Martin Winterle

Brief an Marianne


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Sie beide ganz alleine, sie ganz nahe bei ihm, nur für ihn da, nur wegen ihm gekommen. Zeit, jedes einzelne Detail ihres hübschen Gesichtes zu verinnerlichen, dem warmen Klang ihrer Stimme aufzusaugen. Damals war ihm erstmals aufgefallen, dass Marianne sehr schöne Hände hatte. Nicht dünne Spinnenfinger wie Sabine, keine Wurstfinger wie viele andere. Ebenmäßige, gepflegte Finger, lange Nagelbetten, eine sanfte, weiche Haut. Die ihm nicht verwehrte, seine Finger zwischen die ihren zu schieben. Wie schön war es gewesen, sie nach Hause fahren zu dürfen. Einige Minuten verlängerte Gemeinsamkeit, zu gewinnen.

      Wie sehr ihn seine Ungeduld gereut hatte, als Marianne, bei ihrem zweiten Mittwochnachmittag Date, zärtlich bestimmend, seine Hand unter ihrem Pulli wieder hervorgeholt hatte. In den Hintern gebissen, hätte er sich am liebsten. Mit seinem unüberlegten Vorpreschen, sich um ein Haar jede weitere Chance bei ihr verbaut. Unendlich dankbar war er ihr gewesen, dass sie ihm den Ausrutscher verzieh.

      Dann kam der letzte Mittwoch an die Reihe.

      Horsts Fingerknöchel traten weiß hervor, so malträtierte er das unschuldige Lenkrad.

      Er begann zu stottern, brachte das Meiste durcheinander, begann zu schluchzen. Es war so unendlich schön mit ihr gewesen. Sie sei die hingebungsvollste Frau, die es auf der ganzen Welt geben würde. Keine andere, konnte je einem Mann so viel geben, wie sie ihm an diesem Nachmittag schenkte.

      Was hätte er dafür gegeben, wäre dieser Nachmittag nie zu Ende gegangen.

      Ja, es stimmte alles was Marianne ihm vorwarf. Es war alles seine verdammte Schuld, seine Fehler.

      Horst suchte vergeblich in seinen Hosensäcke nach einem Taschentuch. Sie gab ihm ihre Packung aus der Handtasche.

      Ruhig und gelassen, hatte sie sich den mehr als halbstündigen Vortrag angehört.

      Sie war Marianne, gut, war nicht Eva(leider), aber auch weder Ruth noch Sabine(Gott sei Dank)!

      Marianne sagte nicht viel, manches wäre ihr eingefallen, was sie ihm noch an den Kopf werfen könnte. Nur wozu?

      Nein, sie wollte ihn nicht mehr wiedersehen. Vergessen, je eher desto besser.

      >Hör zu, es ist besser, wir lassen das Ganze. Hab´ echt keine Lust mit einem Typen zusammen zu sein, der erstens zu einer anderen gehört, zu dem ich zweitens, kein Vertrauen mehr haben kann. Dazu bin ich mir zu schade! Ich wünsch´ dir alles Gute, aber lass mich in Zukunft in Frieden! <

      Horst wollte noch etwas sagen, sie am Arm halten. Sie hatte sich losgerissen, war ohne sich noch einmal umzudrehen, zum Hintereingang gelaufen. Vierzig Minuten bis Unterrichtsbeginn, über das Treppenhaus ging sie in den zweiten Stock hinauf, dort lag ihr Unterrichtsraum. Hielt sich links, trat auf die große Terrasse hinaus.

      Niemand da, was für eine Erleichterung!

      Eva würde heute früher von der Firma losgefahren sein, sie wollte sie gleich anrufen, nur kurz reden, genaueres würde es dann spät am Abend geben. Ob Eva nur einen bestimmten Teil von Mehmet, oder Benjamin als Ganzes, fallen gelassen hatte, fragte sie nicht. Eva hob beim ersten Klingelton ab. Sie hatte gespannter auf diesen Anruf gewartet, wie Systemspieler auf die wöchentlichen Lottozahlen. Was Marianne zu berichten hatte, klang wie Musik in Eva´s Ohren. Genaueres dann später, die Uhr zeigte wenige Minuten, bis Unterrichtsbeginn.

      Müde, ausgelaugt, fertig, Mariannes Zustand, als sie gegen 23 Uhr ihre Wohnung aufsperrte. Ihr Sohn war gerade im Begriff, ins Bett zu kriechen, wünschte ihr noch eine gute Nacht. Sie aß noch eine Kleinigkeit. Appetit hatte sie keinen, aber einen knurrenden, sein Recht einfordernden Magen. Mit Eva telefonierte sie nur kurz, das wichtigste war ja gesagt. Zog das Schlafteil ihrer Couch heraus, kleidete sich für die Nacht um, machte das Licht aus. Ihr Handy hatte sie lautlos gestellt. Mails an Horst würden künftig entfallen.

      Sie wollte nur noch Ruhe, Dunkelheit, ihren Frieden, vor allem den Frieden von Horst.

      Damit würden sie künftig entfallen, ihre freien Mittwochnachmittage…

      Vierzig – eine unvergessliche Reise

      Flug OS 0283 rollte langsam Richtung Startbahn. Hob Punkt 14 Uhr 30 vom Boden ab.

      >Ich freu´ mich total Mädel. Wir haben das oberheißeste Wochenende vor uns, das du dir nur vorstellen kannst. Bin gespannt, ob sie an der Alster, außer dem König, auch noch andere Löwen, im Programm haben. <

      Eva hatte ihr mit vielsagendem Grinsen, freundschaftlich auf den Schenkel geklopft. Marianne war in den letzten Minuten irgendwie wortkarg geworden. Es musste eine Ewigkeit her sein, dass sie das letzte Mal in einen Flugzeug saß. Beruflich brauchte sie nicht zu fliegen, privat konnte sie es sich in den letzten Jahren nicht leisten. Die Ausbildung ihres Sohnes, vor drei Jahren das neue Auto, das alte hatte seinen Geist aufgegeben. Eine Flugreise wäre nicht drin gewesen. So groß war ihr Gehalt nun wirklich nicht. Eva war da viel besser gestellt. Verdiente deutlich mehr, hatte kein Kind, musste nichts für ihre Wohnung bezahlen. Selbst die Schlüssel zu ihren nagelneuen, gelben Flitzer, hatte ihr Paps vor zwei Monaten zum Fünfundvierziger mit einem, farblich passenden Blumenstrauß überreicht. Marianne saß auf dem Fensterplatz, Eva neben ihr. Dieser Flug, war für die Airline kein großes Geschäft, kaum zwanzig Passagiere, verteilt auf den ganzen Flieger. Normalerweise war dieser Kurs immer ausgebucht. Noch einmal hielt die Maschine kurz an, um dann mit rasant zunehmender Geschwindigkeit, abzuheben. Einen leisen Ruck verspürte sie in der Magengegend. Rasch gewann der Flieger an Höhe. Links kamen die Ötztaler Alpen, rechts die Hohe Munde näher. Stetig steigend, sich leicht rechts haltend, überflogen sie das Mieminger Plateau. Marianne genoss die Aussicht, von keiner einzigen Wolke getrübt, von keinem plötzlichen Durchsacken der Maschine beeinträchtigt. Strahlender Sonnenschein über dem Ausserfern, adieu Tirol. Das Allgäu von großer Höhe aus, in der Ferne der Dunst des Bodensees. Für sie ein echtes Erlebnis. Wie sehr hatte sie sich auf dieses Wochenende mit Eva gefreut, wie gut tat es ihr, auf die Turbulenzen mit Horst hinauf.

      Eva löste die Sicherheitsgurte, orderte bei der Stewardesse zwei Prosecco. Mit den Plastikflötenimitationen stießen sie an, auf das Unternehmen Löwenkönig zum Vierziger.

      >Hat er dich eigentlich bislang in Ruhe gelassen, dein nimmersatter Kopfkissenzerwühler? <

      Eva hatte es ganz locker herausgelassen.

      Marianne die letzten beiden Wochen zu diesem Thema ja beharrlich geschwiegen. Nein, nicht wirklich, antwortete sie kopfschüttelnd. Wenn er anrief, hob sie nie ab. Auf seine SMS und Mails konnte sie ihm nicht antworten, da sie ausnahmslos alle Nachrichten von ihm, augenblicklich in den Müll verdonnerte.

      >Dann ist dir ja ernst, mit dem Aus auf alle Zeiten, oder? <

      >Vollkommen, soll sich gefälligst um seinen Nachwuchs kümmern, eine andere Dumme für seine Vergnügungen suchen, mir meinen Frieden lassen! <

      >Ja dann, auf ein Neues! <

      Triumphierte Eva mit einem siegessicheren Lächeln, nippte an ihrem Prosecco, fuhr gleich locker weiter:

      >Lieber einen Notfallgummi in der Tasche, als so eine Kaulquappe im Bett! Typen wie Horst kriegst du an der nächsten Tankstelle, im Stehcafé und an der Bushaltestelle. Überall im Sonderangebot, glaub mir. Bin froh, dass diese Geschichte endlich Nostalgie ist, hat eh zu lang´ gedauert, für meinen Geschmack. <

       Marianne sagte nichts, nickte nur, sah auf das weit unter ihr liegende Land. Es nahm sich aus wie abgezirkelt wirkende Kästchen, in grün und braun. Unterbrochen von Straßen und Autobahnen als graue Längs- und Querstriche. Die Dächer wirkten wie rote Punkte dazwischen. Immer wieder blaugrüne Flüsse und Seen in allen möglichen Formen.

       Ihr kam vor, die Maschine verlor an Höhe, die Bilder unter ihr wurden deutlicher, die Einzelheiten besser erkennbar. Sie sah Eva an, diese auf ihre Armbanduhr. In zehn Minuten, meinte diese, wären sie bereits in Frankfurt. Ihr war der Flug bisher, wie ein einziger, spannender Augenblick vorgekommen. Hatte ihr Zeitgefühl in Innsbruck, am Flughafen gelassen. Vom überdimensionalen Frankfurter Airport