Martin Winterle

Brief an Marianne


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ihrer stetig steigenden, inneren Unruhe?

      Marianne lehnte mit ihrem ganzen Oberkörper aus dem Fenster als Eva die Küchentüre öffnete. Für sie der blanke Horror. Machte schweigend kehrt, startete den nächsten Versuch einige Minuten später. Glück gehabt, Marianne stand mit beiden Beinen am Küchenboden, meinte lachend:

      >Wenn ich fliegen will, dann sicher nicht aus deinem Fenster. Höhenflüge mit weicher Landung in seinen Armen, das ist das wahre Leben, Eva, glaub mir! <

      Gemeinsam ging eine Antistaubaktion über die Bühne, sämtliche Böden wurden anschließend gesaugt und gewienert.

      Für Unterhaltung war Eva im Alleingang zuständig gewesen.

      Zum Thema Frühjahresmode, was ankam und was die signalroten Kleiderbügel, trotz reißerischer Sonderangebote, selbst zu Dumpingpreisen nicht verlassen würde, weil schlicht nicht tragbar. Erzählte von Conny, einem ihrer Lehrmädchen, das diese im dritten Monat schwanger, von ihrem Freund stehen gelassen wurde. Philosophierte lang und breit zum Thema Umsatz. Das trotz bester Verkaufszahlen, eine Ganztagsverkäuferin eingespart werden würde. Auch an der Kasse solle eine Halbtagskraft die Stelle einer Vollzeitbeschäftigten ersetzen, usw. Irgendwann fiel der guten Eva auch nichts mehr zu ihrem beruflichen Alltag ein. Einige Minuten herrschte schweigsames Staubsaugerkabel einrollen, Putzutensilien verräumen.

      >Mädel vielen lieben Dank. Ohne dich hätte ich mir diese Plackerei erst gar nicht angefangen. Hinter meinen halbblinden Fenstern weiter wie ein Maulwurf im Halbdunkel gehaust. Bist echt ein Goldschatz! <

      Bedankte sich Eva mit einer Umarmung bei Marianne. Da es zum Pasta kochen noch viel zu früh war, schlug Eva vor, mit einem kühlen Getränk, einen Stock höher hinauf, ins Turmzimmer zum Quatschen zu steigen.

      Der sonnendurchflutete, mit nach oben hin abgerundeten Glasfenstern gebaute Raum, strahlte auf Marianne immer ein Gefühl von Weite und Freiheit aus. In jeder der vier Ecken standen Bücherregale. Dunkel gebeiztes, verschnörkeltes Holz, bis an die Decke angefüllt mit alten Wälzern. Neben einem kleinen Lesetisch, einem passenden uralten Ohrensessel aus abgegriffenen, cognacfarbigen Leder, hatte Eva´s ehemalige Ausziehcouch hier ihren Alterswohnsitz gefunden. Eine altertümliche Stehlampe mit Blumenschirm aus verschiedenfärbigen Gläsern, komplettierte das Mobiliar. Jede Menge bunter Polster und Decken hatte Eva zu einer kunstvollen Collage, auf ihrem Jogaplatz verstreut.

      Verträumt drehte Marianne ihr Limonadenglas zwischen ihren Fingern, meinte nachdenklich, zögernd:

      >Mittwochnachmittag geht sich immer aus, für Horst und mich, weißt du. Ich freue mich die ganze Woche auf diese, unsere Stunden, ja ich glaube fast, ich lebe nur für diese Momente. Mein Herr Sohn ist bis sechs Uhr in der HTL, geht anschließend Handball. Seinen Handballverein würde er auch halbkrank nicht ausfallen lassen. Das ist fix. Nur, mir ist dieser eine Nachmittag in der Woche zu wenig. Freilich, wir telefonieren täglich oder schreiben uns. Warum können wir uns nicht zusätzlich manchmal auswärts treffen? Abends einfach so, auf einen Spaziergang, wie andere Paare es ja auch tun? Klar, er wohnt im Unterland, wenn er dienstlich dort zu tun hat, verstehe ich schon, wenn er nach dem letzten Kundentermin nicht noch herauf fahren will. Oft hat er aber in der Nähe zu tun. Mindestens drei Mal die Woche, fährt er auf der Heimfahrt, direkt bei mir vorbei. Müsste nur von der Autobahn runter. Wenn es nur für ein paar Minuten wäre… <

      Marianne hatte sich einen Polster ins Kreuz geklemmt, ihre Beine angezogen, sich in die Couchecke gekuschelt.

      Nun war das Thema also unwiderruflich auf dem Tisch.

      Eva versuchte, so cool und logisch, als möglich zu bleiben, meinte gespielt ruhig:

      >Ihr kennt euch jetzt erst ein paar Wochen. Vielleicht muss er sich erst über seine Gefühle zu dir im Klaren sein. Natürlich sagt er, dass er dich liebt. Logisch, dass er dich am liebsten mit Haut und Haaren fressen würde, verstehe ich vollkommen. Aber Gefühle sind die eine Sache, das Leben die andere. Hast du dich zwischenzeitlich eigentlich schon über seine Lebenssituation schlau gemacht? Lebt er alleine? <

      Eva hatte mit dieser Frage hoch gepokert, musste unbedingt Mariannes aktuellen Wissensstand erfahren. Nein, Marianne wollte Horst zwar längst fragen, traute sich aber nicht. Aus ihrer zögerlichen Antwort folgerte Eva, dass sie möglicherweise etwas ahnte, ja befürchtete, gleichzeitig Angst vor der Wahrheit hatte, ganz massive Befürchtungen hegte. Ihren Traum, ihre Illusion nicht wie eine Seifenblase platzen sehen wollte.

      Die Wahrheit über Mariannes neue Liebe, Eva durfte sie nicht mehr länger für sich behalten. Unruhig rutschte sie zwischen ihren beiden Kuschelpolstern hin und her, leerte ihren Pfirsichjuice in einem Schluck, gab sich einen Ruck, begann zu erzählen…

      >Marianne, ich habe dir letztes Jahr, nach der Weinkost in der Messe, doch von der enormen Parkgaragenrechnung erzählt. Vom One-Nigth-Stand mit dem Typ, diesem smarten Peter. Du erinnerst dich sicher daran. <

      Als Marianne, mit angespanntem Gesichtsausdruck nickte, fuhr sie fort:

      >Ja, und wie ich gestern deinen Horst gegoogelt habe, bin ich auf seinen Arbeitgeber gestoßen. Übrigens die einzige Internet Infoquelle, die ich gefunden habe, Rest ist Schweigen. Da habe ich mir die anderen Außendienstler natürlich auch angeschaut. Und was glaubst du, habe ich gefunden? Genau, meine damalige Eroberung. Hab´ ihn auch gleich angerufen und ausgequetscht. Was ich erfahren habe, wird dich jetzt nicht in Jubelstimmung versetzen, Mädel. Aber es ist sicher das Beste für Dich, wenn ich dich über deine Eroberung in Kenntnis setze, bevor du es von woanders erfährst. <

      Eva hatte in zwar offenen, aber auch ernstem Tonfall gesprochen, Marianne dabei geradewegs in die Augen gesehen. Deren Lippen waren schmal geworden, sie ahnte was kommen würde. Und es kam auch, noch um einiges schlimmer, als sie es geahnt, befürchtet hatte.

      Eva erzählte, Wort für Wort, was ihr Peter über diesen Horst berichtet hatte. Bei – verheiratet- war Marianne kurz zusammen gezuckt. Bei den zwei kleinen Buben, war ihre mühsam, aufrecht erhaltene Fassung zu Ende.

      >Das kann gar nicht sein, es ist unmöglich! Horst liebt mich…ganz ehrlich…er liebt nur mich…hat es mir geschworen! Das muss alles ein blöder Irrtum sein! Es gibt viele Männer die Horst heißen. Mein Horst ist nicht so. Er hätte es mir gesagt, ganz sicher sogar. Er würde mich nie so enttäuschen, so hintergehen. Ich liebe ihn…liebe ihn mehr…als alles andere! <

      Die Tränen, die sie zurückhalten wollte, rannen ihr nun umso mehr über die Wangen, sie schluchzte herzzerreißend, zitterte am ganzen Körper. Ihr Gesichtsausdruck wechselte von fassungslos unverständlich zu hilflos, komplett verstört. Eva war rasch aufgestanden, hatte sie in den Arm genommen, ihr Gesicht an ihre Brust gedreht. Da erst löste sich die ganze Wucht der aufgestauten Enttäuschung. Eva schwieg, summte diesmal keine indische Gurumelodie, war ganz ruhig. Einfach nur da, für ihre beste Freundin da. Die Arme stammelte unzusammenhängende Silben, halbe und ganze Wörter. Sie hielt sich an Eva´s Oberarm fest, wie eine Ertrinkende. Es dauerte lange, bis sie ruhiger wurde, ihren Kopf von Eva´s Hals löste und sich aufrecht hinsetzte. Eine lange Minute sah sie einfach nur gerade aus, wie wenn sie im Turmzimmer etwas fixieren wollte. Irgendwo Halt für ihren fassungslosen Blick suchte.

      Die Papiertaschentücher waren alle, lagen als nasse Knäuel, verstreut am Boden. Eva spurtete einen Stock tiefer um eine Hunderterpackung zu holen. Ihr Laptop wanderte ebenfalls einen Stock höher.

      >Bitte beruhige dich Mädel, schau es tut weh, das weiß ich doch. Aber wir reden ja darüber, ich bin ja da. Komm ich zeig dir, wie ich den Peter gefunden habe. <

      Eva öffnete Internet und Mailprogramm. Peter hatte ihr gestern bereits zurück geschrieben, hoffte dass er mit seinen Infos hilfreich sein konnte und – riet der unbekannten Freundin Marianne, so schnell als möglich die Hände von seinem Tiroler Kollegen zu lassen. Im nächsten Monat wäre er Teilnehmer bei einem Sommelier Meeting in einem Kitzbüheler Gourmettempel, wäre übers Wochenende im Lande und fragte Eva, ob sie nicht Lust auf ein Treffen hätte.

      Marianne hatte das Mail mitgelesen, angelte sich wortlos ein neues Papiertaschentuch, schnäuzte sich gründlich. Sie stand auf, ging ins Badezimmer hinunter, wollte