tages als erbitterte Feinde gegenübertraten und übereinander herfielen.“

      „Ja natürlich, wer kennt sie nicht.“

      Alle Augen ruhten auf ihm, zuerst verstand Adral nicht wirklich was sie von ihm wollten, als ihre Blicke aber immer durchdringender wurden, wurde ihm seltsam zumute.

      „Du hast einen Bruder, Adral, oder etwa nicht?“, fragte Rachmiel vorsichtig, wobei seine Stimme erregt zitterte. „… einen ungleichen Bruder.“

      „Stop!“, ungehalten knallte er gegen Amiral, der ebenso wie er es getan hatte, schnell auf die Beine gesprungen war, fast so als wolle er ihn festhalten. Barsch zwang er Adral dazu mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu bleiben. „… ihr verlangt doch nicht von mir, dass ich meinen Bruder verrate?“

      „Aber du weißt, dass ihr die lang herbeigesehnten Brüder seid? Die Geschwister, die Wiedergeburt der …“

      „Ich will es gar nicht wissen!“, besänftigend hob er die Arme. Allein gegen vier Teufel würde er niemals standhalten können. „Ich habe oft von Himmelsmenschen wie euch gehört, von solchen die meinten, es gäbe eine Wiedergeburt und die Rache der Besiegten. Aber das ist doch nicht wahr. Es ist eine Sage, ein Mythos, ein Märchen.“

      „Es ist wirklich geschehen.“

      Hilfesuchend sah Adral sich um, wie schön wäre es jetzt einfach davonlaufen zu können, sein Puls wurde schneller, ihm wurde heiß um die Ohren. Würden sie auf ihn losgehen, wenn er sie als verrückt bezeichnete?

      „Adral du verstehst uns falsch, wir WOLLEN keinen Kampf, aber eure Geburt ist ein Zeichen dafür, dass es zu einer Schlacht kommen MUSS.“, wieder näherte sich Damina, so nah, dass Adral weiter nach hinten stolperte. „Wir wollen Gerechtigkeit, die Engel nehmen uns alles. Manchmal unser Hab und Gut, unsere Rechte, unsere Würde und …“

      „… unsere Frauen“, vollendete Adral den Satz und ballte wütend die Fäuste.

      Rachmiel hielt überrascht inne und kam nicht mehr auf ihn zu. „…. Ja die auch …“

      „Ihr wollt also einen Kampf?“

      „Er ist nötig.“

      Adral wurde nachsichtiger und setzte sich sogar wieder. „Ihr wollt, dass ich meinen Bruder verrate, ihn hintergehe und für unser Recht einstehe?“

      Sie nickten einträchtig. „Ja, als unser Anführer.“

      Anführer, das Wort gefiel ihm, noch nie hatte er jemanden angeführt. Nirgends, nicht in der Schule, nicht in seiner Familie und auch sonst nicht.

      Ich könnte es Raphal heimzahlen. Ein schelmisches Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Seine Augen begannen fanatisch zu leuchten. Er wäre ein Freiheitskämpfer, würde den Teufeln zu einem besseren Leben verhelfen, würde sie befreien, würde für sie zum Helden werden.

      „Aber ihr tötet sie nicht oder?“, seine Frage klang ängstlich, erst recht, da er an Merlina dachte, auch sie gehörte zu den Engeln, und er könnte es nicht ertragen ihr Leid zuzufügen.

      „Du bist unser Anführer, Adral, du bestimmst.“

      „Gibt es noch mehr von euch, ich meine welche, die genauso denken?“

      Sie nickten. „Nahezu alle. Wir warteten nur auf ein Zeichen, wir warteten auf dich.“

      Die Gruppe hatte nicht lange auf Adral einzureden, er wusste auch so, dass sie recht hatten mit allem was sie gesagt hatten. Sie mussten sich wehren es konnte nicht sein, dass die Teufel ein Leben lang unterdrückt wurden, ohne Grund! Was waren die Engel schon? Sie waren schwächer, sie waren sogar langsamer. Das schwarze Gefieder um einiges robuster als das Weiße.

      Also, waren sie ihnen