Martin Winterle

Brief an Marianne


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      Das war genau Mariannes Vorstellung vom restlichen Hamburger Nachtleben. Die Massen hatten sich verlaufen, der Lärm ebbte ab. Die Straße zum Hotel wurde ruhiger, Samstagabend in der Großstadt…

      Die Bar, von außen eher dezent und unscheinbar, entpuppte sich im Inneren, als gemütliches Etablissement. Um Evas lange, zwischen den Sesselreihen, eingequetschten Beinen, endlich das Durchhängen zu ermöglichen, steuerten sie die Bar an. Tische wären genügend frei gewesen. Marianne hatte, gleich vorweg erklärt, dass das ihre Einladung sei. Die Karte der Longdrinks, Cocktails und härteren Getränken, das Flair der großen, weiten Welt. Als deren Tor ja Hamburg gerne bezeichnet wird. Marianne bestellte, nachdem sie sich über Inhalt und Zusammensetzung informiert hatte, zwei absolute Exoten. Von den Cocktails waren beide begeistert, auch wenn der Name unaussprechlich, die Geschmacksrichtung nicht genau definierbar war, sie schmeckten nach mehr…

      Der kleine Asiate in schwarzen Anzug spielte leise, dafür fehlerfrei, klassische Filmmusik auf seinem Piano. Musikalisch waren sie in dieser Bar vor La Paloma, Freddy Quinn und Hans Albers, absolut sicher. Nicht aber vor „Junge komm bald wieder“…

      Das blaue Schildkappen mit silberfarbigem Anker, weißer Rollkragenpulli und dunkelblauer Blazer mit aufgenähtem, rotem Segelschiff auf goldenem Grund, nicht zwangsläufig aus einem Schwaben einen Hochseekapitän machten, erlebten die Freundinnen, wenig später. Die beiden Bodenseefischer, platzsuchend hinter der Türe kurz anhaltend, setzten sich nicht etwa nebeneinander an die Bar. Nein, einer rechts von Marianne, der andere links neben Eva. Augenscheinlich beim heutigen fischen bislang erfolglos geblieben, starteten die zwei Anfang Fünfziger eine Offensive. Während Marianne den schwäbischen Konversationsversuchen, mit einem (müden…) Lächeln, gelegentlichen, sehr interessiert klingenden, ja und nein Antworten, locker gegenüberstand, sah es bei Eva anders aus. Deren neuer Linker, war anders gestrickt, als der holzige, sichtlich beleibte Freizeitkapitän, den sie ausgefassen hatte. Der gehörte schon eher in die Kategorie der smarten-Peter-Typen. Sie verfolgte lieber das Gespräch, das Eva angeregt, teilweise kichernd, sichtlich gutgelaunt, mit ihrem neuen Nachbarn führte. Wenig später gingen die beiden sogar tanzen, obwohl es keine direkte Tanzfläche gab, WOW!

      Das zeitlupentempoartige Vor-und zurückschieben, hatte mit tanzen im sprichwörtlichen Sinne, zwar nicht viel gemeinsam, schien ihnen aber sichtlich zu gefallen. Als ihr Nebenmann sie ebenfalls damit beglücken wollte, lehnte sie entschieden ab. Die beiden Herren logierten ebenfalls im Hotel Stella Maris, wie Marianne erfahren durfte. Sie hatte nicht danach gefragt, ihr redefreudiges Nebengeräusch, konnte keine Sekunde seinen Mund halten. Interessanter machte er sich bei ihr damit auch nicht. Etwas nach eins brachen die beiden Damen auf. Sie war ehrlich müde, sehnte sich nach ihrem Bett. Eva dagegen hatte noch Feuer im Blut. Die beiden Herren bezahlten ebenfalls, begleiteten sie ins Hotel. Hatten den gleichen Weg. Eva und ihre Eroberung unterhielten sich blendend. Im Foyer meinte Eva zu ihr, sie solle ruhig schon vorgehen, würde gleich nachkommen. Marianne blieb nichts übrig, als auch noch den Lift, mit ihrer Abendbekanntschaft zu teilen. Gott sei Dank, er stieg in der zweiten Etage aus, ohne noch lange herum zu schleimen.

      Obwohl sie sich im Bad Zeit gelassen hatte, lange nachdenklich an der geöffneten Balkontüre lehnte, war sie immer noch solo im Zimmer. Entgehen ließ sich die Eva nichts, musste sie gerade schmunzelnd denken. War froh, ihren unfreiwilligen Fang im zweiten Stock losgeworden zu sein. Kurz musste sie eingenickt sein, als sie ein leises pochen an der Zimmertür vernahm. Sie hatten nur einen Schlüssel, den hatte Marianne gebraucht. Die Türe nur anzulehnen, war ihr zu riskant gewesen. Eva grinste von einem Mundwinkel zum anderen. War echt noch eine nette Stunde gewesen, ein lustiger Typ, der Günther. Nein, er hieß diesmal nicht Peter. In ihre Telefonnummernsammlung würde sie ihn nicht aufnehmen. Hatte zu wenige Bonuspunkte sammeln können(in der kurzen Zeit…).

      Sonntagsfrühstück war für die Damen an diesem Morgen erst um neun angesagt. Dafür mit allem, was das Buffet zu bieten hatte. Über eine Stunde dauerte ihr Brunch, bevor sie ihr Zimmer räumten. An das Traumwetter von gestern erinnerte an diesem Morgen so gut wie nichts mehr. Das leise Nieseln begleitete ein unangenehm, steifer, kalter Wind, von der See her. Sie beratschlagten, was sie in der verbleibenden Zeit noch unternehmen könnten. Um 13 Uhr 30 ging ihr Flug nach Frankfurt. Dort hatten sie dann einen längeren Aufenthalt bis 16 Uhr 20. In Innsbruck würden sie voraussichtlich um 17 Uhr 35 landen.

      Ihre zwei Rollkoffer deponierten sie in der Rezeption, bummelten nochmals durch die vor Wind und Regen schützenden Arkaden. In Gedanken die beiden zurückliegenden Tage revuepassieren lassend.

      >Eva ganz ehrlich, ich weiß nicht, wie ich mich bei dir je werde revanchieren können, für dieses einmalig liebevolle Geschenk von dir! Du hast mir damit eine Riesenfreude gemacht. Dieses Wochenende wird mir unvergesslich bleiben, hundertprozentig. Du kommst doch am Samstag zu meiner Mutter, meinen offiziellen Geburtstag feiern? Mama wird dich sicher noch selber einladen. <

      Sie war stehen geblieben, hätte sowieso stehen bleiben müssen. Sie standen vor der Riesenglasscheibe einer Boutique, mit Schwerpunkt ausgefallener, französischer Schuhmode.

      >Klar, komme ich. Erstens lasse ich dich nicht alleine feiern, zweitens macht deine Mutter den besten Kuchen weit und breit. Was machst du eigentlich übermorgen, an deinem tatsächlichen Vierziger? <

      Wollte Eva wissen, ohne ihren schmerzlichen Blick, von einer winzig kleinen, dafür dreistelligen Ziffer in Euro, unter einem Paar, absolut untragbarer Pumps in leuchtendviolett, zu trennen.

      >Mit meinem Großen essen gehen, hat mich zum Griechen eingeladen, darauf bestanden, mit mir alleine zu feiern. Ich hab´s ihm versprochen, mich echt über diese nette Idee gefreut. <

      Erklärte sie, voller Stolz. Da fiel ihr ein, die Handballsaison ging los. Tante Eva soll bitte unbedingt auch kommen, auch gleich die schräge Ines mitbringen. Die Termine wird sie Eva schreiben. Zum Scherz nannte ihr Sohn, Eva gelegentlich seine „Tante“, hatte sie den Handballteamkameraden sogar schon offiziell, als solche vorgestellt. Diese hatte nichts dagegen, war sogar angetan davon, zumal sie keine eigenen Kinder hatte. Es wurde Zeit, zum Hotel zurück zu schlendern, die Koffer zu holen.

      Heute Sonntag fuhren die Öfis nicht so zahlreich wie werktags. Mit dem Bus kamen sie rasch und billig zum Airport. Checkten gleich ein, einen Becher Kaffee gab es hinter dem Schranken auch und quatschen kostete überall gleich viel. Hamburg verabschiedete die beiden Tirolerinnen mit Nieselregen aus tiefliegenden Wolken und einer steifen Prise. Gab ihnen zur Erinnerung, unvergängliche Momente mit in die Heimat. Der Inlandsflug nach Frankfurt startete planmäßig, begleitet von leisem Regen.

      Diesmal hatten sie mehr Zeit, einen der größten Flughäfen des Kontinents zu erkunden. Ihre Rollis nachziehend, spazierten sie in dem riesigen Komplex umher. Standen rechtzeitig bereit, ihre Maschine landen zu sehen. In Frankfurt nieselte es nicht, es goss wie aus Kübeln. Der Zubringerbus zum Flieger war komplett voll, die Maschine ausgebucht. Ab Montag fand im Congress eine internationale Ärztetagung statt. Die germanischen Medizinmänner(und Frauen…), reisten bereits am Vortag an. Der Flieger brauchte länger, als beim Herflug, um in die Luft zu kommen. Stieg auch nicht so rasant. Trotzdem dauerte es nur eine kurze Weile, bis die Sicht nur noch aus undefinierbaren, grauen Irgendwas bestand. Marianne konnte, trotz Platz am Fenster nichts Sichtbares unter sich ausmachen. Selbst der Anflug auf Innsbruck, war als solcher erst unmittelbar nach Telfs, erkennbar. Mit fast zehn Minuten Verspätung waren sie gelandet. Eva hatte für die letzten drei Tage ihren gelben Flitzer im Parkhaus, direkt am Flughafen abgestellt gehabt. Der Flug und auch die Fahrt zu Mariannes Wohnung, verliefen schweigend. Jede hing ihren eigenen, sentimentalen Gedanken nach. Direkt vor der Haustüre hielt Eva an, stieg mit aus, hievte Mariannes Rolli aus dem Kofferraum. Marianne nahm Eva in die Arme, hielt sie lange, fest an sich gedrückt, ohne ein Wort zu sagen.

      >Wir telefonieren morgen, Mädel, ok. <

      Presste Eva irgendwie hervor, stieg ein, wendete, ihr noch einen kurzen Gruß zuwinkend…

      Die schräge Ines

      Vor zwei Jahren…

      Mehrere Monate hatte die Generalsanierung der alten,