Michael Beilharz

Selfie


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bringen. Ich hatte keine Ahnung, in was für eine Scheiße ich da getreten bin – und zwar mit Anlauf und mit beiden Beinen voran!«

      »Malte, Sie haben mir gegenüber erwähnt, dass Menschen umgebracht wurden. Ich habe dafür zwar noch keinen Beweis, aber gehen wir einmal davon aus, dass es stimmt …«

      »Es stimmt!«, beharrte Malte.

      »… gehen wir also einmal davon aus. Sind Sie an dem Mord oder an den Morden irgendwie beteiligt?«, führte Jantina ihre Frage professionell fort.

      »Ja … und dann auch wieder nicht.«

      »Mit so einer Antwort kann ich nichts an­fangen. Wie meinen Sie das?«

      Malte überlegte kurz vor seiner Antwort: »Ich selbst habe niemanden umgebracht und ich habe auch niemanden angeheuert oder an­gestiftet oder unterstützt oder sonst irgend­etwas gemacht, jemanden zu ermorden. Aber ich hätte eventuell einen Mord verhindern können!«

      Noch bevor die Staatsanwältin ihre nächste Frage stellen konnte, fügte Malte hinzu: »Das meine ich damit.«

      »Ich hatte Ihnen vorhin eine Frage zu Ihren Kontakten zu Computer-Hacker-Gruppen ge­stellt, Sie wollten diese Frage nicht be­antworten. Falls Sie Kontakt zu solchen Gruppen haben sollten, was hätte dieser Kontakt oder was hätten diese Kontakte damit zu tun?«

      »In meinem Fall? Alles!«

      Jantina Alfering blickte Malte ungläubig an: »Was alles? Was meinen Sie damit?«

      »Das ist ja genau mein Problem! Ich werde es Ihnen nicht erklären können, ohne mich damit zu belasten …« Malte schaute die Staats­anwältin lange an, mit einem sehr tiefen und langen Atemzug fuhr er fort: »Aber … es muss wohl sein, ich kann zu dem, was ich getan habe, stehen. Wenn ich aber nun nichts tue, dann würde ich mir das nie mehr verzeihen können! Also muss ich alles erklären und erzählen.«

      Jantina griff über den Tisch und stoppte die Aufnahme. Mit ernstem Blick sah sie Malte an, ihre Augen funkelten etwas. Sie konnte sich auf das alles noch keinen Reim machen, und irgendwie fühlte sie sich unwohl, als wollte man sie verschaukeln oder ihr einen Bären aufbinden.

      Ihre Stimme klang nun sachlich, kalt und bitter ernst: »Malte, ich sage dir das Folgende nur ein einziges Mal. Merk es dir gut! Hörst du?« Malte begriff die Situation und ahnte, worauf sie anspielte. Er nickte ihr klar und deutlich zu. – »Ich warne dich nur einmal! Verarsch mich nicht!« Malte wiederholte sein Nicken.

      Er ließ die Aufnahme fortsetzen.

      Galilei

      »Ich muss zunächst erklären, wer ich noch bin. Ich bin nicht nur Malte Lichtermann, ich bin auch Galilei. Galilei ist mein Name in der Hackerszene. Ich gab mir den Namen, da ich mich schon immer für Astronomie interessiert habe und deshalb auch an der hiesigen Sternwarte als Assistent arbeite.

      Malte Lichtermann ist der Assistent an der Sternwarte – Galilei ist der Hacker und Lichtermanns Alter Ego.

      Ich arbeite alleine, sowohl tagsüber als Malte Lichtermann in der Sternwarte als auch nachts als Galilei zu Hause. Ich möchte betonen, dass ich mit meinen Hacker­aktivitäten noch niemals jemandem finanziell geschadet habe, ich lebe als Hacker meine Fantasien aus. Ich möchte nichts verharm­losen oder verniedlichen, aber mein oberstes Gebot ist, dass ich niemandem finanziellen Schaden zufügen werde, und das habe ich bis heute auch nicht getan.

      Ich bin ein digitaler Schlüsselloch-Spanner, ein Voyeur im Netz oder der Unsichtbare in deinem Computer, Pad oder Smartphone.

      Mich interessiert nur, ob ich in deine digitale Welt eindringen kann. Ist dies geschehen, dann sehe ich mich darin um, schaue nach privaten Bildern und Filmen, und falls ich solche finde, dann kopiere ich mir die für mich interessantesten Bilder oder Filme in mein privates Archiv; räume meine Spuren auf, verbessere manchmal deine Sicherheits­einstellungen und verlasse deine digitale Welt. Andere Inhalte interessieren mich nicht.«

      Jantina atmete tief und schwer ein. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie Malte an. Sie war nicht nur überrascht über ihn, sie war auch enttäuscht, und zwar von Malte und von sich selbst. Dass Malte ein Spanner ist, wollte sie nicht wahrhaben, und es fiel ihr schwer zu glauben, was sie gerade gehört hatte. Aber am meisten war sie über sich selbst des­illusioniert – sie hatte sich in Malte komplett getäuscht! Bei all ihrer Erfahrung, die sie in ihrem Beruf schon sammeln konnte und sammeln musste, hätte sie mit mehr Professionalität und Distanz agieren müssen. Sie wollte Malte als harmlosen und netten jungen Mann sehen und hatte sich einlullen lassen – so etwas darf einer Staatsanwältin nicht passieren!

      Zornig und mit Verachtung fragte sie: »Und von wie vielen digitalen Einbrüchen sprechen wir? Ich möchte mir ein Bild davon machen, in wie vielen Intimsphären Sie sich schon ›umgeschaut‹ haben.«

      Malte entging weder der Zorn noch die Verachtung in Jantinas Stimme.

      »Ich erwarte nicht, dass Sie oder irgend­jemand mich versteht oder gutheißt, was ich getan habe.«

      »Mich interessiert nicht, was Sie erwarten, Herr Lichtermann! Beantworten Sie einfach meine Frage!«

      »Das zum Thema: privates Protokoll und kein Verhör. Ging ja recht schnell. Vielleicht habe ich mich in Ihnen getäuscht? Aber …« Maltes Gesicht wurde wieder kühl und hart. Er reduzierte Gestik und Mimik auf ein Minimum: »… ich war schon immer ein lausiger Menschenkenner.«

      »Wie viele?«, wollte die Staatsanwältin un­barmherzig wissen.

      »Ich weiß es tatsächlich nicht genau, aber eintausend … mehr oder weniger … werden es wohl sein.«

      »Wie bitte?« In Jantina Alfering stürzte eine Welt zusammen, mit ratloser und leerer Stimme wollte sie mehr wissen: »Und w…« Sie bemerkte, dass ihre Stimme hohl und nichtssagend war. Sie räusperte sich und setzte zum zweiten Versuch an: »Und was haben Sie alles ›mitgehen lassen‹ oder ko­piert?«

      »Vieles. Ein paar Gigabyte.«

      »Genauer!«

      »Herrgott! Ich weiß doch nicht die genaue Anzahl der Dateien!«

      »Wo befinden sich diese Dateien?«

      »In meinem System.«

      »Sie meinen auf Ihrem Computer?«

      »Nein! Ich meine in meinem System. Hören Sie bitte, ich werde Ihnen alles zeigen, aber … kann ich fortfahren? Wir vergeuden wertvolle Zeit!«

      § 202a

      »Nein! Wissen Sie eigentlich, wessen Sie sich schuldig gemacht haben?«

      »Paragraph 202 a, auch Ausspähen von Daten genannt, richtig?«

      »Richtig!«, bestätigte die junge Staats­anwältin.

      »Frau Alfering, meinetwegen halten Sie mich für das größte und widerlichste Arschloch der Welt, das ist mir egal! Kann ich endlich fortfahren?«

      Jantina schaute Malte lange, ohne dass ihr ein Wort über die Lippen kam, an. Sie musste ihren Abscheu Malte gegenüber richtig einordnen, sie musste ihre Emotionen in den Griff bekommen, wieder sachlich und nüchtern denken und professionell handeln.

      »Fahren Sie fort.«

      Malte wiederholte mit genervter Stimme: »Ich bin also ein Voyeur, der sich als Hacker zu anderen Systemen Zugang verschafft.«

      »Das hatten wir schon!«, erwiderte Jantina Alfering ebenfalls genervt.

      Doch Malte setzte, davon unbeeindruckt, seine Erzählung fort: »Windows-Systeme sind lächerlich geschützt und bieten selbst für Anfänger keine große Herausforderung! Ich suchte nach neuen Herausforderungen. Zum einen spielt sich das digitale Leben der meisten nur noch auf deren Smartphones oder Tablets ab, und zum anderen waren iOS und Android für mich als Hacker eine neue Herausforderung. Mir war klar,