Martin Winterle

Brief an Marianne


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wieder aus dem Büro schlichen, um in Horsts Armen zu landen, verstand aber jede Einzelheit.

      Das Wochenende hatte sie mit Wohnung putzen verbracht. Wie besessen wischte sie Staub, alle Schränke wurden aus und wieder eingeräumt, die Pflanzen umgetopft, der Einkaufszettel komplettiert. Ein schmackhaftes Gröstl gekocht. Ihr Sohn wollte bekocht und versorgt werden. Ein Treffen mit Eva zu Kino und Männerbegutachtung in der kleinen Bar, direkt neben dem Kinogebäude, hatte sie mit einer mehr oder weniger glaubhaften Ausrede, auf kommendes Wochenende vertagen können. Ihr gegenüber hatte sie Horst bisher nur einmal kurz erwähnt, ganz emotionslos, ohne ausschmückende Details. Einer der Teilnehmer des Events von Siena, Punkt.

      Der Montag, früher Mariannes absoluter Lieblingstag und fast immer der ultimative Powerstart in die neue Woche, war auf den dritten Platz hinter Diensttag und Mittwoch zurück gefallen. Der Powerstart fand trotzdem statt, im Büro wie am späten Abend. Horst hatte nach 22 Uhr angerufen. Eine ganze Stunde mit ihr telefoniert. Danach schwebte sie nicht ins Bett sondern auf Wolken. Tags darauf erklärte ihr Sohn beim Frühstück, dass er heute mit der Maturaklasse bis Samstagabend nach Salzburg fahren werde. Könnte aber auch Sonntag werden, wenn er bei einem Kumpel pennen würde. Angeblich hätten sie das in allen Details, vor zwei Wochen schon besprochen.

      Sie hatte es glatt vergessen!

      Sowas war ihr noch nie passiert. Erschrak über diese Tatsache ziemlich, kaschierte es aber gekonnt. Abends stand um 19 Uhr Pilates mit Eva und weiteren acht Damen auf dem Programm. Sie fühlte sich danach immer total in ihrer Mitte, freute sich immer schon am Montag auf diesen sportiv, entspannenden Treff mit der besten Freundin. Anschließend saßen sie meist noch in einer kleinen Vitaminbar um das anwesende, männliche Angebot zu begutachten. Das Wenige spaßhalber ausführlich zu zerpflücken. Total legitim, beide Damen waren geschieden, somit ebenfalls zu haben (wenigstens theoretisch…).

      Eva hatte bei Marianne als beste Freundin einen Mehrfachjob als Seelentrösterin, Modeberaterin, Pilatespartnerin, Ernährungscoach und noch einige andere, weniger wichtige Funktionen. Seit Jahren, stets wechselnd, mit mehr oder weniger Intensivität aber immer (meistens…) mit viel Erfolg.

      Eigentlich war die um fünf Jahre ältere Eva, die Schulfreundin von Mariannes älterer Schwester Babsi. Vor gut fünf Jahren hatten sie sich zufällig in Eva´s Modegeschäft wieder getroffen. Marianne suchte etwas für ihre Wintergarderobe. Hatte in einer Postwurfsendung genau das gesuchte Teil entdeckt. Rein zufällig ein Prospekt von Eva`s Laden.

      Sie freuten sich beide über das zufällige Wiedersehen, setzten sich gleich in Evas Pause in das Café um die Ecke auf einen Café Latte Plausch. Seither waren die beiden so gut wie unzertrennlich.

      Eva war optisch das krasse Gegenteil von Marianne. Hatte kein Problem damit, sich selbst als busenloses, männermordendes Ungeheuer zu bezeichnen. War fast einen Kopf größer als Marianne, hatte eine strohblonde, pflegeleichte Kurzhaarfrisur, ein hübsches Gesicht mit einer kleinen, spitzen Nase, schmalen Lippen und eine wirkliche Mannequinfigur, das noch mit fünfundvierzig. Sie saß an der Modequelle, pflegte einen eher flippig-praktischen als feminin-eleganten Kleidungsstil. Trotz ihrer Größe liebte sie alles andere als flache Schuhe. Verabscheute Handtaschen, sammelte Umhänge Beutel, aus aller Herren Länder. Einige davon hatte sie selbst von weit her als Reiseandenken mitgebracht.

      Eva`s Ehe war kinderlos geblieben, nach zwölf Jahren Ehequälerei (Evas Worte…) geschieden worden. Sie war wieder in den Beruf eingetaucht, hatte es bis zur stellvertretenden Marktleiterin gebracht. Eva lebte, wie sie es nannte, aufgeteilt. Die Aufteilung bestand aus zwei Zimmern, einer großen Wohnküche und einer Dusche mit WC. Ihre drei Meter hohen Räume gruppierten sich um den Stiegen Aufgang im zweiten Stock der elterlichen Villa. Von diesem zentralen Raum aus führten vier Türen, eine in jede Windrichtung. Eine schmale Treppe führte noch einen Stock höher, hinauf in einen kleinen, achteckigen Turm. Dorthinauf zog sie sich zurück, machte ihre Jogaübungen, las Esoterikbücher.

      Das alte Haus aus der Gründerzeit war Familienbesitz, lag am nördlichen Stadtrand der Landeshauptstadt. Erhöht über der Stadt, in einem romantischen, verwilderten Garten mit zwei beeindruckenden Eichen, roten und weißen Oleanderbüschen, mehreren uralten, naturbelassenen Rosenhecken.

      Ein großer Vorteil dieses Gartens war, problemlos, jederzeit einen Parkplatz zu finden. Evas Eltern bewohnten den ersten Stock. Im Parterre hatte ihr Vater seine Anwaltspraxis. Waren er, seine Sekretärin und ihre Mutter gleichzeitig im Büro, kamen zweihundert Jahre zusammen, witzelte Eva. Trotz seines Alters, arbeitete ihr Vater immer noch als Rechtsbeistand, wenn auch seltener.

      Eva lebte für ihren Job, joggte gern, liebte Kochexperimente, Modezeitschriften, Maniküre, Pediküre, eigene experimentelle Exotikteemischungen, Langzeitduschen und – Marianne (ihr Mädel, wie sie sie nannte…). Sie hatte nur eine wirklich fixe Beziehung. Seit zweieinhalb Jahren zu Benjamin, ihrem kastrierten Kater, der mit vollem Namen eigentlich Benjamin Blümchen hieß. Er hatte die angenehme Wesensart, ihr grundsätzlich nicht zu wiedersprechen.

      Im Gegensatz zu Benjamin, machten alle menschlichen Männer die Eva nach ihrer Scheidung kennen gelernt und abgeschleppt hatte, natürlich unwissentlich, diesen Kardinalfehler. Das war meist das unwiderrufliche Ende ihrer Langzeitbeziehungen, die in der Regel zwischen 48 und 960 Stunden dauerten.

      Marianne war gerne bei Eva, kam vorbei, kuschelte sich in die bunte Polsterlandschaft und schlürfte eine Mischung undefinierbarer Teezusammenstellung mit braunem Zucker oder Honig. Konnte entspannt über ihre kleinen und größeren Kümmernisse quatschen. Horsts Name hatte in diesem Refugium bisher noch keinen Zugang gefunden, absichtlich nicht…

      Freie Mittwochnachmittage – der dritte

      Bis auf ihre weinrote Lederjacke, hatte sie heute nur Schwarzes an. Sie liebte diese Farbe, für darunter wie für darüber gleichermaßen. Schwarz harmonierte mit ihrer gesunden Hautfarbe, ebenso perfekt, wie mit ihren dunklen Haaren. Am Montag war sie bei ihrer Friseurin gewesen. Moni hatte sich gewundert, warum sie diesmal ihre Kunst so kritisch betrachtete, sogar den einen oder anderen Wunsch, bezüglich Schnitt und Farbe geäußert hatte. Das war für gewöhnlich gar nicht ihre Art. Nach dem Warum hatte Moni nicht gefragt. Gedacht hatte sie sich dabei natürlich schon etwas, gesagt aber keine Silbe…

      Der Linienbus war an diesem Morgen, voll wie immer, die Luft stickig wie meistens und der Lärmpegel hatte auch Normalniveau. Das Beste an der Fahrt war noch der Sitzplatz am Fenster, wenn auch ohne Fußfreiraum. Sie hatte ihr Handy aus der Tasche gekramt, las SMS. Nur diese von Horst, eines nach dem anderen, fing beim ersten an und endete beim aktuellsten. Schaffte es gerade, sein letztes zweimal zu lesen, dann musste sie zügig aufstehen, sich an der Türe zum Aussteigen anstellen. Die wenigen Minuten, bis zu ihrem Büro legte sie an diesem Morgen fast im Laufschritt zurück. Beim Bäcker an der Ecke erstand sie noch rasch eine Nussschnecke mit extrem dickem Zuckerguss, einen kalorienarmen Fruchtmilchdrink, ihr Mittagessen.

      Im Büro war es heute angenehm ruhig. Die vorbereiteten Arbeiten ließen ihr mehr als genug Gedankenfreiraum. Die wenigen eingehenden Anrufe betrafen sie nicht persönlich, konnten alle weiter geleitet werden. Genau genommen, führte sie den ganzen Vormittag nur ein einziges längeres Telefonat, mit einem ihrer Außendienstmitarbeiter. Um 13 Uhr würde Horst sie vor dem Haus abholen. Sie wurde zusehends nervöser, aber auf diese eigentümlich, stürmische Art unruhig zu werden, das kannte sie eigentlich von sich nicht. Ihr Hochgefühl, wechselweise mit Herzklopfen und Unruhe, war viel intensiver als am letzten Mittwoch. Ihr fiel selbst das ruhige Sitzen nicht leicht, bemerkte, wie sie auf ihrem Bürostuhl mit ihrem Hinterteil Kreise beschrieb. Darüber musste sie dann doch schmunzeln. Siebzehn oder vierzig, wo lag der Unterscheid?

      Sie konnte keinen logisch erklärbaren finden. Als Erklärung schrieb sie ihre Nervosität dem heute wirklich abnormal starken Föhnsturm zu, der sogar an ihrem Bürofenster rüttelte und in allen möglichen Tonlagen ein Pfeifkonzert gab. Neben Staub und Blättern wirbelte er Zeitungsfetzen und Plastiktüten durch die Luft, bildete rotierende Kreise im Hinterhof, auf den sie, ganz in ihre Gedanken versunken immer wieder hinaussah. Wenn der Bildschirm ihr zu anstrengend für diesen Tag wurde.

      Was wollten