Martin Winterle

Brief an Marianne


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zu stürzen. Ihre, Eva´s liebevolle Hamburg Therapie, das Ergebnis ungezählter, intensiver Gespräche, getrockneter Tränen, mit einem Schlag zunichte zu machen. Mit dem dringendsten Ratschlag, sich nicht um den Finger wickeln, erneut ins Unglück stürzen zu lassen, beendete Eva, früher als eigentlich geplant ihren Anruf. Natürlich würden sie am Abend, nach dem Dinner von Mutter und Sohn, heute nochmals plaudern. Sie war nun echt unglücklich, mit sich, in sich, mit der, durch die blöden Rosen, entstandenen Situation. Hatte sich dadurch etwas verändert? Nicht, wenn sie nicht wollte. Es war vor den Rosen, genau wie jetzt, immer noch ihre eigene Entscheidung, sich mit Horst noch einmal, zu einer Aussprache zu treffen. Eines war klar, jetzt war es noch zu früh dafür, viel zu bald…

      Als eine der Letzten, verließ sie das Büro. So spät, nach 18 Uhr, ging sie selten heim, meist deutlich früher. Nicht, dass sie so viel zu tun gehabt hätte, nein das war´s wirklich nicht. Sie hatte nur keine Lust, im Moment irgendwo anders, als in ihrem Büro(bei Horsts Rosen?), zu sein. Bis zum Geburtstagsabendessen hatte sie ja noch reichlich Zeit.

      Wie immer, war es auch heute gemütlich, die griechischen Volksweisen als dezente musikalische Untermalung, zu einem vorzüglichen Mahl, gemeinsam mit dem großen Sohn. Führten eine angeregte Unterhaltung, lachten viel, über aktuelles, aber auch längst verstaubt geglaubtes.

      Bis in zwei Wochen müssten seine neuen Möbel zur Oma geliefert werden. Er freute sich schon darauf. Speziell auf den Arbeitsplatz, direkt unter dem großen, westseitigen Fenster. Auch wenn die Tage bis zur Abreise nach Leoben, nun nur noch zweistellig waren, er dann nicht mehr sehr oft im Lande sein würde, ein nagelneues Zuhause erwartete ihn.

      Die Termine für die Heimspiele seiner Handballmannschaft, hatte er für seine Mutter im Computer ausgedruckt, gab ihr die Aufstellung. Bat sie ausdrücklich noch einmal, mit den beiden anderen Damen im Schlepptau anzurücken. Sie versprach, sowohl Eva als auch die schräge Ines zu motivieren, Sport wenigstens passiv zu betreiben. Vor der anstehenden Matura hatte er keinen Bammel, ganz im Gegenteil, sie hätte morgen schon abgehalten werden können, würde es nach ihm gehen. Marianne hatte sie gut(leidlich…) überspielen können, ihre innere, fürchterliche Zerrissenheit. Ihrem Sohn war nicht das Geringste aufgefallen. Söhne dachten ja im Normalfall auch nicht daran, dass ihre Mutter, sich aus Liebeskummer, seelisch gerade in zwei Hälften teilte. Von denen, in Minutenintervallen wechselnd, die pro Horst und die dagegen, die Oberhand innehatten. Als sich ihr Filius in sein Zimmer verabschiedet hatte, wählte sie nochmals Eva´s Nummer.

      Für diese war es das ultimative Thema, wie sie sich entscheiden würde. Diese meinte, gleich einmal gar nicht. So aus der Emotion heraus, wäre es falsch, jetzt mit Horst nochmal zu reden. Sie hatte (berechtigt…)Angst, ihm nicht widerstehen zu können, seinem erneuten Werben um sie, nachzugeben…

      Auf jeden Fall war morgen Mittwoch, ein Mittwoch ohne Horst, dafür mit viel angedachter Arbeit. Sicher, sie würde bereits mittags mit dem Bus heimfahren, dann aber Wäsche waschen, im Zimmer von ihrem Sohn Staub wischen, sein Bett neu beziehen. Mittwochnachmittag ging seine Schule ja bis abends, anschließend war Handball angesagt, da benötigte er sein Zimmer nicht. Sie würde über ihrem Laptop sitzen, fällige und weniger notwendige Mails schreiben.

      Sich wechselweise ablenken…beschäftigen…ablenken…beschäftigen…

      Echt nur staubsaugen?

      >Du Mutsch, der Tobi und der Pinggi kommen heute nach dem Mittagessen. Tobi hat leihweise den alten VW Bus von seinem Opa. Bringen zuerst meine Sachen zur Oma, zerlegen dann die Möbel, hab ich dem Pinggi versprochen, für´s Zimmer in seiner neuen WG. <

      Nebenbei eingefügte Kurzinfo an sie zwischen hörbar, eingeschlürften Spaghetti mit Cola Spülung. Sollte heißen, fahr gleich zum Supermarkt, tausche etliche Semmel, genug Wurst und Käse, ein Glas süßsaurer Essiggurken und eine Einkaufsbox voll Limo Flaschen der XXL Größe, gegen eine Abbuchung von deiner Kreditkarte. Gestern waren seine Möbel geliefert und auch gleich montiert worden. Pünktlich, mit zwei Wochen Lieferzeit, wie vereinbart. Heute würden also seine Kumpels vom Handballverein das Zimmer leerräumen. Bis Marianne von ihrem Jausen Einkauf zurückkam, werkte das Räumkommando schon in ihrer Wohnung. Schachteln und Kartons in allen Größen hatten die Boys gleich mitgebracht, bei den diversen Geschäften im näheren Umfeld, Verpackungsmaterial geschnorrt.

      Ihre beiden, fast neuen Klappboxen, blieben trotzdem nicht verschont. Beladen mit CDs, DVDs und einer Unmenge von Kabeln, mit und ohne Stecker, in allen Farben. Vollgestopft bis über den Rand hinaus, standen sie bereits, zwischen Wohnungstüre und Aufzug. Sie würde sie nie wiedersehen(ihre zwei Klappboxen…).

      Um den Computer kümmerte sich Tobi. Baute ihn fachgerecht ab um ihn bei Oma gleich wieder in Betrieb zu setzen. Keine Kunst für ihn, besuchte er doch im Maturajahr die Elektronikklasse.

      Pinggi der glückliche, neue Besitzer von ihren alten Möbeln, konnte es kaum erwarten, endlich eigenes Mobiliar für sein Studentenzimmer zu bekommen. Noch dazu völlig kostenlos, nur für den Preis des Abholens. Hätte als Handballfreund sowieso beim Umzug geholfen, Ehrensache unter Torjägern. Mit dem Abziehen diversen Pop- und Sportstarposter von Tür und Wänden, wurde immer klarer, ausmalen war angesagt, einige Löcher erwiesen sich als mindestens Moltofillverdächtig. Sie hatte, in weiser Voraussicht, genug Futter für drei Löwen in der Wachstumsphase organisiert. Bis zum frühen Abend, lag kaum noch Wurst und Käse auf dem großen Küchenteller, Semmel hingegen, würde sie, ab morgen ja, für sich alleine, tagelang zu kauen haben.

      Sauber hatten sie Kästen, Schränke und Bett in Einzelteile zerlegt. Sollte ja in den VW Bus passen. Dreimal waren sie insgesamt gefahren. Die erste Fuhre nur wenige hundert Meter weit. Hatten die persönlichen Sachen von ihrem Großem in sein neues Reich überführt. Dann zwei volle Ladungen, für Pinggi´s neueste Errungenschaft. Ein halbes Playmobilmännchen, zwei rote Legosteine, eine verbogene Ansichtskarte von der Klassenfahrt nach Wien, hatte das fachgerecht auseinandergenommene Bettgestell herausgerückt. Welch überdimensionale Staubwutzel sich hinter den Kästen abgelagert hatten, kam ihr fast unglaublich vor. Den groben Schmutz entsorgten die Knaben gleich in den Müllraum, leisteten wirklich saubere Arbeit.

      >Mutsch kannst du uns bitte absaugen, wir sind fertig? <

      Mit den Resten, das von ihr reichlich bemessenen Jausen-Vorabendessen beschäftigt, einen letzten Schluck aus der Zweiliterplastikflasche saugend, standen die drei zwischen Tür und Angel, lehnten an der Küchendurchreiche.

      >Natürlich sauge ich selber ab, logisch, mach ich gerne. <

      Sie drückte ihren Sohn an sich, bekam sogar einen Kuss von ihm. Irgendwie kam es ihr eigentümlich schmerzvoll vor, jetzt wo es endgültig soweit war. Das erste Mal wird er also heute, nicht mehr in seinem alten Bett, sondern bei der Oma schlafen. Sie wünschte ihm von Herzen eine Gute Nacht. Als sich die Türe hinter den Burschen geschlossen hatte, bekam sie feuchte Augen, war richtiggehend traurig geworden…

      Musste sie wirklich – echt nur staubsaugen?

      Mechanisch holte sie den Staubsauger aus der Abstellkammer, zog ihn über den Teppichboden. Froh darüber, das saugende Geräusch zu hören, um die plötzlich eingekehrte Ruhe, nicht schmerzlich zu spüren, den Abschied, der ja kein echter war, als Tragödie zu empfinden. Der Teppichboden muss raus, soviel war fix. Die Kästen hatten deutliche, dunkle Konturen an den Wänden hinterlassen. Den Vorhang würde sie als letztes erneuern, konnte ihn mit der neuen Einrichtung abstimmen.

      Statt dem grauslichen Filzbelag wird sie Parkett verlegen lassen. Mittelgroße Bretter schwebten ihr vor, nicht dieses kleinkarierte Allerweltsmuster. Aus ganz hellem Holz, sollten sie sein. Laminat gefiel ihr nicht, zu glatt, hatte kein Eigenleben, nicht ihre Welt…

      >Sag Eva, bist du noch unterwegs, oder schon in deinem verstreuten Reich? <

      Marianne war sich nicht sicher, es war Freitag, ihre Freundin konnte durchaus noch mit Fitness beschäftigt sein. Es war ja gerade erst acht Uhr vorbei.

      >Nein Mädel, ich lümmle noch an der Vitaminbar rum. Hast du deine Möbelpacker schon losgebracht? <

      Eva