Martin Winterle

Brief an Marianne


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neben meinem vollsten Vertrauen auch meine ehrliche Freundschaft. Und genau aus letzterem will, ja muss ich ihn langsam, nachhaltig entlasten. Wir haben letzte Woche über seine Nachfolge geredet. Was denkst du, wen er sich als Nachfolger wünscht? <

      Im Hause selbst fiel Marianne niemand passender ein. Es wird nicht einfach sein, den Herrn Tanzer zu ersetzen. Man würde per Inserat in Regional- und Fachzeitungen nach einem passenden Ersatz suchen müssen. Marianne riet, mit der Suche gleich zu beginnen, damit er noch eine fundierte Einschulung vom scheidenden Profi erhalten konnte. Sie persönlich würde einen jüngeren Mann, mit guten Fachkenntnissen die Chance geben. Er sollte ein bis zwei Jahre Einkaufspraxis mitbringen, regte sie an.

      >Mariandl, dich will er haben, ja dich, der alte Tanzer und ich will es auch! Und deswegen sitzt du heute hier bei mir im Auto. Du bist der neue Einkäufer, natürlich die neue Einkäuferin.<

      Verbesserte er sich grinsend.

      Marianne war sprachlos. Ihr fiel buchstäblich die Kinnlade nach unten, dafür aber keine Antwort ein.

      Sie und Einkäuferin für so eine renommierte Firma!

      >Nur keine Angst, Mädel, der Tanzer und ich bringen dir das scheibchenweise bei. Bist ja mit unserer Palette vertraut. Viele Lieferanten kennst du sogar persönlich. Ist ja nicht von heute auf morgen. Nur anfangen tun wir gleich morgen mit der Schulung.<

      Von Siena sah sie so gut wie nichts.

      Sie nächtigten außerhalb, in einem vornehmen Hotel.

      Zu Abend aßen sie in einem gediegenen, kleinen Lokal.

      Die Adresse hatte der Chef als Insidertipp von einer Beilage seiner Agenda heraus, in den Navigator getippt. Ließ sich das Abendessen mit seiner neuen Einkäuferin etliches kosten. Verbot ihr auf einen Einwand ihrerseits, das Lesen der Preisspalte. Sie hatten heute einen Grund zum Feiern, pasta!

      Beide amüsierten sich blendend, bei dem Gedanken (dieser war übrigens ihr gekommen, sie hatte geplaudert…), was die anderen Herrschaften im Lokal denken mochten, in welcher Beziehung sie zueinander stehen würden. Vater und Tochter waren sie beide doch ganz sicher nicht, obwohl es altersmäßig hinkam. Der alte Herr fühlte sich bei diesem Gedanken total geschmeichelt, war sehr stolz auf Mariannes Spitzfindigkeit. Und sie, sie fühlte sich verstanden und aufgehoben, sehr gut aufgehoben sogar…

      Die Auktion fand im Messegelände von Siena statt. Das weitläufige Areal lag in einem Vorort, mit der City kamen sie nicht in Berührung. Als Beginn war acht Uhr angegeben.

      Sie kamen etwas früher, wollten einem halbwegs annehmbaren Parkplatz. Ihre Sitzplätze waren gesichert, die Zählkarten hatten sie von zuhause mitbrachten. Der Zustrom bereits sehr stark, die Halle aus Beton wenig einladend, dafür die Beleuchtung gut, die Akustik eine Ohrenquälerei, wie sie Marianne noch auf keiner Werbeschau oder Fachmesse erlebt hatte.

      Bis etwa elf Uhr konnte ihr Verständnis noch einigermaßen mithalten. Dann rauchte ihr Kopf nur noch von den schwer zu verarbeitenden Eindrücken. Zu diesen prasselten laufend die Kurzinfos ihres Brötchengebers auf sie herein. Sie versuchte beides aufzunehmen, abzuspeichern. Nach der Mittagspause, die sie mit belegten Brötchen und Plastikflaschenwasser vom Messerestaurant, auf einer der wenigen freien Parkbänke unter einer alten Platane verbrachten, war sie wieder kurzzeitig aufnahmefähig. Spätestens ab 15 Uhr 30 war kein hundertstel Millimeter in ihrem Hirn mehr frei, sämtlichen Festplatten glühten, blinkten mit roten Kontrollleuchten, meldeten ein Stakkato in ihrem Hinterkopf. Endlich, gegen 16 Uhr war die Veranstaltung zu Ende. Ihr Chef hatte gute Geschäfte gemacht, war sichtlich zufrieden. Sicher, manches Los war teurer geworden als gedacht. Dafür eine größere Partie, unter der prognostizierten Hälfte geblieben.

      Schlimmer behämmert, als nach jedem Diskobesuch vergangener Jahre, spielte sie nur noch den Schatten ihres Chefs in Richtung Ausgang. Mehr geschoben als selbst gegangen, erreichten sie den Parkplatz. Dem alten Herrn schien der Trubel, die ganze Hektik, der extreme Lärmpegel gar nicht erreicht zu haben. Er lächelte sie an, legte seinen Arm um ihre Schultern, drückte sie kurz an sich, meinte launig:

      >Die Idee war schon vom Tanzer, aber ich werde ihm verkaufen, dass ich schon vorher darauf gekommen bin, dass du die richtige Wahl für diese Arbeit bist. Wie hat es dir gefallen? Da war schon viel los, gell und laut war es zudem. Mir kommt vor, heuer war viel mehr Betreib, als im letzten Jahr.<

      Sie war froh im Auto zu sitzen, ins Hotel zurück zu fahren.

      Als erstes stattete sie der Dusche einen ausgiebigen Besuch ab.

      Zwei Stunden Zeit bis zum Abendessen – Jubel, natürlich nur leiser Jubel, Lärm hämmerte lautstark im Kopf, ganz, ganz leiser Jubel also. Zwei Stunden Zeit, um zu sich selber zu finden, entspannen, auf dem Balkon sitzen, auf die Zypressen im Park unter ihr zu schauen. Zu hoffen, dass der Druck im Kopf langsam nachlässt…

      Was hatte sie mitbekommen, sich gemerkt, war hängen geblieben?

      Sicher, dass Prozedere kannte sie nun, von manchen Spezifikationen hatte sie keine blasse Ahnung. Sich aber dazu Notizen gemacht, kluges Mädchen wie sie war.

      Zu allem Überfluss war alles in Italienisch abgehandelt worden. Sie würde einen Italienischkurs belegen, in der Volkshochschule oder beim WIFI. Das nahm sie sich fest vor. Sie importierten viele Produkte aus Italien und ihr HAK Italienisch reichte, mangels Praxis, heute gerade noch für das Verstehen einer Straßenauskunft. Wenn diese nicht mehr, als zweimal links, einmal geradeaus lautete.

      Es wurde langsam Zeit zum Umziehen. Viel hatte ihr kleiner Koffer nicht anzubieten, für die kurze Zeit hatte sie nur wenig mitgenommen. Aber ein, mangels Gelegenheiten, fast noch nie getragenes Sommerkleid bot sich an. Erschien ihr für das Abendessen auch passend. Ein helles, kurzes, leicht gemustertes Kleid mit V-Ausschnitt, zeigte etwas Dekolleté, lediglich angedeutet. Dazu Riemensandalen mit zierlichen Absätzen. Einen passenden roten Gürtel legte sie um, nahm die gleichfarbige Handtasche, fertig. Als Schmuck lediglich Omas Ring und eine modische, rötlichbraune Kette aus Muranoglas.

      Ihr knurrte fast hörbar der Magen, als sie aus dem Aufzug stieg, sich zum Restaurant hin wandte. Dort herrschte ein Betrieb wie bei der heutigen Grappa Auktion. Manche Gesichter kamen ihr von dort bekannt vor. Ihr Chef sah, wie sie unsicher in der Türe stand, winkte ihr zu.

      Zum Abendessen waren sie verabredet. Sie hatte davon bei der Fahrt von der Versteigerung ins Hotel erfahren. Ein alter Geschäftsfreund aus Oberösterreich mit einem Teil seines Verkäuferteams würde mit Ihnen zu Abend essen. Diese Herren hatten mit Schnäpsen aller Art zwar nichts am Hut, aber an der gleichzeitigen, regionalen Weinfachmesse teilgenommen.

      Marianne würde neben ihrem Chef, am oberen Ende der Tafel sitzen.

      Zuerst aber, sich einen Teller schnappen, die einladende, kunstvoll aufgebaute Gourmetinsel aufsuchen, die mit ihren verschiedenartigsten Köstlichkeiten, alle Register erlesener italienischer Vorspeisen offerierte. Diese wenigstens mit ihren Augen leerfuttern.

      Der reservierte Tisch füllte sich langsam mit sechs Personen. Jeder mit einem mehr oder weniger gefüllten bis überhäuften Teller Antipasti. Der Jagdbeute vom Sturm auf das kalte Buffet. Fünf Herren und sie, als einzige Dame. Marianne setzte sich, ihr Chef schenkte ihr gerade ein Glas Aqua Minerale ein,

      da kam ihr Gegenüber…

      Gegenüber

      >Hallo, ich bin der Horst. <

      Stellte er sich vor, reichte ihr mit einem offenen Lächeln über den Tisch hinweg die Hand.

      >Marianne, freut mich. <

      Gab sie mit demselben Gesichtsausdruck zurück.

      Konzentrierte sich auf ihre gegrillte Tomate und die anderen winzigen Happen, die sie gezielt auf ihrem Teller drapiert hatte. Trank dazu abwechselnd einen Schluck leichten Tischwein oder Mineralwasser. Das eigentliche Menü bestand aus drei Gängen, den Abschluss bildeten Erdbeeren. Kühle frische Erdbeeren. Marianne zerdrückte sie mit der Zunge gegen ihren Gaumen. Vollkommen zwanglos unterhielt sie