Martin Winterle

Brief an Marianne


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mit ihrem Horst…

      Langsam bildete sich aus dem feurigen Ball wieder ihr zuckender Körper heraus, war in seine Arme gesunken, der sie umschlungen hielt und liebkoste. Ihren ganzen, zitternden, heißen Körper küsste. Die folgenden Höhepunkte verliefen ähnlich unbeschreiblich. Jeder einzelne für sich vollständig unglaublich, berauschend, unwirklich, vollkommen erfüllend, überirdisch farbenprächtig und traumhaft schön.

      Das innere Beben dieser ersten, innigen Stunden blieb ihr erhalten. Es blieb sehr, sehr lange in ihr präsent. Jahre später noch in ihren Gedanken lebendig, jederzeit wieder herzuholen, sooft sie daran denken wollte, und sie wollte oft daran denken, sehr oft sogar…

      Als Horst nach 20 Uhr unendlich schwer, letztendlich aber rasch ging, war sein Traum von Siena in Erfüllung gegangen. Die Wirklichkeit hatte seine schönsten Wunschgedanken um Welten übertroffen. Marianne hatte sich, nackt wie sie war, auf ihr Couchbett gelegt, eine Hand zwischen ihre fast krampfhaft zusammengepressten Beine gedrückt, die andere auf ihre heiße Stirn gelegt. Ihr einziger Gedanke – ich dusche mich nie wieder, ganz bestimmt nicht!

      Ich will Horst an mir, auf mir und in mir spüren, für immer…

      Jahr der Veränderungen

      Horst

      Der, ich dusche-mich-nie-wieder-Vorsatz, hielt genau von Mittwoch 20 Uhr bis Donnerstag 6 Uhr 30. Dann siegte Mariannes Logik über ihre Gefühle. Stellte sich lange unter angenehm warmes, sanft rieselndes Wasser. Schloss ihre Augen und erlebte den gestrigen Nachmittag gleich wieder live. Mit Nachdruck stieg sie aus der Dusche, trocknete sich ab, zog frische Unterwäsche an. Für heute hatte sie weiß gewählt, nicht ihre schwarze Lieblingsfarbe. Schlüpfte in eine braune Cordhose, streifte ein lachsfarbiges Poloshirt über und marschierte in die Küche. Es gab zum Kaffee Toastbrot, Butter und Himbeermarmelade. Kurz trat sie auf den Balkon hinaus. Der Morgen war kühl, diesig, fast nebelig, aber es regnete nicht.

      Wartete sehnsüchtig auf ein SMS oder einen Anruf von Horst, seit gestern ihrem Horst. Während sie den letzten Bissen Toast mit Kaffee hinunterspülte, rief er endlich an.

      >Marianne Liebes, wie hast du geschlafen? Ich gar nicht, meine Gedanken waren die ganze Zeit bei dir, nur bei dir allein. An was anderes, als an unseren gestrigen Nachmittag zu denken, war mir nicht möglich, echt nicht. Du bist so himmlisch, die hingebungsvollste und einfühlsamste Frau der Welt. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so verliebt, wirklich total verliebt, wie jetzt in dich. <

      Marianne war über seine beschwörenden Liebesbeteuerungen restlos glücklich, sagte ihm das auch. Mehrmals hintereinander, immer mit anderen Wortkombinationen. Es brach vollkommen von selbst aus ihr heraus. Ihr Herz hatte sich ihm geöffnet und sprudelte wie ein Brunnen. Auch ihre gestrigen Höhepunktgefühle verschwieg sie nicht. Spätestens in der Mittagspause würde sie sich melden, ihm wenigstens ein SMS senden, versprach sie eilig, musste dringend zum Bus laufen. Das Telefongespräch zu beenden, hatte wegen Horsts Liebesschwüre, einige schöne Minuten länger gedauert, sie in Zugzwang gebracht. Einhändig stellte sie das Frühstücksgeschirr in die Spüle, packte ihre Handtasche, schlüpfte in die Schuhe, klemmte ihre Jacke unter den Arm und rannte los. Ausnahmsweise war der Bus heute nur mäßig besetzt. Es musste wohl schulfrei sein, er war halb leer. Sie besetzte einen Einzelsitz am Fenster. Sofort waren ihre Gedanken bei ihm. In Gedanken sah sie ihn vor sich, versuchte ein Bild von ihm aus dem Gedächtnis zu zeichnen.

      Er war also 45, somit fünf Jahre älter als sie. Etwas untersetzt, stämmig aber nicht dick, bis auf einen leichten Bauchansatz vielleicht. Hatte echte Fußballerwaden, kräftige Arme und Hände. Darauf stand sie, gab sie zu. Ihr Typ konnte Haare nicht nur auf der Brust haben. Das machte sie an. Hatte ihr bei Männern immer schon gut gefallen. Seine graublonden Haare trug er kurz, dazu einen gleichfarbigen, dichten Oberlippenbart. Schöne, dunkle Augen, deren genaue Farbnuance sie, so sehr sie sich anstrengte, nicht wirklich genau beschreiben konnte. Am ehesten kam noch dunkelgraubraun hin. Was sie an seiner Optik störend fand, sein zu kurz geratene Hals, einem Stiernacken nicht ganz unähnlich.

      Horst konnte sehr überzeugend reden, ziemlich alle Register ziehen, von einschmeichelnd(ihr gegenüber…), bis brutal(wenn ihm etwas nicht ins berufliche Konzept passte…). War ein geduldiger Zuhörer der spontan direkte Fragen stellte. Interessiert hinterfragte, vollkommen auf sie einging. Konnte aber auch sehr herrisch und aufbrausend reagieren. Nicht sie betreffend, aber es war ihr in seinen Erzählungen aufgefallen.

      Er war geschieden, seine Ex hieß Ruth, hatte einen Sohn mit ihr, soviel von sich aus erzählt. Nach seiner aktuellen Lebenssituation zu fragen, hatte sie sich, bis heute nicht getraut. Kam ihr gerade in den Sinn. Sie verdrängte diese Frage, wohl aus Angst vor der Antwort…

      Heute Abend war um 19 Uhr das erste Treffen der Italienisch Kursteilnehmer im WIFI.

      Sie kam nicht vor 23 Uhr nach Hause. Der Linienbus würde erst zwanzig Minuten nach Kursende, dafür aber fast vor dem Schulungsgebäude, abfahren. Zwischen Büroschluss, heute wollte sie bis 18 Uhr in der Firma bleiben, und Kursbeginn würde sie dann eine Stunde freie Zeit haben. Vielleicht hatte Horst in der Nähe einen Termin und sie könnten sich kurz sehen. Sie schrieb diese Frage mittags in ihr SMS an ihn, gleich zu Beginn, als erstes. Leider wäre er heute im Oberland bei Kunden, schrieb er zurück, was ihm sehr leid tue. Er vermisse sie total, würde sich über ein Mail von ihr freuen, auch wenn es erst spät abends wäre…

      Eva hatte heute zeitgleich Mittagspause mit ihr. Dank gemeinsamen Handy-Spartarif kostete das ausführliche Quatschen so gut wie nichts. Marianne wollte sich thematisch auf den heute beginnenden Italienischkurs und auf was-unternehmen-wir-beide-am-Wochenende einschießen. Eva interessierte nur, wie es gestern mit Mariannes neuer Eroberung, diesem Horst war.

      Marianne war zu diesem Thema bisher ja mehr als verschlossen, ihr gegenüber gewesen. Eva hatte an ihrer vibrierenden Stimme sofort erkannt, dass es da eine zu hebende, sicher hoch interessante Leiche im Keller gab. Leichen heben, Eva`s Lieblingsbeschäftigung. Dafür ließ sie sogar ihre Tasse Tee, Marke Eigenkomposition kalt werden und ein Schmacht-SMS von Mehmet, ihrem Fitnesstrainer unbeantwortet.

      Also doch Funkenflug, nein bereits Flächenbrand, aber hallo - noch besser, noch viel interessanter – es gab Großalarm!

      Eva hatte gewaltig die Neugierde gepackt. Bohrte und drängelte Marianne, mit um zwei Oktaven höherer Stimmlage. Um fünf soll sich Marianne aus dem Büro schleichen, sie würde mit dem Auto vor der Türe stehen. Fast zwei Stunden Zeit zum ausgiebigen Ausschlachten des gestrigen Nachmittages zur Verfügung haben. Da müssten selbst die Beistriche, in der erwarteten, haargenauen Schilderung, Platz finden. Seufzend gab sich Marianne geschlagen, wusste dass sie nicht auskam…

      Eva nippte an ihrem Grapefruit-Orangenmix, ließ den Eiswürfel wieder ins Glas zurück flutschen. Zog ihre elendslangen Beine unter dem kleinen, runden Tisch hervor, wischte eine winzige Undefinierbarkeit von ihrem extravagant hohen, hellgrünen Pumps. Marianne hatte gerade die optische Beschreibung ihrer neuen Liebe beendet. Unterbrochen durch jede Menge Zwischenfragen, hatten ihre Schilderungen über eine halbe Stunde gedauert.

      >Da hat dir sein Seismograph aber ganz gehörig etwas geboten. Typen mit Stiernacken haben ja sonst mit diesem Tier auch noch was gemeinsam. Das erinnert mich an diesen Hans, den Zillertaler, den ich dann kaum wieder losgeworden bin. Nur weil ich mir auch einmal einen Zuchtstier angelacht habe. Kannst du dich erinnern? <

      Marianne konnte(vage…).

      > Komm, spann mich nicht auf die Folter, wie lief´s denn ab, erzähl schon. Und spar nicht wieder mit den Details. Du weißt, ich hasse es, dir immer die Würmer einzeln aus der Nase zu ziehen. <

      Marianne brauchte etwas Anlaufzeit, auch der Intimfreundin gegenüber. Eva hackte dort nach, fragte da hinterher, hatte nach einer weiteren halben Stunde eine filmreife Wiedergabe. Angefangen von Mariannes Abholung vor ihrem Büro, bis zum Fallen des Vorhanges um 20 Uhr. Natürlich freute sie sich mit Marianne, freute sich ehrlich für sie und mit ihr. Gönnte ihr jede glückliche Sekunde aus ehrlichem Herzen, nur…