Simone Lilly

Fall eines Engels


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aufrichtete. Doch er scherte sich nicht um die Frage seines Bruders, was ging ihn das an, er hatte doch was er wollte, er hatte Merlina. Traurig setzte er einen Fuß vor den anderen. Fort, er wollte einfach nur fort.

      „Du kannst fliegen.“

      Fluchend spie Adral einfach neben sich, zu viel Rotz und Speichel hatten sich in seinem Rachen gebildet, die Tränen wurden stärker, es bestand die Gefahr noch vor Raphal und Merlina einen erbitterten Weinkrampf durchstehen zu müssen. „Ich … weiß, dass ich das kann! Aber das interessiert dich doch nicht!“

      „Aber Adral …“

      „Aber Adral …“, äffte er ihn kindlich nach, stieß sich vom nassen Boden ab und fuhr in die Höhe. Sollten sie doch bleiben wo sie wollten, er käme schon zurecht, und wenn nicht würde niemand sich um ihn sorgen.

      Dass Raphal immer im Vordergrund stand, brachte für Adral nur einen Vorteil: er selbst blieb in seinem Schatten, unerkannt und unbeachtet. Und doch konnte Adral manchmal so viel Interesse an seinem ungeliebten Bruder aufbringen, dass er wusste: er verbarg etwas vor ihnen.

      Stundenlang flog er sinnlos durch die Lüfte, blieb stumm in seinem Zimmer und redete mit keinem ein Wort. Anfangs, als er Merlina kennengelernt hatte, war ihm Raphals Verhalten egal gewesen, dachte er seitdem doch nur an ihr freundliches Wesen. Die Tatsache, dass sie ihn liebte – mochte – obwohl er ein Teufel war, war ihm eine Freude. Als er sich mit ihr unterhalten hatte, hatten ihn keine Gefühle wie, Scham oder Furcht geplagt. Leichtigkeit und Wärme an ihrer Statt. Im Moment als er Raphals Sorgen, sein Geheimnis entdeckt und sie mit ihm gesehen hatte, zerstörte dessen Wichtigkeit im Leben aller und im Leben Merlinas seine Hoffnung mit einem eisigen Fausthieb. Jene Hoffnung auf eine tiefere Bindung mit ihr. Zum Kampf herausfordern hatte er nie beabsichtigt. Wie denn auch? Dazu fehlte Adral der Mut. Geschehen war es nur aus einem Impuls heraus. Schon wieder hatte er gegen einen Engel verloren. Es war genug. Mehr konnte er einfach nicht ertragen.

      „Was ist mit ihr?“. Es war seine Mutter, die sich ihm näherte. Längst hatte sie das Zerwürfnis zwischen ihren Söhnen bemerkt. „Liebtest du sie denn?“

      Traurig kauerte Adral auf seinem Bett, sah perplex aus dem Fenster und verfluchte die Welt, in die er geboren worden war. ernst schüttelte er den Kopf, als seine Mutter sich zu ihm aufs Bett setzte,. „Nein noch nicht. Aber ich wollte es zu gerne.“

      Mitfühlend nickte sie und begann seine Schulter zu tätscheln. „Einen Engel zu lieben ist wohl nur deren Privileg.“

      „Gewiss.“, pflichtete sie ihm bei und blickte ihm tief in die Augen. „Adral, lass dich nicht so mit Hass erfüllen. Engel sind Engel, wir sind wir. Darauf kommt es an. Sei du selbst. Deines Glückes Willen.“

      „Ach, was redest du denn da?“

      Immernoch mehr als geduldig reichte sie ihm ein Tuch. Nur zögerlich nahm er es entgegen und wischte sich eine aus seinem Augen kullernde Träne von der Wange. „Ich rede es, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, gegen einen Engel zu verlieren. Und ja, es ist unrecht, das muss mir keiner erst sagen, das habe ich Jahre lang durchmachen müssen. Ebenso wie dein Vater.“, wieder rückte sie an ihn heran und strich routiniert ein zerknautschtes Kissen auf der Matratze glatt. „Überlege mal, wem schadest du damit? Mit deinem Hass und Groll? Raphal? Dem Mädchen? Nein, keinem. Nur dir selbst. Akzeptier das und du wirst besser leben. Versteh doch. Raphal will dir nichts böses, er kennt es nicht anders, es ist unser Volk, das ihm sein Glück zueigen macht, nicht er selbst. Und er möchte bestimmt nicht dein Unglück.“

      Belächelnd warf er das Tuch in die gegenüberliegende Ecke. Es begann langsam dunkler zu werden. Große Wolken zogen sich zusammen. „Ach ja? wieso nur tut er es mir dann immer an? Als ich so verwundet war Mutter, stand er bei mir, doch wollte er mir nicht helfen.“, stur verschränkte er die Arme vor der Brust. „Ja es ist richtig. Er möchte mir kein Leid antun. Hilft mir aber auch nicht und was das Schlimmste ist, das weiß ich, würde man es von ihm verlangen, würde er nicht nur daneben stehen, sondern eigenhändig auf mich einschlagen, so wie es die anderen tun.“

      Von seinen Worten erschrocken wich seine Mutter von ihm. Es donnerte einmal laut über ihnen auf. „Niemals würde er das zulassen! Ich kenne ihn.“

      „Aber ich kenne ihn besser, Mutter!“

      Aufgebracht darüber, selbst von einem Teufel nicht verstanden zu werden, kletterte er auf den Fenstersims, bereit, sich einen anderen Ort für seine Trauer zu suchen. „Hör auf dir alles schön zu reden. Wir sind verflucht, wir alle. Verdammt dazu ein Leben als deren Sklaven zu fristen, und wir sind dabei dies unter Raphal zu tun!“

      Hin und her.

      Idiot.

      Wieder schwang er sich herum und stob wieder zurück. So ging es schon seit mehreren Stunden. Er konnte sich einfach nicht beruhigen. Unter ihm waren viele andere Menschen zu sehen, eine Mutter mit ihrem Kind, es weinte, anscheinend hatte es nicht bekommen was es wollte. Schreiend hatte es sich vor einem Spielzeugladen auf den Boden fallen lassen, schlug mit den kleinen Händchen auf die Erde und rührte sich nicht.

      Tränen vernebelten seine Sicht, mehr noch als die hauchzarten Wolkenschleier, welche ihm ab und an daran hinderten einen freien Blick auf die Stadt unter ihm zu werfen. Er flog viel zu weit oben, das wusste er, am liebsten wäre er noch weiter hinaufgestiegen. Doch es war schwer, schon jetzt merkte er, wie eine eiserne Hand sich um seine Lungen legte. Schwache Blitze tanzten vor seinen Augen. Das Gewitter schien sich zu legen.

      Von der abendlichen Luft umhüllt versuchte Adral ruhig zu atmen, seine Wut unter Kontrolle zu bekommen. Schaffen konnte er es aber nicht, ganz gleich wie oft er es noch versuchte. Sein Herz schmerzte, sein Brustkorb hatte sich zu einer engen Gasse verengt, er konnte nur schwer Luft holen, wann immer er es versuchte, drohten seine Rippen zu zerspringen. Die schwache Abendsonne brannte ihm in den Augen, schützend spreizte er seine Finger, die er sich vor die Augenhöhlen hielt. Von anderen ungesehen ging er in den Sturzflug über, fühlte wie seine Federn monoton und beruhigend im Wind rauschten. Der Boden kam näher. Schwer kam er auf ihm auf und ging sogleich weiter. Wohin wusste er nicht, nur soviel: er war weit außerhalb der Stadt. Hier war nichts mehr, nichts außer Wolken.

       Langsam sah er sich um, diesen Ort kannte er nicht. Warum nicht? Er war friedlich, hier hätte er vermutlich immer schon Ruhe vor Raphal und den anderen „Engeln“ gehabt.

      Getroffen sank er auf die Knie und verschränkte seine Beine in einen bequemen Schneidersitz. Es war unfassbar, wie hatte Raphal ihm das nur antun können? Er war sein Bruder, und hatte nicht Adral selbst ihm noch freudenstrahlend von seiner Begegnung mit Merlina erzählt? Voller Freude und feurigem Funkeln in den Augen?

      Sein Kopf fiel schwer auf seine Arme, immer wieder schüttelte er ihn fassungslos. Zugegeben, den Namen Merlina hatte er nicht erwähnt.

       Raphal hatte doch trotzdem gewusst wie viel ihm die Begegnung und auch seine Liebe zu ihr bedeutet hatte, allein schon die Tatsache, dass sie ein Engel war und ihn – ihn Adral zu mögen schien, sich ganz normal mit ihm unterhalten hatte, als wäre nichts zwischen ihnen, hatte ihn begeistert und in ihm schon im ersten Moment als er sie gesehen hatte, tiefe Gefühle für sie geweckt.

      Wütend schlug er auf den Boden. Aber wie immer bekam Raphal das Glück. Wie hatte er auch denken können, dass sich jemand wirklich für ihn interessierte? Ja, vielleicht würde es ein Teufel eines Tages, doch er wollte es nicht. Aus Trotz wollte er Merlina, der Welt und vor allem Raphal damit zeigen, dass Engel und Teufel sehrwohl miteinander leben konnten, einträchtig und verliebt.

      Aber Raphal hatte diese Schlacht gewonnen, wie genau wollte er gar nicht wissen. Es würde ihn nur noch mehr schmerzen, mehr noch als das Wissen, Merlina für immer an ihn verloren zu haben.

      „Weinst du?“

      Er ignorierte die Stimme, dachte wie immer, dass es Engel wären. Sie waren von weither gekommen, zu ihm um sich über seine missliche Lage lustig zu machen.

      „Sag doch was.“ Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Zuerst fühlte er sie gar nicht, doch als sie an seiner rauen Haut entlang rieb, hob er zaghaft den Kopf.