Martin Winterle

Brief an Marianne


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ein wenig Wasser für die kleinen Sprießlinge. Mit beiden Händen hielt sie sich am Geländer und schaute nach Nirgendwo hin. Es war windstill und bedeckt, regnete aber nicht. Vom Turm der Stadtpfarrkirche läuteten die Mittagsglocken. Ihr Sohn kam aus dem Bad geschlichen, machte einen übernächtigten Eindruck und meinte auf ihre Frage, ob er hungrig sei, und auf was er am meisten Lust hätte:

      >Mutsch, mach deine Spinatknödel, Pizza habe ich in vier Tagen, glaube ich dreimal gegessen, die hängen mir schon zum Hals raus. <

      Viel mehr Konservation war nicht drin, er war in seinem Zimmer verschwunden. Sollte sie die Sporttasche ausräumen und die Schmutzwäsche in den Wäschekorb geben? Ganz sicher nicht!

      Die Spinatknödel mit Buttersauce waren fertig. Marianne hatte sinnvollerweise alle acht Stück ins heiße Wasser gegeben. Ihr Nachwuchs setzte sich zu ihr, ließ sich das Essen schmecken. Auf ihren Teller lag nur ein Knödel. Sie hatte ausgiebig gefrühstückt, zudem schnürte ihr sie Sache mit Horst den Magen zu. Marianne fragte, wie es mit dem Maturaprojekt laufe und ob er von der Montanuniversität Leoben schon etwas gehört hätte. Hatten sich ja seit Anfang der Woche nicht mehr gesehen, nur kurze SMS ausgetauscht.

      >Der Maturatermin ist jetzt auch fix. Wir sind am 19. und 20.an der Reihe. Die Präsentation von unserem Gruppenprojekt wollte der Direx vorverlegen. Geht jetzt aber nicht, kein Platz in der Aula…und im Klassenzimmer, nein danke. Wir haben dagegen protestiert, war auch echt notwendig, in der Klasse schaut sich´s keine Sau an. Da findet ja keiner hin. Stehst dir den halben Tag die Füße in den Bauch, und keiner will’s erklärt haben. Dafür die ganze Plackerei, ohne uns. Klar die Eltern kommen…du kommst doch auch, hoffe ich? <

      Zwischen Knödel drei und vier, sah er seine Mutter fragend an.

      Sie nickte etwas abwesend, stand auf um den Termin im Kalender zu fixieren. Natürlich wird sie kommen, klar. Wenn ihr Großer sein Projekt präsentiert, durfte sie nicht fehlen.

      >Wegen Leoben, hat sich was verändert. Ich hätte lieber Industriellen Umweltschutz inskribiert, die sind aber mehr als voll, und die Warteliste ist mir zu ungewiss. Bin jetzt fix bei den angewandten Geowissenschaftlern eingeschrieben. Die Bestätigung habe ich letzte Woche per Mail bekommen. Natürlich machen die´s vom Maturazeugnis abhängig. Aber da hab ich echt keine Panik, das ist gelaufen, kannst dich verlassen, Mutsch! Hab ich´s dir echt nicht erzählt? <

      Marianne konnte sich nicht erinnern, auch mit den beiden Studienrichtungen, nichts anfangen, sich nichts Konkretes darunter vorstellen. Meinte aber, das sei super und sie freue sich ehrlich.

      >Du Mutsch, kommenden Samstag beginnen unsere Frühjahresmeisterschaften. Zu den Heimspielen kommst du doch, oder? Du kannst ja die Eva mitbringen, die so schrill zwischen ihren Fingern pfeifen kann, und diese schiefe Ines. Wir können jede Menge hübsche Cheerleader brauchen, die uns anfeuern. <

      Ihr Sohn war zu seinem Lieblingsthema gewechselt, Marianne einer seiner treuesten Fans.

      >Die schräge Ines, meinst du. <

      Korrigierte ihn seine Mutter lachend.

      >Wenn es mir ausgeht, komme ich selbstverständlich. Deine Oma nehme ich aber nicht mehr mit, mir haben die letzten Herbstmeisterschaften gereicht. Sie kriegt ja immer einen halben Herzinfarkt, wenn du zu Boden gehst. Hat schon Angst, wenn du die Hände zu hoch hinauf reckst, dass du dir vielleicht was überdehnen könntest. Also sag bitte zu Oma nichts deswegen, ok. Was machst du mit Handball, wenn du in Leoben studierst? <

      Interessierte Frage von ihr. Er hat sich bereits beim dortigen Club angemeldet, berichtet er.

      Ihr fiel gerade auf, wie selbständig ihr Sohn geworden war. Aber auch, dass sie eigentlich vieles aus seinem aktuellen Leben gar nicht mehr wusste. Früher hatte sie über jeden Schritt ihres Buben Bescheid gewusst. Heute fehlten ihr massenweise Informationen. Oft kannte sie nur noch die Überschriften seiner Unternehmungen, die Inhalte aber nicht. Irgendwie stimmte sie das traurig, sie sah ihn melancholisch liebevoll an, während er weiter erzählte, voll Genuss auch den Letzten, seiner sieben Spinatknödel kauend.

      Einen Platz in einer WG hatte er seit ein paar Wochen. Etwas außerhalb gelegen, zusammen mit zwei weiteren Tirolern. Mit dem Fahrrad in wenigen Minuten, Universität und City erreichbar. Hatte er ihr erklärt, auch dass die Altbauwohnung billig, zudem urgemütlich möbliert sei. Wegen dem Stipendium sei er ebenfalls hochaktiv am Ball, und dann wäre da noch:

      >Apropos Oma…ich hab mit ihr kürzlich gesprochen…ob ich nicht zu ihr ziehen könnte. Sie hat ja vier Zimmer, davon stehen zwei leer. In Hall bin ich eh dann nur noch in den Semesterferien, selbst da werde ich mir Arbeit suchen, möchte mir etwas verdienen, möglicherweise sogar mit Praxis kombinieren. Ich denke, es ist auch in deinem Sinn, dann hast du endlich sturmfreie Bude. Kannst mein Zimmer zu einem Schlafzimmer umfunktionieren. Wie find’s du das? <

      Sie war sprachlos, das war ein bißchen viel auf einmal. Sie wollte wissen, was ihre Mutter dazu meinte. Zu ihr hatte sie nämlich bis heute kein Wort zu diesem Thema gesagt. Oma wäre begeistert gewesen, über diese, seine Idee. Sobald als möglich würde er übersiedeln. Seine Möbel würde er einem Handballfreund für dessen Studentenbude schenken. Opas ehemaliges Arbeitszimmer(eigentlich Mariannes Mädchenzimmer..), wird leergeräumt und Oma spendiert eine funkelnagelneue Einrichtung! Alles schon ausgemachte Sache, nur sie hatte nichts davon erfahren. Wusste nicht, ob sie darüber jetzt sauer sein sollte, oder nicht. Schluckte ihre Meinung darüber hinunter und meinte, das wäre echt super. Ja, wirklich eine coole Idee. Welche Konsequenzen diese Veränderungen für ihr eigenes Leben bedeuten, realisierte sie in diesem Moment noch gar nicht wirklich.

      Ihr Herr Sohn leerte seine Sporttasche selber, stopfte die schmutzige Wäsche in den Wäschekorb (Wunder eins…). Fragte, ob sie Lust hätte, heute Abend mit ihm zu paschen, sie hätten das doch früher so oft gespielt(Wunder zwei…). Klar, sie würde sich freuen, sagte Marianne ehrlich erstaunt.

      Nun würde sie aber die Küche aufräumen und mit Oma auf den Friedhof fahren. Nein, die Küche würde ihr Sohn aufräumen(Wunder drei…). Sie könne schon losziehen, Oma wartet sicher schon auf sie, wie immer. Wann hatte er das den das letzte Mal angeboten? Auf das Würfelspiel am Abend freue sie sich, bekräftigte sie nochmals. Schön, einmal eine gemeinsame Zeit mit ihrem Sohn zu haben. Schnappte sich ihre Handtasche, Handy, Schlüsselbund, gab ihrem Großen einen dicken Schmatz auf die Wange. Sollte heißen, ich liebe dich und bin sagenhaft stolz auf dich!

      Weit war sie nicht gefahren. Direkt vor der alten Stadtmauer, links auf einen Parkplatz eingebogen. Weit hinten suchte sie sich einen freien Platz, unter einer alten Kastanie, öffnete die Türe. Aussteigen wollte sie nicht, brauchte nur Luft zum überlegen. Die Digitalanzeige auf ihrem Handy zeigte 14 Uhr.

      Zeit zum Aufräumen!

      Es hat keinen Sinn länger zu warten, es würde sie ohnehin erdrücken. Egal wie es ausgeht, sie braucht Klarheit und zwar so schnell als möglich! Wollte nicht darüber nachdenken, was Eva ihr gestern alles berichtet hatte, als ihre beste Freundin, einfach sagen hatte müssen. Was Marianne wollte war Klarheit, die Wahrheit wissen, dann entscheiden!

      Wählte entschlossen Horsts gespeicherte Kurznummer.

      Es läutete ein paarmal bevor sich die Mailbox meldete.

      >Hallo Horst, bitte ruf mich zurück, ich muss mit dir reden. <

      Nicht mehr und nicht weniger, sprach sie auf sein Tonband. Wahrscheinlich war gerade Familiensonntagnachmittag angesagt, dachte sie, leicht verbittert. War gerade im Begriff loszufahren als das spezielle Horst Signal erklang.

      Rasch stellte sie den Motor wieder ab, nahm das Gespräch an.

      Er klang angespannt, durch Ihre förmliche Nachricht irritiert. Sie fiel auch gleich mit der Tür ins Haus. Morgen um 17 Uhr soll er bitte vor ihrem Büro auf sie warten. Am Telefon wollte sie ihm jetzt nicht sagen, um was es genau geht. Nur so viel, dass ihrer Beziehung auf dem Spiel steht. Er klang fassungslos, bat sie doch deutlicher zu werden. Marianne sagte nur noch, dass es kein Thema für ein Telefonat sei, ganz bestimmt nicht. Das ginge nur persönlich zu klären. Mit einem kurzen Adieu, drückte sie die Endetaste. Das SMS, das wenige