Martin Winterle

Brief an Marianne


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so wie er sich gibt. Was zieht sie am Mittwoch an?

      Sollte sie Montag oder Diensttag noch bei Moni, ihrer Friseurin vorbei schauen?

      Freie Mittwochnachmittage – der erste

      Das Schlosscafé hatte Marianne ganz bewusst gewählt. Viertelstündlich fuhr ein Linienbus, direkt vor ihrem Büro in diesen Vorort hinaus, ebenso oft wieder in die City zurück.

      Das Café, nichts Besonderes, nostalgisch abgenützter 70er Jahre Rustikalstil. Seine intimen Ecken schützten beruhigend vor neugierigen Blicken.

      Pünktlich hielt der Bus vor dem Lokal. Horst wartete, neben seinem Auto stehend, direkt vor dem Eingang. Sie reichte ihm die Hand, die er halb herzhaft, halb zaghaft drückte.

      Marianne hatte Café Latte, Horst gespritzten Apfelsaft mit Leitungswasser, er fuhr ja Auto. Lieber wäre ihm ein Glas Bier oder Wein, meinte er, aber die Verantwortung…

      Er erzählte von Tennis und surfen(auf dem Wasser, nicht im Internet…). Sie über ihren Job.

      Horst war ein guter Zuhörer, unterbrach sie nicht, stellte intelligente, Aufmerksamkeit bekundende Zwischenfragen. Zeigte Interesse an allen Themen, die sie anschnitt.

      Dabei wurde er ihr immer vertrauter. Sie hatten sich warm geredet. Marianne über seine Anekdoten aus dem Vertreterleben gelacht. Wirklich aus vollem Hals lachen müssen.

      Ihre linke Hand hatte sie locker auf dem Tisch abgelegt, als Horst seine Finger, zwischen die ihren schob. Sie zog die Hand nicht zurück, lächelte etwas verlegen.

      Gegen halb sechs meinte Marianne, für sie wäre es jetzt Zeit zu gehen, da die Busse ab nun nur noch zur halben und ganzen Stunde fahren würden. Horst bat, sie nach Hause fahren zu dürfen. Mit dem Auto wären es, außerhalb der Stadt herum gefahren, nur wenige Minuten Fahrtzeit, setzte er hinzu. Sie stimmte zu, nannte ihm ihre Adresse. Als er in ihre Strasse einbog, bat sie ihn, etwa hundert Meter vor ihrem Haus zu halten. Die letzten Meter wollte sie gerne zu Fuß gehen. Horst ließ sein Auto unter einer alten Linde ausrollen.

      >Darf ich dich wiedersehen? Ich hab es total schön empfunden diese Stunden mit dir. Es war so eine wunderbare Unterhaltung. Leider verging die Zeit rasend schnell. Ewig hätte dich nur anschauen, mit dir immer so weiter reden wollen. <

      Er hatte zu ihr hinüber gegriffen, hielt ihre Hand in der seinen. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, sehr sogar, eigentlich sogar viel zu sehr. Blickte ihn an, meinte, wenn du möchtest wir können ja telefonieren. Sicher, sie würde sich auch freuen, es hat ihr auch gefallen und so viel gelacht hatte sie lange schon nicht mehr. Marianne drückte seine Hand wie zum Abschied, wollte die Wagentüre öffnen als Horst sagte:

      >Bitte Marianne, nur noch einen Augenblick. <

      Er sah sie dabei so bittend an, dass sie nicht genau wusste, was er ihr mit diesem Blick sagen wollte. Er zog sie zu sich herüber, beugte sich ihr entgegen, suchte ihren Mund. Sie hatte nicht mehr die Kraft, wie in Siena, ihm nur ihre Wange anzubieten. Er berührte ihre Lippen und sie konnte sich innerlich sträuben so viel sie wollte, konnte ihr ganzes Ratio auf die Waage werfen, vergeblich, sie küsste ihn zurück. Danach bekam sie es aber plötzlich sehr eilig. Stieg aus, winke noch einmal einen kurzen Gruß zurück, sputete in Richtung Hauseingang. In ihrer Wohnung, presste sie ihre heiße Stirn gegen den kühlen Metalltürrahmen…

      In ihrem Kopf drehte sich alles, die Gefühle, die Gedanken, alles mischte sich, drehte sich wie ein Karussell. Sie war mitten im Sortieren, abwägen, auswerten ihrer Nachmittagserlebnisse, als ihr Sohn die Tür aufsperrte. Nach einem kurzen gemeinsamen Abendessen, zog er wieder los, traf sich in der Stadt noch mit Freunden, das konnte spät werden. Bussi Mutsch, weg war er…

      Sie sah gedankenverloren fern. Eine Seifenoper hatte an ihrem kitschigsten Punkt einer Dokumentation über Sylt im Winter weichen müssen, als das heißersehnte SMS von Horst kam.

      >Hallo Marianne, ich kann an nichts anderes als an dich und unser heutiges Zusammensein denken. Ich habe mich total in dich verliebt. Kann unser nächstes Treffen kaum erwarten. Schreib mir heute noch, bitte, bitte, ich liebe dich, Bussi, Horst. <

      Marianne las das SMS immer und immer wieder. Der Fernseher lief und lief und lief, bis sie ihn (natürlich sich…), mittels Fernbedienung endlich erlöste. Ungestört konnte sie nun ihrer Freude freien Lauf lassen. Ihr Herzklopfen war durch den Jogger den sie trug deutlich zu vernehmen, ihre Gedankengänge wollten außer Horst gar nichts anderes in ihrem Kopf zulassen.

      Nur ein Gedanke war noch stärker, leider kam er wieder, immer wieder, ganz von selbst.

      War Horst eigentlich verheiratet?

      Nein, sie dachte geschieden, ja das wird er sein, ganz sicher sogar geschieden. Sie wird ihn demnächst direkt danach fragen, dass musste sie genau wissen.

      Sie schrieb ihm kein SMS zurück, sondern ein Mail.

      Seine Mailadresse stand ja auf seiner Visitenkarte.

      Inständig hoffte Marianne, dass er es heute noch lesen würde.

      Er sollte morgen das Außerferngebiet bereisen, Neukunden finden, hatte er ihr erzählt. Es war nicht wirklich seine Leidenschaft, das Akquirieren ohne in einem Hotel bereits bekannt zu sein, mutmaßte Marianne aus seinen Ausführungen.

      Bevor sie ihren Laptop startete, holte sie sich eine Kleinigkeit zum Naschen. Zwei Werbemails wanderten in Richtung Mullkübel. Die Anmeldebestätigung für den Einsteigerkurs in Italienisch war gekommen und 6MB mexikanische Bildergrüße von einer Internetbekannten, weiter nichts.

      Im Kontaktordner wählte sie Neueintrag, trug Horsts Daten ein. Bei Besonderheiten zögerte sie. Was schreibe ich hinein? Eroberung von Siena? Neuer Schwarm? Schmetterlinge im Bauch plus Datum? Nichts? Nichts gewann knapp vor den Schmetterlingen. Dann drückte sie den Button – Neues Mail.

      Zum ersten Mal fügte sie seine Adresse ein. Ging nervös auf den Balkon, ihr war nach frischer, kühler Luft.

      Gottes Willen, war sie aufgeregt.

      Es war finster. In den drei Häusern, die gemeinsam mit ihrem ein Viereck bildeten, waren die Fenster zum Teil beleuchtet. Manche leuchteten heller, aus anderen kam nur gedämpftes Licht. Einige hatten die Vorhänge zugezogen, in andere Wohnungen hinein, war der Blick ungehindert möglich. Ließ ihren Blick ziellos schweifen, nahm von nichts bewusst Notiz.

      Wie war das heute mit Horst?

      Wie hatte sie die Stunden empfunden?

      Wie erwartet?

      Wenn ja, was hatte sie erwartet?

      Hätte sie ihm besser wieder ihre Wange, statt ihren Mund anbieten sollen?

      Hatte sie ihn ermutigt, sie zu küssen, weil sie geduldet hatte, dass er seine Finger zwischen die ihren schob?

      Nein, sie verstanden sich einfach gut, hatten sich blendend unterhalten und Horst war in Flammen aufgegangen, eigentlich ganz normal, oder?

      Er gefiel ihr ja auch, seine Ausstrahlung empfand sie als angenehm, er war der Typ zum Anlehnen. Sie sich vorstellen konnte, sich fallen lassen zu können. Sein Humor war in etwa der ihrige. Besonders angetan hatten es Marianne seine Augen. Was sollte, was wollte, was drängte es sie zu schreiben? Marianne ging ins Wohnzimmer zurück, schloss die Balkontüre, zog die Vorhänge zu.

      Bei Betreff war es noch relativ einfach, sie schrieb – „Schönen Abend“

      Aber ob einfach nur „Hallo“, „Hallo Horst“, „Lieber Horst“, da lagen schon Welten dazwischen, besonders für Marianne in dieser Stimmungsaufundabsituation. Sie wählte letztlich Variante eins, mit Beistrich. Dann folgte nach fünf Minuten:

      „Es war echt nett heute Nachmittag mit Dir.“

      Nach einiger Zeit und zahllosen Änderungen:

      „Ich finde Dich übrigens auch sehr sympathisch.“

      Es folgte die zwar einfallslose, für