Michael Beilharz

Selfie


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ich mich auf iOS und Android.

      Wenn man in der Hackerszene unterwegs ist, kommt man leicht an Infos, die Apple und Google zu verheimlichen versuchen, da sie enorme Schwachstellen in deren Systemen offenlegen. Es dauerte keinen Monat, bis ich für beide Systeme sogenannte Demons entwickelt hatte, die – als Systemdienste getarnt – ständig liefen. Die Schwierigkeiten waren nur: die Demons in die Smartphones oder Tabs zu kriegen, den Energieverbrauch nicht signifikant zu steigern und die Daten zu mir zu bekommen.

      Ich machte mir zum einen die ungebremste Neugierde und das fast blinde Vertrauen in QR-Codes zunutze, und zum anderen musste ich neue Algorithmen entwickeln, um Bilder, Videos und Sprache bei noch akzeptabler Qualität aufzeichnen zu können und dabei die Dateien so klein wie möglich zu halten. Die Formate JPEG, MPEG und MP3 waren für mein Vorhaben viel zu groß, ich musste neue Formate kreieren, die maximal ein Drittel des Datenvolumens benötigten. So konnte ich den Speicher- und Energieverbrauch sehr gering halten und die Übertragung zu mir so schnell gestalten, dass es niemandem auffiel.

      Die Übertragung war ein weiterer Knackpunkt, denn: Wenn ich die gesammelten Daten auf einen Bereich gesendet hätte, den man hätte nachverfolgen können, dann wäre ich früher oder später leicht zu fassen gewesen.«

      »Und wie haben Sie das Problem gelöst?« Bei Jantina Alfering mussten Zorn und Ver­achtung der steigenden Neugierde und Fas­zination immer mehr Platz einräumen.

      »Das ist einfach, wenn man bestimmte Regeln einhält. Man richtet sich bei einem DynDNS-Anbieter unter falschem Namen, einer gefakten Mail-Adresse und über einen öffentlichen WLAN-Zugang eine DynDNS-URL ein. Dies…«

      »Moment! Ich verstehe rein gar nichts mehr! Wovon reden Sie da?«, wollte Jantina Alfering wissen.

      Malte blieb kühl und sachlich: »DynDNS ist ein dynamischer sogenannter Domain-Name- Server, der Eingaben, wie zum Beispiel www.staatsanwaltschaft.de eine sogenannte URL – in eine für Computer brauchbare Internetadresse umwandelt … in eine Zahlen­folge. Der Clou bei DynDNS-Anbietern ist, dass man die Zieladresse einer festen URL beliebig oft ändern kann – so kann man die Zieladresse für z. B. meine.geheime.url morgens auf diesen und nachmittags auf einen anderen Server umleiten lassen. Selbst wenn man die ›Viren‹ entdecken würde und herausfinden könnte, wohin die ihre Daten­pakete schicken, ist bei täglich oft wech­selnden Zieladressen ein Zugriff der Polizei oder irgendeiner anderen Behörde sehr un­wahrscheinlich. Mein System hat alle vier Stunden die Zieladresse geändert.«

      »Aber hinter der Zieladresse muss doch ein realer Computer, ein realer Server, erreichbar sein, oder?«

      »Ja … exakt!«

      »Das heißt, Sie mussten auf zig verschiedene Server Zugriff haben, oder sind das alles Ihre Server?«

      »Nein, heißt es nicht. Unter der Zieladresse muss ein Programm erreichbar sein, das das FTP-Protokoll versteht!«. Malte erkannte an Jantinas Blick, dass sie nicht wusste, wovon er gerade gesprochen hatte. »FTP ist ein Internetprotokoll – eine Art standardisierte Sprache, über die Computer per Internet miteinander ›reden‹, also kommunizieren können. HTTP ist das Protokoll, das zum Surfen verwendet wird, und mit dem FTP- Protokoll können Dateien übertragen wer­den.«

      »Wie haben Sie die – wie Sie sagten – ›zig verschiedenen Server‹ aufbauen können? Sie sagten gerade, dass es nicht Ihre Computer oder Server waren.«

      »Ich habe mir im ganzen Land bei Dis­countern SIM-Karten gekauft und sie immer vor Ort aktiviert. Solche Prepaid-Karten kön­nen anonym aktiviert werden, die Adressen werden nicht überprüft, und es wird lediglich die Funkzelle der Aktivierung gespeichert. Im Laufe eines Monats hatte ich meine 42 anonymen SIM-Karten zusammen, deren Aktivierung über das ganze Land verteilt stattgefunden haben. Mi…«

      42

      »42?«, unterbrach Jantina Maltes Ausfüh­rungen. »Sie sagten: ›… hatte ich meine 42 …‹ Was hat es mit diesen 42 auf sich?«

      »Meine Güte. Haben Sie außer Ihren Jura­büchern auch mal etwas anderes gelesen? Sie wissen echt nicht, was es mit 42 auf sich hat? Schon mal was vom internationalen Handtuch-Tag gehört? Arthur Dent oder Ford Prefect? Beteigeuze? Die intergalaktische Autobahn?« Malte war über – seiner Meinung nach – so viel Unwissenheit fassungslos.

      »Wovon reden Sie da?«, empörte sich Jantina.

      »Na, von Douglas Adams’ Kultbuch ›Per Anhalter durch die Galaxis‹ oder ›The Hitch­hiker’s Guide to the Galaxy‹ … das haben Sie tatsächlich nie gelesen?«

      »Nein, habe ich nicht! Und wie Sie sehen, lebe ich trotzdem noch. Aber was hat das alles mit dieser Zahl 42 zu tun?«

      »Sie ist die Antwort auf alles.«

      »42?«

      »Auf alles. Um genau zu sein: auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest

      »Nun gut, lassen wir das nun bitte«, und nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Sie wollten mir gerade irgendetwas über Ihre 42 Prepaid-SIM-Karten erklären.«

      »Ich habe mit diesen 42 SIM-Karten bei zwei Smartphones täglich die SIM-Karten ge­wechselt, sodass höchstens alle 22 Tage die gleiche SIM-Karte wieder zum Einsatz kom­men konnte. Die Smartphones dienten als Modem für meinen kleinen Nanocomputer, einen Raspberry. Für den habe ich ein eigenes Betriebssystem entwickelt, also … eigentlich habe ich ein vorhandenes genom­men und habe es entsprechend angepasst. Ich habe ein Programm entwickelt, das vier Stunden online blieb, damit die IP-Adresse in diesen vier Stunden konstant blieb. Das Programm hat zu Beginn dieser vier Stunden seine IP-Adresse bei dem DynDNS-Anbieter eingetragen und konnte danach Daten emp­fangen. Nach vier Stunden wechselte das Programm automatisch zum anderen Smart­phone, ging mit diesem neuen Modem online, erhielt eine neue IP, trug diese als DynDNS-Zieladresse ein, und alles nahm wieder seinen Lauf. Es gab also einen Vier-Stunden-Zyklus. Alles ist klein und handlich und passt in eine kleine Schultertasche, sogar mit einem großen Akku. Ich achtete darauf, dass ich das System nur in Gegenden einsetzte, in denen es nur eine Funkzelle gab, also keine Über­schneidungen mit anderen Funkzellen – inner­halb einer Funkzelle kann man nicht orten.«

      »Paranoia ist bei Hackern wie Ihnen wohl weitverbreitet.«

      »Klar, aber was hat vorsichtiges und cleveres Handeln mit Paranoia zu tun?«

      »Damit nichts, aber wenn man ständig auf der Hut sein muss und immer mit einer gewissen Angst lebt, dass man auffliegt und gefasst wird … wie kann man dann noch ein normales Leben leben?«

      »Mein Leben ist normal. Ich bin mir der Gefahren bewusst und habe entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen.«

      »Wie sehen diese Vorsichtsmaßnahmen aus?«

      »Ich mache mir zunächst immer ein klares Bild über meinen Gegner, ich versuche so viel wie möglich über ihn herauszufinden und studiere seine Gewohnheiten.«

      »Was meinen Sie mit ›Gegner‹?«

      »›Gegner‹ ist vielleicht das falsche Wort, denn die wissen ja nichts davon, dass ich mich gerade auf sie fokussiere.«

      »Wer sind oder wer waren denn bisher Ihre Gegner?«

      »Menschen, die mich interessierten, die ich attraktiv oder interessant fand … oder einfach nur wunderschön.«

      »Und solche Menschen bezeichnen Sie als Gegner?«

      »Ich sagte doch bereits, dass es das falsche Wort war. Gefällt Ihnen ›Zielperson‹ besser?«

      »Es geht nicht darum, was mir gefällt.«

      Malte holte tief Luft und verdrehte ein wenig die Augen.

      »Also gut, es sind keine Gegner und auch keine Zielpersonen. Es sind die Menschen, die ich ausspionieren will. Es sind die