Martin Winterle

Brief an Marianne


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target="_blank" rel="nofollow" href="#u54de48ad-2686-5d96-8e41-245efa10e781">Wirklich nur Dritter?

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      Marianne

       Brief an Marianne

      Vor fünf Jahren

      Marianne saß vor ihrem Bildschirm, buchte Eingangsrechnungen auf diverse Konten zu. Ein täglicher Fixpunkt ihrer Agenden, ihre nachmittägliche Lieblingsbeschäftigung.

      Die Vormittage füllten Sekretariatsangelegenheiten, Lagerkontrollen, Kaffee für Kunden zubereiten. Präsentierte ihre Firma bei Touristikmessen und ähnlichen Veranstaltungen ihre ausgesuchten Spirituosen, spezielle Liköre, exklusive Cognac und Whiskymarken, sie war immer mit von der Partie. Mit Schwung, Überblick und Charme für das leibliche Wohl am Firmenstand verantwortlich. Verteilte Knabbergebäck auf den kleinen Tischchen, entspannte gut gelaunt die trockenen Verkaufsgespräche.

      Schon fast hobbymäßig entwarf sie Geschenkpackungen für die Oberliga einschlägiger Spezialitätenläden. Designte die Form der verwendeten Kartons und Kistchen, bestimmte die Farbe der verwendeten Holzwolle und natürlich den Inhalt. Von der Kalkulation bis zum fertigen Produkt, alles war Hand Made by Marianne.

      Damals, vor fünf Jahren war Marianne vierzig. Nein, nicht ganz, aber in wenigen Wochen würde sie es sein.

      War geschieden, hatte einen Sohn mit neunzehn Jahren, eine Zweizimmereigentumswohnung mit Keller, Balkon, Tiefgaragenplatz, für ihr kleines, silbergraues Auto. Ihr kleines Reich praktisch und gemütlich eingerichtet. Das Schlafzimmer gehörte ihrem Großen, das Wohnzimmer ihr. Na ja fast, wenn sich ihr Sohn in sein Zimmer verzog. Die Wohnung war nicht übermäßig groß, dafür finanzierbar. Im vierten Stock, dem vorletzten unterm Dach. Ihr Haus gehörte zu einem Ensemble vier baugleicher, in einem Karree angeordneter, fünfstöckiger Häuser.

      In der alten Salzstadt Hall, keine zweihundert Meter vom Inn Fluss entfernt, mit Blick auf den gepflegten, Innenhof mit seinen im Frühjahr blühenden Forsythien Sträuchern, zierlichen Birken, Ruhebänken, einer Kinderspielecke, lebte sie gerne. Gratulierte sich oft, damals diese Wohnung gekauft zu haben. Fuhr mit dem Linienbus zur Arbeit in die Landeshauptstadt. Einen Supermarkt gab es in der Siedlung, alle anderen Besorgungen ließen sich locker zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigen. Sie arbeitete ohnehin in der City, konnte nach Büroschluss Besorgungen erledigen, bummeln gehen, Bekannte treffen. Ihr kleines Auto benützte sie nicht alle Tage. Wenn sie jetzt noch das passende Pendant kennen lernen würde, wäre sie voll happy.

      An ihrem Äußeren konnte es nicht liegen, an ihrer offenen Art auch nicht. Warum geriet sie immer an die falschen Typen?

      Lag es daran, dass sie selten so locker drauf war wie ihre Freundin Eva, die Männer regelrecht anzog?

      Sie war weder eingebildet noch abweisend, nur sie wollte mehr als eine lockere Bettgeschichte. Ihre Gefühle ausleben, aber nicht nur im Bett. An solch eindeutigen Angeboten litt sie keinen Mangel, nur das war ihr zu oberflächlich, zu inhaltslos. Was Marianne suchte, war ein Mann zum Anlehnen, sich vorbehaltlos fallen lassen können.

      So ein Kerl muss doch irgendwo auf sie warten!

      Sie war mittelgroß, ohne einen Deka zu viel zuhaben, wirkte sie sehr fraulich. Ging sie, dann leicht wiegend, bewegte sie sich schneller, verlor sich diese anmutige Wiegebewegung. Hatte genau diesen Typ von Figur, den die meisten Männer anziehend finden. Die einen ganz offenkundig, die restlichen spätestens dann, wenn sie mit geschlossenen Augen, allabendlich neben der eigenen Bohnenstange zu liegen kamen. Ihre dunklen, fast schwarzen Haare trug sie modisch nackenlang, immer so frisiert, dass sie mit ihrem runden, hübschen Gesicht, perfekt harmonierten. Ihre dunkelgraubraunen Augen, ein wesentliches Merkmal ihrer fröhlichen, offenen Wesensart. Hatte ohne Nachhilfe volle Wimpern, einen sanft geschwungenen, sinnlichen Mund und ausgesprochen schöne Hände. Trug an der linken Hand einen schmalen Ring mit einem Saphir, ein Andenken an ihre Oma. Ihre ebenmäßigen, Minirocktauglichen Beine, hatte sie meist unsichtbar in Jeans oder Samthosen verpackt.

      Seit dem Abschluss der Handelsakademie arbeitete sie für diese Firma. Lediglich die Karenzzeit hatte sie pausiert. War selbst in dieser Zeit stundenweise im Betrieb präsent. Ihre geschmackvollen Kreationen erlesener Präsente, ließ sie nicht aus der Hand, als Assistenz bei der Messebetreuung war sie unersetzbar. Ihre Arbeitszeit konnte sie selbst einteilen. Ihre Tage dauerten so nie gleich lang, die abwechslungsreichen, eigenverantwortlichen Aufgabenbereiche erfüllten sie, motivierten sie, füllten sie aus…

      Wieder einmal Montag, zudem ein echt cooler Montag. Einer wie sie ihn liebte. So hätte der Diensttag, der Mittwoch und alle Tage danach, auch sein könnten, sie hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt (außer das der Föhn mit weniger Vehemenz orgeln hätte können…). Hatte gut geschlafen, fühlte sich topfit, war total gut drauf. In ihrer weißen Bluse, unter dem grauen Pullunder, schwarzen Jeans, passenden Mokassins, fühlte sie sich selbstsicher und angezogen.

      Klopfte einen Stapel Rechnungen ins System, alle bereits bezahlt, fand keine Unregelmäßigkeiten, brauchte keine Rückfragen zu tätigen, konnte ihr Tempo selbst bestimmen. Leise Musik klang aus ihrem kleinen Radio, die Sonne schien angenehm warm und hell zum Hinterhoffenster herein. Ihr Usambaraveilchen schickte sich augenscheinlich an, das dritte Mal in Serie zu blühen (hatte Marianne auf das Gießen vergessen?). Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass ihr Chef sie freundlich musternd, in der offenen Türe stand…

      Dienstreise mit ungeahnten Veränderungen

      >Mariandl, kannst du es einrichten, am Donnerstag mit mir nach Siena zu fahren? Der Tanzer ist verhindert, muss am Freitag zum Arzt, zum Internisten, sagt er. Da dachte ich an dich. Ich fahre zur alljährlichen Grappaversteigerung hinunter. Es gibt interessante Lose, wenigstens laut Auktionskatalog. Wir können es uns leisten, beste Ware am Lager zu haben, bei unserer Klientel. Am Samstag würden wir gegen Nachmittag wieder daheim sein. Würde dich am Donnerstag daheim abholen. Sagen wir um sieben Uhr, wenn es dir passt? <

      Der Seniorchef nannte sie schon immer Mariandl, vom ersten Tag an. Die beiden verstanden sich gut. Er zählte zu den wenigen männlichen Wesen, die ihr bei jeder Unterhaltung beständig in die Augen sahen, sich nicht nach wenigen Sekunden auf ihrem Balkon ausruhten, um Gedanken nach zu hängen, die mit dem Inhalt der geführten Unterhaltung, so gut wie gar nichts gemeinsam hatten.

      Dafür hatte er sie manchmal bei den Schultern genommen, wie ein zu füllendes, halbleeres Plastiksackerl gerüttelt, um ihr Mut zu machen, wenn sie irgendwo unsicher war oder nicht mehr weiter wusste (und das nicht nur im Betrieb…). Sein väterlicher Ratschlag war ihr immer willkommen gewesen. Zumal sie keinen Vater mehr hatte, eigentlich nie wirklich einen gehabt hatte, wenn sie ganz ehrlich war. Einmal hatte er sie in den Arm genommen, ganz fest an sich gedrückt, war dann irgendwie sehr gerührt gewesen. Sie hatte ihm gestanden, schwanger zu sein…

      Marianne sagte freudig zu. Ja, das würde sie gerne mitmachen, auch ganz locker gehen, sie hätte nichts Besseres vor.

      Donnerstagmorgen, fünf Minuten vor sieben, trat sie mit ihrem kleinen Rollkoffer, ihrer Handtasche, einen leichten Mantel über den Arm, aus der Haustüre. Gleichzeitig bog der dunkelblaue, ältere Mercedes auf den Parkplatz vor ihrem Haus ein.

      Die Fahrt ging über die Autobahn, vorbei an Innsbruck, Richtung Süden. Manchmal konnte sie bei den lustigen Erzählungen des alten Herrn, hell auflachen. Er war verwitwet, lange schon. Nie hatte er, weder ihr, noch einem anderen weiblichen Wesen im Hause nachgestellt. Marianne wären ad hoc zwei Damen eingefallen, die nicht nur nichts dagegen hätten, es sogar dezent, daraufhin anlegten. Er war nicht nur als Chef eine Autorität, war der Ruhepol des Unternehmens, das sein Urgroßvater vor über hundert Jahren gegründet hatte.

      >Weißt Mariandl, es hat noch einen Grund, warum ich wollte, dass du heute mit mir nach Siena fährst. Der Tanzer wird nicht nur heuer 65, er ist vor allem seit längerem nicht mehr ganz gesund. Seit 25 Jahren macht er den Einkauf,